Dschihadistische Wahlkampfhilfe

Es war ein Schock in der Morgenstunde, was ich da heute als Aufmacher auf der Titelseite des Berliner „Tagesspiegel“ zu sehen bekam: Der Verfassungsschutz sorgt sich um die Zukunft Ägyptens! Leider war die Überschrift in der gedruckten Version noch erheblich reißerischer als in der nun verlinkten. Den Grund für die Sorge erläutert der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen in einem großen Interview mit dem Blatt. Nach der Lektüre dieser beiden Beiträge war der Tag für mich eigentlich schon gelaufen, ehe er so richtig begonnen hatte.

Klar heute ist 9/11-Gedenken, da darf man beim obersten Verfassungsschützer schon mal nachfragen, was die Dschihadisten so machen, also jene Gruppe Islamisten, die sich selbst im Heiligen Krieg sehen und ihn gegebenenfalls auch führen. Aber dieses Interview war dann schon ein wenig starker Tobak. Dass die markerschütternde Erkenntnis sein soll, dass 23 salafistische Dschihadiisten (oder dschihadistische Salafisten) nach Ägypten ausgereist sind und damit mehr als doppelt so viel wie im vergangenen Jahr ist ja wohl kaum eine Erkenntnis, die den eh schon geschundenen Staat in seinen Grundfesten erschüttern würde. Da gibt es deutlich wichtigere Erkenntnisse, die aber schon seit längerem bekannt sind. Etwa dass die Regierung faktisch keine Kontrolle mehr über den Sinai hat, ist spätestens nach der Ermordung von 16 Grenzsoldaten durch islamistische Terroristen wohl jedem klar geworden. Auch weiß man schon seit geraumer zeit, dass Al-Quaida-Zellen nahe der israelischen Grenze operieren. Auch dass Ägypten seit Jahren für deutsche Salafisten eine wichtige Rolle spielt ist ebenfalls nicht mehr der große Bringer. Ob ich Herrn Maaßen verraten soll, dass der berühmt-berüchtigte deutsche Islamist und Hassprediger Pierre Vogel, alias Abu Hamza, seine kruden Schriften in Kairo drucken läßt? Offenbar war das dem Verfassungsschutz-Chef nicht klar, sonst hätte er es in diesem Interview sicher auch einer größeren Öffentlichkeit verraten.

Was an diesem Interview so ärgerlich ist, ist die Tatsache, dass Ägypten vom Chef des deutschen Verfassungsschutzes so dargestellt wird, als entwickle es sich zu einem zweiten Afghanistan. Millionen von Urlaubern wissen es zu schätzen, dass man relativ leicht und unkompliziert in das Land einreisen kann. Da können dann tatsächlich auch ein paar Salafisten dabei sein. Und dass Ägypten zur Drehscheibe des Terrors wird, weil das Land gute Fluganbindungen in die ganze Arabische Welt hat, scheint mir auch eine sehr gewagte These zu sein.

Was an diesem Interview so gefährlich ist, ist die Tatsache, dass Ägypten vom Chef des deutschen Verfassungsschutzes auch als Urlaubsland diffamiert wird. Wer will schon seine Ferien einer Dschihadisten-Hochburg verbringen? Statt sich um 23 reisende Salafisten zu sorgen, sollte man sich lieber um 23 Millionen Ägypter sorgen, die direkt oder indirekt von den Einkünften aus dem Fremdenverkehr abhängig sind. Die verlieren durch so ein Geschwätz die Lebensgrundlage.

Das Land hat weiß Gott genügend Sorgen, da braucht es nicht noch solche Interviews. Als Hintergrundinformationen mögen solche Dinge ja vielleicht noch hilfreich sein – ich sage ausdrücklich vielleicht – aber sie so hoch zu hängen? Nein, das ist fahrlässig.

…fällt selber rein. Mit Plakaten dieser Bauart sorgte Bundesinnenminister Friedrich für viele lustige Ideen im Netz und für ein Ende der Kommunikation mit islamischen Verbänden.

