Partei oder Persönlichkeit?

Immer diese Schrifsteller! Der Verleger (r.) und sein Autor.

Noch einige kurze Anmerkungen zu meinem gestrigen Blogeintrag. Der hat immerhin zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit meinem Verleger Robert in der Kneipe unseres Vertrauens geführt. Vor allem die These, dass Mohamed Mursi die Wahlergebnisse der Moslembrüder halbiert habe, hat Robert erzürnt. Außerdem musste ich mich – nicht ganz zu Unrecht – mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass der Blogeintrag dann doch ein wenig zuviel Insider-Wissen voraussetzt. Insbesondere die Vielzahl der Namen habe dann etwas verwirrt. Diese Verwirrung will ich nun entwirren.

Von den 13 Kandidaten, die zur Präsidentschaftswahl standen, galten fünf als aussichtsreich.:

  1. Der frühere Außenminister Amr Moussa,
  2. der ehemalige Moslembruder Abul Futuh,
  3. der frühere Premierminister Ahmed Shafik,
  4. der Vorsitzende der Partei der Moslembrüder „Freiheit und Gerechtigkeit“ Mohamed Mursi,
  5. der Nasserist Hamdin Sabahi.

Als Favoriten galten Moussa und Futuh, die sich auch in einem Fernsehduell vier Stunden lang gegenüber standen. Es war das erste seiner Art in Ägypten. Experten waren vor der Wahl davon ausgegangen, dass Moussa weitgehend die Stimmen des säkularen Lagers sammeln würde und Abdul Futuh die meisten Stimmer der Religiösen bekommen würde.

Obwohl die Moslembrüder bei den Parlamentswahlen mit ihrer Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ mit rund 47 Prozent der Stimmen extrem gut abschnitten, wurden Mursi keine all zu großen Chancen eingeräumt. Zum einen war er nur der Ersatzkandidat. Der eigentliche Kandidat der Moslembrüder Chairat el-Shater war von der Wahl ausgeschlossen worden. Mursis Wahlkampfauftritte waren häufig ein Desaster, und außerdem fand der im Sommer von den Moslembrüdern ausgeschlossene Futuh gerade bei der Jugend der Moslembrüder viel Zustimmung. Schließlich hatten sich in den letzten Monaten zahlreiche Wähler enttäuscht von den Moslembrüdern abgewendet.

Vergleicht man das Abschneiden der Partei bei den Parlamentswahlen mit dem des Kandidaten zur Präsidentschaftswahl, dann ist das Ergebnis tatsächlich nur noch halb so groß. Der Streitpunkt am gestrigen Abend war nun, ob es zulässig ist, die Ergebnisse einer Parlamentswahl mit denen einer Persönlichkeitswahl zu vergleichen. Robert meinte nein, ich meine ja. Es ist sicherlich richtig, dass Mursi ziemlich schlechte Startvoraussetzungen hatte. Wenn es stimmt, was man so hört, dann war er der sprichwörtliche „Hund, der zum Jagen getragen werden muss.“ Doch sein vergleichsweise schlechtes Abschneiden ist nicht alleine seiner Person geschuldet. Tatsächlich haben sich in den letzten Monaten vor allem junge Ägypter von der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ abgesetzt, weil sie von den Moslembrüdern enttäuscht sind und im Land zu wenig passiert.

Das kann sich jetzt bald ändern. Gestern hatte ich prophezeit, dass Mursi verhandeln muss, wenn er die Stichwahl gewinnen will. Und was lese ich heute? Dass er sich einen koptischen Vizepräsidenten vorstellen kann. Das klingt zunächst einmal nicht schlecht. Die Kopten machen immerhin 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie haben allerdings unter den halbanarchischen Zuständen am meisten zu leiden. Mursis Gegner Shafik verspricht, diese Zustände mit größter Härte beenden zu wollen. Das klingt dann eher wieder nach Drohung im Stile des alten Regimes, denn nach Hoffnung.

Katastrophe oder Chance?

Als ich vor ein paar Tagen aus Ägypten zurück kam, erklärte ich als profunder Kenner des Landes jedem, wie die Präsidentschaftswahlen ausgehen würden.  „Wahrscheinlich kommen Moussa und Abul Futuh in die Stichwahl. Der eine hat Erfahrung, der andere Charisma. Mursi und Shaffik haben keine Chance, der eine ist zu farblos, der andere nicht vermittelbar.“ Deshalb stehen jetzt Mursi und Shaffik in der Stichwahl. Irgendwie erinnerte mich das fatal an meine Zeit als Sportredakteur, wenn ich am Freitag in einer Vorschau schrieb, warum eine Mannschaft am Samstag gewinnt und ich am Montag erklären musste, warum sie verloren hat.

