Wer soll es denn machen ?

Es ist schon erstaunlich, wer einen Tag nach der Katastrophe von Port Said seinen Posten räumen musste. Dass der Gouverneur der Provinz Port Said und sein Sicherheitschef abgesägt wurden, ist klar. Das aber gleich der ganze Vorstand des Fußballclubs von El Masry geschlossen aus dem Amt gejagt wurde, ist schon ein wenig kurios. Die Demonstranten fordern jetzt aber den Kopf des Innenministers Mohammed Ibrahim und am besten gleich den Rücktritt des gesamten Kabinetts Kamal el Gansuri. Ganz besonders kecke Demonstraten haben sogar schon nach der Todesstrafe für Feldmarschall Mohamed Tantawi verlangt. Die, die etwas besonnener sind, rufen zumindest nach Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft.

Der Militärrat hatte ja im Herbst schon Schwierigkeiten, überhaupt wieder einen Premierminister zu finden. Dass es dann Gansuri wurde, hatte die Protestbewegung im höchsten Maße empört. Gansuri war schon einmal unter Mubarak der Ministerpräsident. Dass Gansuri mit fast 80 Jahren keinen besonderen persönlichen Ehrgeiz entwickelt, ist eigentlich klar. Er wurde es, weil der Militärrat einfach keinen anderen fand. Unmittelbar vor den Parlamentswahlen wollten sich weder Moslembrüder noch die Liberalen an diesem Amt die Finger verbrennen.So ähnlich sieht es jetzt auch in Sachen Präsidentschaftswahlen aus. Da traut sich noch niemand, sich so richtig zu positionieren.

Gesetzt den Fall, der Militärrat würde nun tatsächlich geschlossen zurücktreten. Wer sollte es dann machen? Es wird ja gefordert, dass die Präsidentschaftswahlen vorgezogen werden sollen. Aber es scheint kein mehrheitsfähiger Kandidat in Sicht. Die Moslembrüder, die mit der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ über die größte Fraktion im Parlament verfügen, haben schon angekündigt, auf einen eigenen Kandiadaten verzichten zu wollen und statt dessen einen Konsenskandidaten über die Parteigrenzen hinweg finden zu wollen. Allerdings wollen sie in der Verfassungsgebenden Versammlung, in der sie wohl auch die Mehrheit erreichen werden, das präsidiale System durch ein parlamentarisches System ersetzen – damit hätten sie dann tatsächlich das Sagen. Aber diese Verfassung muss ja auch erst mal ausgearbeitet werden.

Derzeit gibt es, so sehr man das bedauern mag, gar keine vernünftige Alternative. Diejenigen, die sich als solche angeboten haben, wie zum Beispiel der frühere Chef der Atomaufsichtebehörde und Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradai, sind inzwischen völlig verbrannt. Die Argumentation, warum die Ägypter El Baradai nicht als Präsidenten sehen wollten, klang doch einigermaßen verblüffend: El Baradai habe zu lange im Ausland gelebt und dadurch den Bezug zum gemeinen Ägyptischen Volk verloren. Auslandserfahrung als Berufshindernis? Dabei sollten die Ägypter nur ein wenig in ihrer einen Geschichte graben. Zwei ihrer größten Führer waren Saladin im ausgehenden Mittelalter und Mohammed Ali Pascha im 19. Jahrhundert. Beide werden von den Ägyptern bis zum heutigen Tage hoch verehrt. Die Sache hat nur einen kleinen Haken. Diese beiden größten Söhne Ägyptens waren gar keine Ägypter. Saladin war Kurde und kam aus dem heutigen Irak. Mohammed Ali wurde als Sohn albanischer Eltern in Nordgriechenland geboren.

Vielleicht sollten sie es tatsächlich mal wieder mit einem von auswärts probieren. Ich hatte sie Idee schon vor drei Wochen in Ägypten mal vorsichtig anklingen lassen und meinte, dass wir demnächst vielleicht einen Präsideten mit Berufserfahrung billig abzugeben hätten. Die Antwort war niederschmetternd: „Danke, korrupt sein können wir auch selbst.“

Der Schock sitzt tief

Es ist gerade mal vier Wochen her, da veröffentlichte ich den Blogeintrag „Sie wollen nur spielen“. Unter anderem ging es dabei um ein Fußballspiel in der ersten ägyptischen Liga. El Gouna empfing den Tabellennachbarn von El Masry. Auch damals sorgten die Ultras der Gäste für Unruhe, als die einen leeren Gästeblock stürmten. Dass es jetzt aber soweit kommt, hat mich tief schockiert. In der Rückschau scheint die Wortwahl nun unangemessen flapsig. Doch wer kann so etwas schon voraussehen? Würde ich alle Möglichkeiten und Eventualitäten einkalkulieren, gäbe es hier keinen Platz mehr für ironische Zwischentöne und sarkastische Seitenhiebe.