Die Frage ist nun, warum tut der Mann das? Er ist erst wenige Wochen im Amt und wenn wir uns erinnern, hat es um seine Ernennung sowie die Personalpolitik von Innenminister Hans-Peter Friedrich einigen Wirbel gegeben. Zu den Personalrochaden war es unter anderem wegen der Ermittlungspannen im Zuge der Untersuchungen gegen die rechtsterroristische NSU gekommen. Da steht auch der Minister nach wie vor unter Druck. Reflexartig versucht Friedrich immer wieder auf die tatsächliche oder vermeintliche Gefahr aus dem islamistischen Umfeld abzulenken. Es ist ja gerade mal zwei Wochen her, da machte Friedrich mit einer Plakataktion von sich reden, in der zur Wachsamkeit vor in den Terrorismus abrutschenden jungen Menschen gewarnt wurde. Die Plakataktion war sehr erfolgreich: Sofort wurde sie im Netz eifrig parodiert und so ziemlich alle islamische Organisationen in Deutschland haben Friedrich die Zusammenarbeit aufgekündigt. Nicht wenige vermuten, dass Friedrich ganz bewußt den Weg der Kommunikation aufgibt und die Konfrontation sucht um damit die Probleme beim Kampf gegen den Neonazi-Terror zu überspielen. So gesehen sind die 23 reisenden Dschihadisten eher als Wahlkampfhelfer für Hans-Peter Friedrich zu sehen, denn als existenzielle Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung.

Die erste Besprechung

Trotz des Regens bin ich heute richtig beschwingt, denn die erste Buchbesprechung in einem „überregionalen Medium“ ist erschienen. Und dann gleich im Berliner Tagesspiegel. Das hat mich in sofern ein wenig überraschend getroffen, da ich sie gar nicht bemerkt hatte. Ich bin zwar Abonnent des Tagesspiegels, doch ich hatte am Sonntag einfach nicht auf den Reiseteil geachtet – warum auch immer. Normalerweise gehört er zu meiner Sonntagslektüre.

Inhaltlich finde ich die Besprechung insgesamt sehr wohlwollend. Allerdings lege ich doch Wert darauf, dass ich persönlich auf die Frage Alles klar, Ägypten? keine negative Antwort geben würde. Ich glaube, dass Ägypten trotz aller Verwerfungen insgesamt auf einem guten Weg ist, und ich glaube, dass es ein tolles Urlaubsland ist – mehr denn je.  Aber der Rückschluss des Tagesspiegel-Redakteurs Gerd Seidemann zeigt doch zwei Dinge sehr deutlich: Einerseits ist das Buch, wie er schreibt und ich selbst immer wieder betone, natürlich eine Momentaufnahme. Andererseits sind es natürlich auch die aktuellen Ereignisse, an denen sich das Buch immer wieder messen lassen muss. Dass der Machtkampf zwischen Präsident Mohammed Mursi und dem Militärrat nicht eben förderlich für die politische Stabilität im Lande ist, liegt ja nun leider auf der Hand.

Insgesamt hat mir die Rezension sehr gut gefallen, und ich hoffe, dass noch weitere ähnlich positive Besprechungen hinzukommen werden. Soweit mir bekannt ist, will das Tauchreisemagazin „Silent World“ in einer seiner nächsten Ausgaben eine Besprechung bringen.

Für „Silent World“ fliege ich im übrigen am 2. August wieder nach Ägypten. Einerseits werde ich dort alles in allem vier Reportagen und ein großes Interview machen. Andererseits will ich die Gelegenheit auch dazu nutzen, in verschiedenen Hotels und Tauchbasen noch zu lesen. Es gibt, glaube ich, schlimmere Aufgaben im Leben. Und ganz ehrlich: Die Aussicht auf knapp drei Wochen mit einer Regenwahrscheinlichkeit von genau 0 Prozent ist dann doch auch sehr verlockend.