Die Präsidentschaftswahlen sind seit Monaten ein heiß diskutiertes Thema auch zwischen Thomas (links) und Peter. Foto: syt

Trotzdem war ich ein leidlich ordentlicher Sportredakteur. Trotzdem glaube ich, die Lage in Ägypten auch ganz gut beurteilen zu können – wenn das überhaupt einer kann. Schließlich war ich ja nicht der einzige, der sich geirrt hat. Aber was ich definitiv hätte voraussagen können, waren die Reaktionen auf diesen Wahlausgang. Da ist von Katastrophe die Rede, vom Ende oder gar dem Verrat an der Revolution, von der gescheiterten Demokratiebewegung. Ich gebe zu, ich war im ersten Moment auch ein wenig geschockt, weil ich mir einen anderen Wahlausgang gewünscht hätte. Doch bei näherer Betrachtung ist diese Ausgangslage vielleicht gar nicht mal die schlechteste für das Land – und seinen Weg zu einer wirklich funktionierenden Demokratie. Steile These? Ich versuch es mal zu erklären.

  1. Hätte irgendein Kandidat der Säkularen die Wahlen gewonnen, dann wäre er vermutlich an den überzogenen Erwartungen an ihn ganz schnell zerbrochen. Sollte der Moslembruder Mursi die Wahlen gewinnen, liegen auf ihm ganz andere Erwartungen (die er wohl auch nicht alle zur Zufriedenheit seiner Anhänger erfüllen kann).
  2. Mursi hat etwa 25 Prozent geholt. Bei den Parlamentwahlen hat die Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ aber 47 Prozent erreicht. Mursi hat es also schon mal geschafft, den Stimmenanteil seiner Partei fast zu halbieren.
  3. Wenn Mursi Präsident werden will – Shaffik liegt ja nur zwei oder drei Prozent hinter ihm – wird er Zugeständnisse an die Säkularen und Liberalen machen müssen, sowohl personell, als auch programmatisch.

Das heißt, jetzt muss verhandelt werden. Immerhin – und das scheint ja unbestritten – sind die Ägypter im Handeln große Klasse. Sage niemand, dass es um ein Geschachere geht. Wenn hierzulande eine Wahl gelaufen ist, geht es auch erst nach Schließung der Wahllokale ans Eingemachte. Hier nennt man das Koalitionsverhandlungen. So etwas ähnliches wird es in den nächsten drei Wochen auch in Ägypten geben. Das gehört eben genau so zur Demokratie, wie Wahlkampf und Wahlen. Übrigens ist der Wahlkampf bislang ausgesprochen gut verlaufen, gemessen an den apokalyptischen Vorhersagen.

Ich habe auch schon den Einwand gehört: „Der kann jetzt ja viel versprechen, aber ob er es dann nach der Wahl einhält?“ Nein, in diesem Fall geht es ja um feste Abreden. Wenn Mursi zum Beispiel will, dass Abul Futuh sich für ihn ausspricht, muss er ihm etwas bieten, was Futuhs Anhänger bewegt, Mursi die Stimme zu geben. Wenn er dann sein Versprechen vergisst, ist es gut möglich, dass der der Tahrir relativ schnell wieder relativ rege besucht wird.

Umgekehrt gilt das alles natürlich genauso für Shaffik. Ich persönlich glaube aber eher, dass es auf Mursi hinausläuft. Der muss übrigens den Salafisten gar keine Zusagen machen, denn die haben gar keine andere Wahl als die, ihn zu wählen. Das finde ich persönlich übrigens ziemlich amüsant.

Die Ägypter haben bei dieser Wahl einmal mehr gezeigt, dass sie zu jeder Überraschung fähig sind. Vielleicht gilt das ja auch für den endgültigen Wahlsieger und künftigen Präsidenten des Landes. Anwar al Sadat galt als völlig farbloser, uncharismatischer Kompromisskandidat, als er 1970 die Nachfolge des verstorbenen Gamal Abdel Nasser antrat. Als er elf Jahre später ermordet wurde, war Ägypten nicht mehr dasselbe Land. Vielleicht wählen die Ägypter in drei Wochen den neuen Retter ihres Landes.

Die Bücher der Bücher

Zwar fiebern wir nun alle der Auslieferung von Koulou Tamam entgegen, aber übers Wochenende hat mich dann doch noch aus aktuellem Anlass ein ganz anderes Buch beschäftigt. Deutsche Salafisten haben in deutschen Städten den Koran verteilt. Das hat vor allem bei Konservativ-Christlichen für beträchtliche Aufregung gesorgt. Ich muss gestehen, dass ich das eine für so verfehlt halte wie das andere.

Vorab möchte ich allerdings noch etwas klar stellen. Es ist wohl auch in diesem Blog deutlich geworden, dass ich vor dem Islam einen hohen Respekt habe und dass ich sogar glaube, dass der Koran in bestimmten Dingen klarer und fortschrittlicher ist, als das neue Testament.

Warum ich die Aktion der Salafisten für verfehlt halte, ist relativ einfach zu erklären: Weil sie ihren eigenen Ansprüchen komplett widerspricht. Der Koran ist nicht interpretierbar und soll deshalb nur im hocharabischen Original gelesen werden. Vor allem die Salafisten, die sich als Gralshüter des wahren islamischen Glaubens betrachten, legen doch so viel Wert darauf, dass solche Regeln eingehalten werden. Die Übersetzung ist vom Zentralrat der Muslime autorisiert, und da die Übersetzung keine Übersetzung sein darf, hilft man sich in diesem Fall mit einem rhetorischen Salto Mortale und einem theologischen Beipackzettel, der die Übersetzung kurzerhand zu einer Beschreibung des Korans erklärt. Kann man machen – als pragmatischer aufgeschlossener Muslim. Doch warum sind solche Purzelbäume überhaupt notwendig? Weil es eben Fundamentalisten gibt, die peinlich darauf achten, dass zum Beispiel der Koran nicht durch eine Übersetzung interpretiert wird. Und jetzt springen die Salafisten auf den pragmatischen Zug auf? Das ist lächerlich.