Nach 7000 Jahren…

Ja, ich bin noch da und nicht in Ägypten verschollen. Mit dem Abflug nach Hurghada am 10. Mai hatte ich mir einfach mal eine längere Internet-Abstinenz auferlegt. Die ist nun vorbei und nun will ich – sozusagen am Vorabend der Präsidentschaftswahl – erzählen, wie es uns in dieser Woche ergangen ist. Insgesamt war die Delegation des Carpathia-Verlages immerhin fünf Köpfe stark. Für drei war es die erste Reise nach Ägypten.

Der Kulturschock fiel, dank intensiver Vorbereitung, dann doch nicht ganz so groß aus. Stellvetretend sei das örtliche Transportwesen genannt. Fröhlich-betrügerische Taxifahrer rasen nämlich nicht aus latenter Todessehnsucht, sondern weil sie in der tiefen Sicherheit ruhen, dass Allah mit den Seinen ist. Es gibt übrigens auch koptische Taxifahrer, die ebenso fröhlich-betrügerisch sind und genauso selbstmörderisch fahren. Die haben dann auf der Heckscheine einen Verweis darauf, dass Jesus ein Auge auf sie hat. Es kann also theoretisch-theologisch nix passieren. Und wer die Fahrt vom Flughafen zum Hotel überstanden hat, den kann dann in den folgenden Tagen wenig erschüttern.

Zur Buchpräsentation in der Villa Kunterbunt bei Barbara und Thomas Bordiehn: Rund 60 Gäste waren gekommen, darunter zahlreiche Menschen, die in Hurghada leben, ob nun Europäer oder Ägypter. Inhaltlich gestaltete sich die Lesung diesmal ein wenig anders. Hatte es im Brauhaus noch lange Passagen über die Revolution in Kairo und Hurghada gegeben, verlegte ich mich in Ägypten eher auf kürzere anekdotische Stücke. Der Grund liegt auf der Hand. Die Mehrzahl der Zuhörer hatte die Revolution ja selbst vor Ort miterlebt. Entsprechend unterschiedlich fiel auch die Diskussion aus. Sie spiegelte einmal mehr die unterschiedliche Sichtweise der Europäer und der Ägypter wieder. Auf die europäischen Seite herrschte noch immer eine gewisse Skepsis, ob die ganze Sache mit der Revolution noch zu einem guten Ende führen würde. Die Ägypter unter den Zuhörern hielten mit großem Optimusmus dagegen. Für mich am eindrucksvollsten an diesem Abend war, wie Mazen Okasha die Größe des bislang Erreichten mit einem einzigen Satz zusammenfaßte: „Zum ersten Mal nach 7.000 Jahren wählen wir Ägypter am 24. Mai unser Staatsoberhaupt selbst in einer freien Wahl.“ Damit haben die Ägypter im übrigen alle Länder, in denen die Arabellion Erfolg hatte, überholt.

Zwei Tage lang werden die Ägypter ihren neuen Präsidenten wählen. Morgen beginnt der Urnengang. Es ist wirklich kaum zu sagen, wer am Ende die Nase vorne hat. Aber wer auch immer an die Macht kommt, muss sich am Ende dem Volk beweisen, denn eines wurde auch an jenem Abend in der Villa Kunterbunt wieder sehr deutlich. Wenn ein neuer Präsident einen alten Kurs fahren sollte, dann wird es nicht lange dauern, bis wieder Millionen auf dem Tahrirplatz stehen.

Ich persönlich neige eher dazu, den Optimusmus der Ägypter als die Skepsis der Europäer zu teilen. Dafür gibt es eine simple Erklärung: Ich habe die Ägypter in den letzten 20 Jahren als hochemotionale Pragmatiker erlebt. Irgendwie klappt es immer, was sie sich vorgenommen haben, wenn auch nicht auf den geraden, gepflegten und sauber gekehrten Wegen, die wir Europäer gerne beschreiten. Da gehts dann auch schon mal durchs Unterholz.

Zum Abschluss noch ein Link aus dem heutigen Tagesspiegel. Wenn diese Einschätzung des sozialdemokratischen Abgeordneten Ziad al Eleimi richtig ist, dann könnte der Stern der Moslembrüder schneller sinken, als jeder erwartet hat.

 

Ägypten dreht den Gashahn zu

Während wir hier fleißig versuchen, das Buch zu promoten, gibt es Neues aus Ägypten. Mir gefällt das natürlich nur bedingt. Warum? Heute fragte mich ein Kollege bei meinem Besuch beim Berliner Tagesspiegel, ob ich nicht Angst hätte, dass „Koulou Tamam, Ägypten?“ bald überholt sein könne. In der Tat drängt sich diese Frage förmlich auf. Andererseits ist ja alles, über was ich in diesem Buch berichte, passiert, und das Buch ist damit natürlich auch zu einer Chronik der Ereignisse im Jahr nach dem Ausbruch der Revolution in Ägypten geworden. Dass Ägypten nun Israel den Gashahn abdreht, konnte ich natürlich im Februar und März noch nicht ahnen. Oder vielleicht doch?

Die Ägypter haben sich nie richtig mit dem Friedensvertrag von Camp David anfreunden können. Für den Großteil von ihnen gilt Anwar al Sadat sogar als Verräter, der die ägyptischen Interessen an Israel verkauft habe. Wirtschaftlich haben beide Länder sicher von dem Vertrag profitiert. Doch genau das wird – zumindest beim Gasgeschäft mit Israel – derzeit angezweifelt. Der ungeliebte Nachbar habe das Gas viel zu billig bekommen. Der ägyptische Partner sei bestochen worden und überhaupt sei das ganze Geschäft ja doch wieder über den Mubarak-Clan gelaufen. Das etwa entspricht der Darstellung in den deutschen Medien. Soweit, so gut – oder auch wieder nicht gut.

Auch hier scheint mir die Berichterstattung wieder verdammt lückenhaft. Es ist eben nicht so einfach, dass dieser Lieferstopp und diese Vertragskündigung einfach nur eine politische Laune der Natur war, populistisch allemal, weil der Ägypter an sich den Friedenvertrag mit Israel nicht mehr will.

Ägypten gehört im Nahen Osten nun nicht unbedigt zu den großen Produzenten von Öl und Gas, verglichen mit Libyen, dem Irak oder gar Saudi Arabien. Eine Folge der Revolution war unter anderem, dass eben der Gaspreis drastisch gestiegen ist. Im Wahlkampf wurden unter anderem von den Moslembrüdern Tausende von Gasflaschen in den Armenvierteln Kairos verteilt, weil sich diese Armen das dringend benötigte Gas zum Kochen einfach nicht mehr leisten konnten.

Seit Tagen (oder Wochen?) lese ich immer wieder von meinen Freunden in Hurghada, dass der Versuch zu tanken entweder vergeblich oder mit stundenlangem Warten verbunden ist. Mir scheint es so, dass in Ägypten die Energie derzeit einfach knapp wird. Inwieweit das mit privilegierten Gaslieferverträgen an Israel zusammenhängt, mag ich nicht beurteilen. Aber wenn streikende Arbeiter in Ras Gharib die Küstenstraße blockieren, dann liegt die Schlussfolgerung nahe, dass in der Zeit auf den Öl- und Gasfeldern nicht gearbeitet wird, also dass auch nichts verladen oder transportiert wird. Das alleine wird allerdings auch nicht der Grund sein.

Wie dem auch immer sei. Da wird im Moment ein lautes Getöse gemacht, ja sogar mit den Säbeln gerasselt um einen Tatbestand, der doch eigentlich völlig offensichtlich ist: In Ägypten ist die Versorgungslage derzeit so schlecht, dass das Land sein Gas schlicht und einfach selbst braucht. Aber das zuzugeben fällt eben auch nicht so leicht.

Der Schatten im Osten

Die Katastrophe von Port Said ist noch keine Woche her, da ist sie in Deutschland schon wieder vergessen. Hätte nicht ausgerechnet Mohamed Zidan, als Rückkehrer zu Mainz 05 am Wochenende das 1:0 für seine Mannschaft bei Schalke 04 geschossen, wäre die Tragödie hier zu Lande noch schneller untergegangen. Zidan hat ausgerechnet bei El Masry das Fußballspielen gelernt und das Tor den Opfern von Port Said gewidmet.