Es ist nicht weniger lächerlich, als die hysterischen Reaktionen deutscher Christen auf die kostenlose Verteilung des Korans (oder seiner deutschen Interpretation). Der Koran an sich ist nicht mehr oder weniger verfassungsfeindlich als die Bibel. Auf den Jesuiten und Wanderprediger Pater Johannes Leppich SJ geht der Brauch zurück, dass in vielen deutschen Hotels ein Neues Testament in der Nachttischschublade liegt – das auch gerne mitgenommen werden kann. Darüber hat sich nie jemand aufgeregt – obwohl Pater Leppich den wenig schmeichelhaften Spitznamen „das Maschinengewehr Gottes“ trug. Auf protestantischer Seite ist es der Gideon-Bund, der bis heute Bibeln grundsätzlich kostenlos unters Volk bringt. Natürlich darf man die Frage stellen, was jemandem passieren würde, der in Medina kostenlos Bibeln verteilen würde. Eben! Gerade dass bei uns der Koran ungehindert verteilt werden kann, unterscheidet uns ja von Saudi Arabien.

Lasst die Menschen doch den Koran lesen und lasst sie vergleichen. Ist denn der christliche Gedanke so schwach, dass er sich vor dem islamischen verstecken müsste? Ist das laute Geschrei um die Koranverteilung nicht ein Armutszeugnis, ein Zeugnis der Schwäche und bedeutet es nicht letztendlich Glaubensarmut?

So sehr ich auch den Islam respektiere, so wenig käme er für mich als Glaubensalternative allerdings in Frage. Bei aller Schuld, die verschiedenen Kirchen und Konfessionen in den letzten 2.000 Jahren auf sich geladen haben mögen, eins steht doch fest. Das Christentum wurde 300 Jahre lang von freundlichen, friedlichen Menschen völlig gewaltlos verbreitet, von Menschen, die bereit waren, für ihren Glauben widerstandslos zu sterben. Märtyrer sind im christlichen Sinn gewaltlose Glaubenszeugen. Im aktuellen islamistischen Kontext sind Märtyrer Menschen, die sich Sprengstoffgürtel umbinden, um damit andere Menschen in die Luft zu sprengen. Keine Frage, welche Art von Märtyrer ich vorziehe. Was nun die Ausbreitung des jeweiligen Glaubens in den ersten drei Jahrhunderten betrifft, da hatte das Christentum keinerlei Waffen nötig, und es verbreitete sich trotzdem wie ein Lauffeuer. Auch der Islam verbreitete sich rasend schnell, allerdings fast überall unter der Zuhilfenahme von Krummsäbeln.

Gerade Salafisten nehmen gerne das Wort von den „Kreuzzüglern“ in den Mund. Ironischerweise ist es ausgerechnet ein Kreuzzug, der den Weg für ein gedeihliches Miteinander zwischen Christen und Moslems weist. Im Fünften Kreuzzug gelang es dem ägyptischen Sultan Al Kamil Muhammad al Malik und dem deutschen Kaiser Friedrich II., einen Weg des Ausgleiches ohne Blutvergießen zu beschreiten. Und das war nur auf der Basis des Respekts und der gegenseitigen Anerkennung möglich.

Die große Verschwörung

Am 15. April jährt sich zum einhundersten Mal der Untergang der Titanic. Vermutlich werden bis dahin in Ägypten schlüssige Beweise auf dem Tisch liegen, dass sie von Hosni Mubarak und seiner Clique versenkt wurde. Vermutlich war er auch in der Verschwörung zur Ermordung Kennedys schuld und hatte ein Verhältnis mit Marylin Monroe. Okay… das mit dem Verhältnis nehm ich jetzt mal zurück, das würde selbst dem verschwörungstheoriefreundlichsten Ägypter dann doch ein wenig zu weit gehen.

Was ist wahr? Was ist gefaket? Was ist ein schlichter Irrtum? Das ist schwer zu sagen in diesen Tagen in Ägypten. Etliche Menschen sind zum Beispiel davon überzeugt, dass die Katastrophe in Port Said gesteuert war. Es spricht einiges dafür, vieles dagegen. Ich weiß nicht, was wirklich wahr ist. Aber die Geschichte scheint wie dafür gemacht, um eine wunderbare Verschwörungslocke zu drehen. Aber es geht auch anders.