Tagesspiegel vom 5. Februar 2012

Dass das Aufbegehren in Kairo und anderen Städten gegen den Militärrat unvermindert weiter geht, erfährt nur, wer sich wirklich interessiert. Im Moment steht Syrien viel mehr im Blickpunkt, und das ist natürlich im deutschen Mainstream-Journalismus, wo das Body-Counting, also das Zählen von Leichen, keine unerhebliche Rolle spielt, viel ergiebiger. Zynisch könnte man ja sagen, dass das ja ein Glücksfall für Ägypten ist, denn dann kommen vielleicht doch wieder mehr Touristen ins Land. Das ist dann leider doch ein Irrtum. Der Schatten, der da im Osten auf die Region fällt, verdunkelt auch die Strände am Roten Meer. Manch einer sagt sich: „Wenn’s in Libyen einen Bürgerkrieg gab und jetzt in Syrien einen gibt, dann könnte es doch auch in Äygpten…“ Genau das ist der Fluch der undifferenzierten Berichterstattung. Ich habe mit einem Artikel im Tagesspiegel versucht, ein wenig für Aufklärung zu sorgen. Mein Gewährsmann ist dabei Mazen Okasha, Chef der Fremdenführergewerkschaft am Roten Meer. Der weiß nun wirklich, von was er spricht.

Also wäre ich jetzt Ägypter und müsste mir mein Geld im Tourismus am Roten Meer verdienen, ich glaube ich würde einfach mal überschnappen. Die inzwischen wichtigste Touristengruppe, nämlich – nein, nicht etwa die Deutschen sondern die Russen, kommt nicht mehr ins Land, weil die Regierung angeblich massiv Propaganda gegen Urlaub in Ägypten macht. Grund sind die ersten einigermaßen freien und fairen Wahlen seit Jahrzehnten. Das könnten russische Ägyptentouristen ja auf dumme Gedanken kommen, wenn sie wieder zu Hause sind.

Die zweitwichtigste Touristengruppe sind die Deutschen. Da findet die Regierung es jetzt ja ganz toll, dass es diese Revolution gibt und dass das alles bald viel demokratischer und freiheitlicher wird, als zuvor. Aber niemand käme natürlich auf den Gedanken, dass es im Sinne von Freiheitlichkeit und Demokratie gerade jetzt eine sehr gute Idee wäre, in das Land zu fliegen und dort Urlaub zu machen. Das höchte der Gefühle ist, dass für die Urlaubsgebiete am Roten Meer keine explizite Reisewarnung ausgesprochen wurde.

Ich habe auf Facebook gesehen, dass einige meiner ägyptischen Freunde derzeit immer wieder gefragt werden, ob es denn sicher sei, in das Land zu reisen. Ich will es mal so ausdrücken. In wenigen Wochen ist Karneval – auch in Rio. Der lockt, wie jedes Jahr, auch viele Tausende Touristen an den Zuckerhut. Gerne würde ich mir mal den Spaß machen, sie alle zu fragen, ob sie auf Grund der besseren Sicherheitslage nicht lieber zum Beispiel nach Hurghada fliegen wollten. Sind wir doch mal ganz ehrlich. Rio ist ein wahnsinnig gefährliches Pflaster und die Gefahr, als Tourist ausgeraubt oder ermordet zu werden liegt schätzungsweise um den Faktor 100 höher – wenn es reicht.

Ägypten hat derzeit sicherlich ganz viele und ganz große Probleme. Doch die Objekte der Furcht deutscher Touristen gehören eindeutig nicht dazu.

Von Salafisten und Piraten

Leider kann ich den schönen Kommentar nicht mehr finden, den mir Thomas aus Ägypten zum Thema Piraten auf Facebook gepostet hatte. Ich find ihn überaus witzig, aber nicht so ganz treffend. Er verglich die Piraten mit den Salafisten in Ägypten. Aber so, dachte ich mir, stellen sich unsere Landsleute in 3.500 Kilometern Entfernung eben das Phänomen Piratenpartei vor. Heute morgen schlage ich den Berliner „Tagesspiegel“ auf und finde auf der Meinungsseite den Kommentar: „Ein Kreuzchen bei Allahs Piratenpartei„. Den Kommentar fand ich übrigens bemerkenswert gut.

Natürlich tut man sowohl den Piraten in Deutschland, als auch den Salafisten in Ägypten bitter Unrecht, wenn man sie miteinander vergleicht. Genau deshalb will ich das mal versuchen. Zu den Forderungen der Piraten zählen: Kostenloser Personennahverkehr, Bedingungsloses Grundeinkommen und eine Novellierung des Urheberrechtsgesetzes. Kostenlosen Nahverkehr find ich klasse. Das wäre sogar finanzierbar, wenn der Senat einige heilige Kühe schlachten würde und es sich so richtig mit der Autolobby verscherzen will. Das Bedinungslose Grundeinkommen auf der Basis der negativen Einkommensteuer unter Einbeziehung einer steuerlichen Berücksichtigung ehrenamtlicher Tätigkeiten unterstützte ich schon lange bevor es die Piraten gab. Mit der Lockerung des Urheberrechts können die Piraten bei mir logischerweise nicht landen. Hey – ich lebe schließlich auch von Urheberrechten.

Die Salafisten wollen den Alkohol in den Urlaubsgebieten (und wohl auch sonst) verbieten. Sagen wir mal so: Es gibt eine bestimmte Sorte von Urlaubern, denen sollte der Alkohol tatsächlich einfach verboten werden und nicht nur in Ägypten. So, wie die sich benehmen, ist es einfach eine kolossale Respektlosigkeit dem Gastland gegenüber. Die Salafisten wollen auch Bikinis und ähnliche westliche Teufelstextilien verbannen. Auch hier muss ich daran denken, wie sich manche Touristin durch die Straßen und Gassen bewegt. Hier gilt das gleiche wie für den Alkohol. Wer im Bikini auf den Basar geht, zeigt damit nicht westliche Aufgeschlossenheit, sondern nur mangelnden Respekt. Ach ja, dann wollen die Salafisten nicht das Baden an sich verbieten, aber die Strände nach Geschlechtern trennen. Das ist nun eine wirklich dämliche Idee. Sollen denn die Beachboys und Handtuchjungs nur noch die Herren der Schöpfung glücklich machen? Die zweifellos notwendige weibliche Personaldecke zur Befriedigung der Bedürftnisse am Damenstrand wird entschieden zu dünn sein. Faktisch liefe das auf ein Strandverbot für Frauen hinaus – aber dann braucht niemand mehr nach Geschlechtern getrennte Strände.

Natürlich ist vielen der Schrecken in die Glieder gefahren, als die Salafisten bei über 20 Prozent gelandet sind. Doch dort, wo angebliche ihre größte Klientel lebt, ist die indirekte Abhängigkeit vom Tourismus auch am größten. Im Schnitt ernährt jeder Angestellte aus Oberägypten, der zum Beispiel in Hurghada arbeitet, zehn Menschen in seinem Heimatort. Die werden doch ihre Existenzgrundlage nicht aufs Spiel setzen.

Selbst die Moslembrüder, deren natürliche Verbündete die Salafisten eigentlich sein müssten, fassen ihre Brüder in Allah nur mit der Feuerzange an. Trotzdem könnten die Salafisten für den Tourismus vielleicht sogar etwas Gutes bringen, dann nämlich, wenn sich Gäste in ihrem Verhalten selbst hinterfragen. Das heißt jetzt nicht, sich in Galabeja und Schleier zu hüllen, sondern einfach ein wenig mehr Respekt zu zeigen (was der größere Teil der Urlauber übrigens auch tut).

Eigentlich halte ich es mit Mark Twain, der nie Voraussagen machte, schon gar keine, die die Zukunft betrafen. Aber ich wage mal die Prognose, dass die Piraten in Deutschland in zehn Jahren mehr erreicht haben werden, als die Salafisten in Ägypten.