Da gibt es eine deutschsprachige Internetzeitung, die heißt „The Intelligence“. Dankenswerterweise weist das Netz-Blättchen in seiner Selbstdarstellung darauf hin, dass das engliche Wort „intelligence“ nicht unbedingt etwas mit dem deutschen Wort „Intelligenz“ zu tun hat. Immerhin hat es diese Publikation geschafft, mich in Sachen Verschwörungstheorien in Ägypten völlig zu verblüffen. Und das ist bestimmnt nicht einfach, nachdem, was ich in den letzten Monaten schon alles gehört habe. Was mich in solch kolossales Erstaunen versetzt hat, war der Artikel „Ein Jahr nach Mubarak, die Situation in Ägypten“ von Kim Kovalsky,

Offensichtlich war die ganze Revolution nichts anderes, als eine große Verschwörung der USA, die ahnungslose Blogger, Studenten und Aktivisten aufgehetzt hat. Der Grund ist ganz klar. Da die Vereinigten Staaten eine neue Weltordnung antreben, nutzen sie die Gunst der Stunde und die revolutionäre Bewegung, um ihre finsteren Ziele zu erreichen. Immerhin hat das der Militärrat so oder so ähnlich jetzt auch schon gesagt. Und tapfer, wie die Herren Militärs nun mal so sind, schoben sie gleich hinterher, dass sie natürlich gegen die unter Verdacht stehenden NGOs vorgehen würden – egal ob sie dadurch finanzielle Einbußen hätten oder nicht. Und da, so meint Kim Kovalsky, habe der Militärrat ausnahmsweise mal recht. Hä?????

Moment mal: Dass wir uns richtig verstehen. Das ägyptische Militär bekommt jedes Jahr 1,3 Millarden Dollar von den USA. Hinzu kommen 4,9 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe unter anderem aus den USA und der Bundesrepublik. Warum um alles in der Welt sollten die USA eine Revolution gegen einen Militärrat anzetteln, der ihnen doch sowieso aus der Hand frisst? Da wären die Milliarden doch einfach rausgeschmissenes Geld. Ich halte nun selbst nicht besonders viel von der US-amerikanischen Weisheit in diplomatischen Dingen. Aber für so bescheuert halte sich sie dann auch wieder nicht, einerseits die Militärs mit Milliarden von Dollar an den Fleischtöpfen zu halten, um anschließend in einem großen Masterplan genau diese Militärs von der Macht der Straße verjagen zu lassen. Das ist – mit Verlaub – Bullshit.

Ich denke, dass die Geschichte ein wenig anders liegt. Die Regierung Obama hatte die Entwicklung vor einem Jahr ziemlich verschlafen und viel zu lange an Mubarak festgehalten. Einerseits galt er als treuer Freund, den man in der Not nicht im Stich lässt, auf der anderen Seite sah man in ihm einen wichtigen Stabilitätsfaktor.

Dass politische Stiftungen oder NGOs sich in einer solchen Umbruchsituation, in der ein Land versucht, zur Demokratie zu finden, beteiligen, indem sie logistische Unterstützung – und manchmal vielleicht auch mehr – geben, scheint doch völlig logisch. Es ist ja auch vielleicht ganz nützlich, sich heute jene Leute zu verpflichten, die morgen möglicherweise in der Regierung sitzen. Vielleicht sind da die Konrad-Adenauer-Stiftung und die amerikanischen NGOs wirklich ein wenig übers Ziel hinaus geschossen, haben das ein oder andere Gesetz missachtet oder schlicht und einfach nicht gekannt.

Aber etwas anderes liegt doch auf der Hand. Mal von Israel abgesehen, ist es doch in Ägypten am einfachsten, mit Ressentiments gegen die USA Stimmung zu machen. Es hat vermutlich seit 20 Jahren keine Demonstration im Nahen Osten mehr gegeben, ohne dass mindestens ein Sternenbanner abgefackelt wurde. Außerdem: Die Ministerin, die am lautesten geschrien hat, war Fayzia Abulnaga – und die hatte ihr Amt als Ministerin für internationale Angelegenheiten schon unter Mubarak inne, stammt also definitiv aus dem alten Regime. Ihre Reaktion und ihr Verdacht auf eine vom Ausland gesteuerte Revolution kommt also nicht so ganz überraschend.

Wenn das alles wirklich Teil eines großangelegten Planes zur Schaffung einer neuen Weltordnung gewesen sein sollte, dann müssten da Heerscharen von Dilettanten am Werk gewesen sein. So wird das mit der neuen Weltordnung sicher nichts. Also muss man sich auch gar nicht erst darüber aufregen.

Frauen und Rechte

Nach meiner Rückkehr wurde ich in zwei Diskussionen verwickelt, die mich beide Male ein wenig verstört haben. Bei der ersten dachte ich im ersten Moment an einen Witz. Eine liebe Freundin fragte mich: „Sind da jetzt die Taliban an der Macht?“ Sie meinte das tatsächlich ernst. Ich versuchte ihr zu erklären, dass die Moslembrüder die Wahlen gewonnen haben, dass die Salafisten überraschend die zweitstärkste Partei geworden seien, aber dass beide Gruppierungen nicht miteinander könnten und dass sich die Moslembrüder wohl liberale Koalitionspartner holen würden. Ihr Gesicht ließ gewisse Zweifel an meiner Erklärung ahnen, als hätte ich ihr versichert, dass in Zukunft im Petersdom der Playboy gratis ausliege.

Eine andere, mir ebenfalls liebe Freundin, stellte am gleichen Abend noch eine These auf, die in eine lautstarke Diskussion, ja Schreierei mündete. Die Fusselbärte (sie meinte damit wohl die Salafisten) würden Ägypten zu einem zweiten Iran machen und alle Frauen unter den Vollgesichtsschleier zwingen. Im übrigen werde sie niemals ihren Fuß in ein Land setzen, in dem eine Frau den ihren nicht in eine Bar setzen dürfe.

Was mich an diesen beiden Erlebnissen völlig verstört hat, war die Tatsache, dass ich plötzlich als Verteidger der Moslembrüder auftreten musste. Das hätte ich mir auch nie träumen lassen. Eher hätte ich noch die FDP leidenschaftlich verteidgt. Aber man kann eben nicht alles haben.

Tatsache ist, dass sich die Rechte der Frauen in Ägypten seit Beginn der Revolution nicht verbessert, sondern eher verschlechtert haben. Die Frauenquote im Parlement gibt es zum Beispiel nicht mehr. Deshalb sind nur sechs Frauen ins Parlament eingezogen. Es steht auch nicht zu erwarten, dass sich die Moslembrüder in absehbarer Zeit in einen Emanzenclub verwandeln. Im Gegenteil: Befürchtungen, dass in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr Frauenrecht abgeknappert werden, sind nicht von der Hand zu weisen.

Dagegen steht, dass die Frauen sich inzwischen wehren. Vor einigen Tagen haben selbsternannte Sittenwächter der Salafisten versucht, ein Nagelstudio auseinander zu nehmen. Sie wurden von Kundinnen mit Zuckerrohrstauden verjagt. Diese kleine Episode mag zeigen, dass sich die Frauen nicht mehr alles gefallen lassen, zumal nicht die tapferen vom Tahrirplatz, die dort übrigens bis heute noch bei Demonstrationen ganz anderen Repressionen ausgesetzt sind als Männer.

Stürmische Zeiten in Ägypten

Natürlich kann einem Angst und Bange werden, wenn man um die Herkunft und die Geschichte der Moslembrüder weiß. 1928 in Islameija von Hasan al Bana gegründet, waren die Moslembrüder ursprünglich eine Widerstandgruppe gegen die Briten. Später haben sich alle islamistischen Freiheits- und Terrorgruppen die Moslembrüder als Vorbild genommen. Doch alles, aber auch wirklich alles deutet darauf hin, dass die „Brüder“ zumindest diesen Teil ihrer Vergangenheit überwunden haben. Ihr Frauenbild ist nicht das, das wir haben. Genausowenig wie ihre Vorstellung zum Thema Alkohol der unseren entspricht. Trotzdem werden sie den Alkohol in Ägypten nicht verbieten und wollen den Fremdenverkehr sogar fördern. Mir scheint, dass die derzeitige Führung der Moslembrüder und der zu ihr gehörenden Partei „Ḥizb al-ḥurriya wa al-’adala“ (Partei für Freiheit und Gerechtigkeit) eher von Pragmatismus als von Dogmatismus getragen wird.

Der israelische Ministerpräsident Menachem Begin hatte 1946 als Kommandeur der Untergrundorganisation Irgun in Jerusalem das Hotel „King David“ in die Luft gesprengt. Das Attentat forderte mindestens 91 Tote. 1978 bekam Begin den Friedensnobelpreis zusammen mit Anwar al Sadat für den Friedensvertrag von Camp David. Das zeigt, dass gerade im Nahen Osten der Weg vom Terroristen zum Friedensnobelpreisträger nicht so weit sein muss.

Die Moslembrüder bleiben deshalb trotzdem gläubige Moslems und werden versuchen, ihre Politik nach ihrer konservativen Auslegung des Korans auszurichten. Aus westlicher Sicht mag das nichts Gutes für die Frauen bedeuten. Andererseits braucht das Land nun stabile Verhältnisse, sie müssen die Versorgung sichern, das Gesundheitswesen wieder aufbauen und das Bildungswesen komplett renovieren. Genau daran werden die Ägypter die Moslembrüder messen – ob es ihnen gelingt, das wirklich auf den Hund gekommene Land wieder einigermaßen nach vorne zu bekommen. Nachhaltigen Streit um Frauenrechte können sich die „Brüder“ derzeit gar nicht leisten.

Das Argument, dass Moslembrüder und Salafisten sich im Parlament zu einer Koalition von 70 Prozent Islamisten zusammenfinden, ist auch nicht so richtig stichhaltig. Zum einen haben das die „Brüder“ kategorisch ausgeschlossen, zum anderen würden sich die mächtigen Moslembrüder doch nicht mit den relativ kleinen Salafisten in einen Wettbewerb darüber einlassen, wer nun der bessere Moslem ist.

Fazit: Für Frauen wird es im neuen Ägypten zunächst nicht leichter, sondern eher schwerer werden. Aber Vorstellungen, dass sie komplett aus dem öffentlichen Leben oder hinter Vollgesichtsschleiern oder gar Burkas verschwinden, sind auch übertrieben.

Hauptsache geschrieben

Manchmal ist es ja wirklich zum aus der Haut fahren. Da gibt man sich noch immer der Illusion hin, dass Blätter wie „Der Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ so etwas wie Qualitätsjournalismus vertreten. Erstaunlicherweise war in den Online-Ausgaben beider Blätter am Mittwoch – passend zum Jahrestag der Revolution – ein Beitrag zum Thema darbender Tourismus in Ägypten. Dass es sich um einen dpa-Bericht von Annette Reuther handelte – nun ja, geschenkt. Warum sollen Spiegel und SZ nicht auch mal eine Reportage bei der Agentur kaufen dürfen? Aber doch bitte nicht so etwas!

Auch in Luxor war im Januar von Hitze keine Spur

Da erklärt die Autorin den Januar zur Hochsaison, in der in Luxor „Touristenbusse Menschenmassen im Sekundentakt ausspucken.“ Aha. Schon wieder was gelernt. Ich war vielleicht fünf bis zehn mal im Januar in Ägypten. Selbst ohne Terror und Revolution ist die Zeit zwischen Mitte Januar und Ende Februar die touristenärmste. Doch die paar versprengten  Touristen, die laut Frau Reuther durch Luxors Ruinen irren, müssen auch noch leiden: „Auch am Tempel von Hatschepsut schleppen sich nur ein paar japanische Touristen in der Hitze die Treppen zu dem kolossalen Gebäude hoch.“ Soso, Hitze! In Ägypten klagen die Menschen derzeit über den kältesten Winter seit 20 Jahren. In Alexandria ist Schnee gefallen, auf dem Sinai ist das Katharinen-Kloster von Schnee bedeckt. In Luxor dürfte nachts einfach mal der Gefrierpunkt erreicht worden sein. In der Sonne wird’s dann wärmer. Ein wenig über 20 Grad. Oh, mein Gott, wenn das Hitze ist, was macht dann Frau Reuther im Juli im Tal der Könige, wenn es fast 50° C im Schatten hat – allerdings gibt es dort keinen Schatten. Das ist Hitze!!!

Sie scheint ja ziemlich gute Geschäfte gemacht zu haben, denn sie zitiert auch noch Händler, die ihre Waren nun zu Revolutionspreisen verramschen. Passt auch alles schön ins Klischee-Bild. In Hurghada haben mir mindestens zwei Taxifahrer ihre überhöhten Preise mit dem eklatanten Mangel an Touristen erklärt. Die kamen nicht einmal im Traum auf die Idee Revolutions-Sonderangebote zu machen, weil das Geschäft so mies läuft. Das Phänomen der steigenden Preise bei fallenden Touristenzahlen habe ich übrigens auch schon früher in Ägypten beobachtet. Sorry, Frau Reuther, aber bei den Revolutionsschnäppchen bin ich ebenso skeptisch wie bei der großen Hitze im Tal der Könige und dem Urlauber-Boom der normalerweise im Januar Luxor überrollt.

Doch dann kam der Satz, der mich so richtig sauer gemacht hat: „Der Sieg der Islamisten und Berichte, wonach in Ägypten eine Religionspolizei nach saudischem Vorbild und ein Bikini-Verbot eingeführt werden sollen, dürften die Reisenden weiter eher skeptisch stimmen.“ Da spricht nun die wahre Expertin. Also für alle zum Mitschreiben: Es wird in Ägypten weder ein Bikiniverbot, noch ein Alkoholverbot, noch getrennte Strände oder eine Religionspolizei geben. Das haben die Moslembrüder ganz klar ausgeschlossen, weil sie selbst wissen, wie dringend sie das Geld aus dem Tourismus brauchen. Selbst bei der salafistischen Partei „El Nour“ hat es noch keinen einzigen Politiker gegeben, der solche Forderungen aufgestellt hat. Sie kommen nur von Salafisten nahestehenden Sheiks oder Imamen. Einer von ihnen hat sogar gefordert, dass Frauen auf dem Markt keine Bananen und keine Gurken mehr kaufen dürfen. Mann, hat der eine schmutzige Fantasie. Aber er ist jetzt auch in ganz Ägypten eine Lachnummer.

Ob der detailgenauen Beschreibung sind zumindest Zweifel erlaubt, ob diese Frau im Januar tasächlich in Ägypten war. Wenn sie wirklich dort war, dann handelt es sich „nur“ um schlechten Journalismus. War sie nicht dort, wäre die Geschichte gefaket und der Presserat sollte sich damit auseinandersetzen. Das Land hat wirklich schon Probleme genug. Da braucht es nicht noch solche Artikel.

 

Angekommen

In all den Jahren, in denen ich nach Ägypten komme, hat mich stets die Dynamik beeindruckt, mit der sich alles ändert. Doch um ehrlich zu sein, waren das dann doch eher äußerliche Dinge. Am Roten Meer wurden in Rekordzeit Hotels und Wohnblocks hochgezogen. Aus Gassen wurden Boulevards, in der Wüste gab es plötzlich Autobahnen (streckenweise sogar beleuchtete). Innerhalb von zwanzig Jahren wurde aus dem kleinen Fischerdorf Hurghada eine Stadt mit 60 Kilometern bebauter Küstenlinie.

Diesmal sind die Veränderungen doch ganz andere. In den ersten zwei Tagen in Ägypten, habe ich sehr viel Skepsis gehört – von den Europäern. Es sind genau die Europäer, die vor einem Jahr mit den Ägyptern die Revolution gefeiert haben. Die Situation scheint mir sehr ambivalent. Einerseits ist da die Genugtung darüber, dass das alte Regime nun weg ist, andererseits ist da die Unsicherheit darüber, was nun kommt. Das eigentliche Problem akut aber ein ganz anderes. „Es sind die kleinen Moslembrüder und die kleinen Salafisten“, sagt Thomas. Tatsächlich gibt es nun einige, die sich ganz bewusst mit den Europäern, die im Land leben, anlegen, weil sie glauben, ihnen nun vermeintliche Pfründe streitig machen zu können. Im Tourismus tätige Mittelständler haben die nicht ganz unbegründete Angst, nun verdrängt zu werden. Die Argumentation ist dabei ebenso offen wie absurd. „Ihr schafft das Geld hier raus, das wir selbst verdienen könnten“. Sie vergessen dabei, dass die angeblich so raffgierigen Europäer im Tourismus nun ja ganz offensichtlich drei bis vierfach höhere Löhne bezahlen, als Ägypter oder der Staat in anderen Wirtschaftszweigen.

Touristen dagegen spüren – wenigstens hier in Hurghada – wenig, außer, dass die Stadt erschreckend leer ist – und die Preise deutlich in die Höhe gegagangen sind. Das allerdings ist ein durchaus bekanntes Phänomen, das so manchen Wirtschaftswissenschaftler die Haare raufen lässt. Schon früher war es so, dass die Taxifahrer und die Shops immer dann besonders viel von den Touristen verlangt haben, wenn die Stadt leer war. Gestern fuhr ich mit dem Taxi vom Arabia Hotel zum Le Pacha. Der Fahrer wollte für die Tour 30 LE (ägyptische Pfund) vor einem Jahr war die Fahrt noch für 10 zu haben. Ich erklärte ihm, dass 30 LE am helllichten nachmittag dann doch ziemlich viel seien. Seine Antwort: „Ich steh den ganzen Tag vor dem Hotel und keiner will mit mir fahren, weil keine Touristen in der Stadt sind.“ Diese verblüffende Ehrlichkeit ist dann auch wieder typisch ägyptisch.

Die Dividende der Revolution

Vor vielen Jahren erklärte mir ein ägyptischer Unternehmer: „Nirgendwo auf dieser Welt gibt es so viele Generäle wie in Ägypten.“ Ich war schon einigermaßen verblüfft. Doch er verdeutlichte es mir ziemlich einfach: „Jeder Soldat, der entlassen wird, rechnet im Zivilleben anschließend nach, welchen Rang er erreicht hätte, wenn er jetzt noch beim Militär wäre. Irgendwann mal sind dann alle Generäle.“

Inzwischen hat sich das wohl ein wenig geändert. Tatsache ist aber, dass das Militär bis vor einem Jahr sehr beliebt war, obwohl es seit fast 60 Jahren einen Staat im Staat darstellt. Das dürfte daran liegen, dass es die „Gruppe der freien Offiziere“ war, die 1952 den korrupten Könik Faruk zum Teufel jagte. Auch das war damals eine Revolution. Eine der wichtigen Errungenschaften dieser Revolution war das Frauenwahlrecht. (In diesem Zusammenhang drängt sich mir eine ganz aktuelle Frage auf: Jehan al-Sadat schreibt in ihrer Autobiographie „Ich bin eine Frau aus Ägypten“, dass es 1976 in Ägypten für die Männer Wahlpflicht und für Frauen das Wahlrecht gab. Wie sieht das 2011 aus?)

Tatsächlich gehörten Frauen zu den großen Gewinnerinnen der Revolution von 1952. Da mutet es schon sehr bedrückend an, dass es in diesen Tagen ausgerechnet Frauen sind, die sich vom ägyptischen Militär über den Tahrir jagen lassen müssen, die verprügelt und denen die Kleider vom Leib gerissen werden. Auf der anderen Seite fällt auf, dass offenbar ein machtvolles Wort der US-Außenministerin(!) genügt, und die Generäle knicken ein. Damit will ich natürlich nicht den Marsch der Frauen am Dienstagabend unterbewerten. Aber die lautstarke Solidarisierung von Hillary Clinton wird schon ihren Teil zu der überraschenden Entschuldigung des Militärrats beigetragen haben.

Trotzdem, es gibt in Ägypten durchaus auch Leute, die dieses Horrorbild von der verprügelten Demonstrantin ganz anders bewerten, als der Rest der Welt. Eine brave, fromme Ägypterin würde niemals einen blauen BH tragen, und deshalb könne diese Frau nur eine Prostituierte sein. Hm, als ich das gehört habe, fiel mir ein, dass angeblich Frauen schwerreicher Saudis regelmäßig tief verschleiert Pariser Dessous-Geschäfte leer kaufen. Das Geld, das dann noch übrig bleibt, spenden ihre Männer dann vermutlich an die ägyptischen Salafisten.

Doch ernsthaft: Es waren vor einem Jahr auch unzählige Frauen, die auf dem Tahrir dafür sorgten, dass das Mubarak-Regime gestürzt wurde. Ausgerechnet sie sollen nach der Revolution weniger Rechte haben, als zuvor? Sogar die Frauenquote, noch von Mubarak eingeführt, auf den Kandidatenlisten zur Wahl ist schon gekippt worden. Aus europäischer Sicht verläuft die Bruchlinie im Ägypten nach der Revolution zwischen Säkularen und Islamisten. Vielleicht verläuft sie seit gestern auch zwischen Männern und Frauen.

Von Salafisten und Piraten

Leider kann ich den schönen Kommentar nicht mehr finden, den mir Thomas aus Ägypten zum Thema Piraten auf Facebook gepostet hatte. Ich find ihn überaus witzig, aber nicht so ganz treffend. Er verglich die Piraten mit den Salafisten in Ägypten. Aber so, dachte ich mir, stellen sich unsere Landsleute in 3.500 Kilometern Entfernung eben das Phänomen Piratenpartei vor. Heute morgen schlage ich den Berliner „Tagesspiegel“ auf und finde auf der Meinungsseite den Kommentar: „Ein Kreuzchen bei Allahs Piratenpartei„. Den Kommentar fand ich übrigens bemerkenswert gut.

Natürlich tut man sowohl den Piraten in Deutschland, als auch den Salafisten in Ägypten bitter Unrecht, wenn man sie miteinander vergleicht. Genau deshalb will ich das mal versuchen. Zu den Forderungen der Piraten zählen: Kostenloser Personennahverkehr, Bedingungsloses Grundeinkommen und eine Novellierung des Urheberrechtsgesetzes. Kostenlosen Nahverkehr find ich klasse. Das wäre sogar finanzierbar, wenn der Senat einige heilige Kühe schlachten würde und es sich so richtig mit der Autolobby verscherzen will. Das Bedinungslose Grundeinkommen auf der Basis der negativen Einkommensteuer unter Einbeziehung einer steuerlichen Berücksichtigung ehrenamtlicher Tätigkeiten unterstützte ich schon lange bevor es die Piraten gab. Mit der Lockerung des Urheberrechts können die Piraten bei mir logischerweise nicht landen. Hey – ich lebe schließlich auch von Urheberrechten.

Die Salafisten wollen den Alkohol in den Urlaubsgebieten (und wohl auch sonst) verbieten. Sagen wir mal so: Es gibt eine bestimmte Sorte von Urlaubern, denen sollte der Alkohol tatsächlich einfach verboten werden und nicht nur in Ägypten. So, wie die sich benehmen, ist es einfach eine kolossale Respektlosigkeit dem Gastland gegenüber. Die Salafisten wollen auch Bikinis und ähnliche westliche Teufelstextilien verbannen. Auch hier muss ich daran denken, wie sich manche Touristin durch die Straßen und Gassen bewegt. Hier gilt das gleiche wie für den Alkohol. Wer im Bikini auf den Basar geht, zeigt damit nicht westliche Aufgeschlossenheit, sondern nur mangelnden Respekt. Ach ja, dann wollen die Salafisten nicht das Baden an sich verbieten, aber die Strände nach Geschlechtern trennen. Das ist nun eine wirklich dämliche Idee. Sollen denn die Beachboys und Handtuchjungs nur noch die Herren der Schöpfung glücklich machen? Die zweifellos notwendige weibliche Personaldecke zur Befriedigung der Bedürftnisse am Damenstrand wird entschieden zu dünn sein. Faktisch liefe das auf ein Strandverbot für Frauen hinaus – aber dann braucht niemand mehr nach Geschlechtern getrennte Strände.

Natürlich ist vielen der Schrecken in die Glieder gefahren, als die Salafisten bei über 20 Prozent gelandet sind. Doch dort, wo angebliche ihre größte Klientel lebt, ist die indirekte Abhängigkeit vom Tourismus auch am größten. Im Schnitt ernährt jeder Angestellte aus Oberägypten, der zum Beispiel in Hurghada arbeitet, zehn Menschen in seinem Heimatort. Die werden doch ihre Existenzgrundlage nicht aufs Spiel setzen.

Selbst die Moslembrüder, deren natürliche Verbündete die Salafisten eigentlich sein müssten, fassen ihre Brüder in Allah nur mit der Feuerzange an. Trotzdem könnten die Salafisten für den Tourismus vielleicht sogar etwas Gutes bringen, dann nämlich, wenn sich Gäste in ihrem Verhalten selbst hinterfragen. Das heißt jetzt nicht, sich in Galabeja und Schleier zu hüllen, sondern einfach ein wenig mehr Respekt zu zeigen (was der größere Teil der Urlauber übrigens auch tut).

Eigentlich halte ich es mit Mark Twain, der nie Voraussagen machte, schon gar keine, die die Zukunft betrafen. Aber ich wage mal die Prognose, dass die Piraten in Deutschland in zehn Jahren mehr erreicht haben werden, als die Salafisten in Ägypten.