Die Ultras von El Masry fielen schon beim Spiel in El Gouna Anfang Januar auf. Aber haben sie auch den Angriff auf die Al-Ahly-Fans zu verantworten?

Trotzdem – kam das wirklich so überraschend? Es gibt einige bemerkenswerte Tatsachen im Vorfeld der Katastrophe von Port Said, die niemand außer acht lassen darf. Fußball ist in Ägypten seit jeher eine hochemotionale Angelegenheit. Die Spiele zwischen den Kairoer Vereinen Al Ahly und Zamalek gehören zu den brisantesten Begegnungen überhaupt. Für das Lokalderby der ersten Liga werden regelmäßig ausländische FIFA-Schiedsrichter eingeflogen. Schwere Auseinandersetzungen zwischen beiden Fan-Gruppen sind fast an der Tagesordnung.

Im Vorfeld der Fußball-WM in Südafrika gab es im Oktober und November 2009 zwei Qualifikationsspiele gegen Algerien. Nach dem Spiel in Kairo war ein Entscheidungsspiel auf neutralem Boden notwendig geworden. Bereits in Kairo war es zu schweren Auseinandersetzungen gekommen. Die wiederholten sich im sudanesischen Omdurman. Beide Länder behaupteten später, das es bei den Fußballkrawallen jeweils auf der eigenen Seite Tote gegeben habe. Bewiesen ist das bis heute nicht.

Seit dem Beginn der Arabellion ist die Zahl der Spielabbrüche in der ersten ägyptischen Liga sprunghaft angestiegen – und das, obwohl die Polizei nun viel massiver präsent ist, als zuvor. Allerdings ist es auch eine schwer zu leugnende Tatsache, dass sich die Polizei seit Ausbruch der Revolution schnell verkrümelt, wenn es zu heiß wird – um dann auch machmal wieder in Zivil zu erscheinen, wie das heute vor einem Jahr bei der sogenannten Kamelschlacht der Fall war. Es sollen Polizisten gewesen sein, die sich damals aus den Ställen vor den Pyramiden Pferde und Kamele besorgt haben, um dann mit Knüppeln, Latten und Säbeln bewaffnet im Galopp durch die Menge auf dem Tahrir zu reiten.

Damals standen die treusten Fans von Al Ahly in den vordersten Reihen der Demonstranten. Dass es am Vorabend des Jahrestages der Kamelschlacht zu einer Abrechnung im Stadion gekommen sein könnte, ist ganz und gar nicht ausgeschlossen. Ob es wirklich minutiös geplante Attacke der alten Mubarak-Kader war wird sich allerdings erst noch weisen müssen.Warnungen, Drohungen und Hinweise hat es im Vorfeld jedenfalls gegeben.

Vielleicht wird der ein oder andere, angesichts von über 70 Toten (angeblich schweben 170 Verletzte noch in Lebensgefahr), sagen, dass es doch völlig unerheblich ist, ob der Angriff einen politischen Hintergrund hat, oder ob die El-Masry-Ultras einfach durchgedreht sind. Allerdings pflegt man einen 3:1-Sieg über die erfolgreichste Mannschaft des Kontinents eher nicht mit dem Niedermetzeln deren Fans zu feiern. Doch die Antwort auf gerade diese Frage ist für das Land ungemein wichtig. Wenn der Demokratisierungs- und Neuordnungsprozess in Ägypten auf diese Weise torpediert werden sollte, dann reicht die Bedeutungsschwere weit über 70 Menschenleben hinaus. Dann ist es eine Frage der Zeit, wann das alte Regime das nächste Mal zuschlagen wird und eine Frage, in welchem Gewand die Mubarak-Schärgen dann auftauchen werden.

Bereits jetzt glauben nicht wenige Ägypter daran, dass die Anschläge 1997 in Luxor, 2004 in Taba und 2005 in Sharm el Sheik gar nicht auf das Konto von Gamaa al Islamiyya und Al Khaida gingen, sondern ebenfalls vom ehemaligen Regime inszeniert worden sind. Das zeigt, wie weit die Verschwörungstheorien inzwischen gediehen sind. Lässt sich tatsächlich nachweisen, dass die Krawalle in Port Said aus politischen Gründen in Szene gesetzt wurden, dann wird das noch mehr Unruhe und Misstrauen in das Land tragen.

Auf dem langen und steinigen Weg zu geordneten Verhältnissen ist Ägypten am Abend des 1. Februar wieder zurückgeworfen worden. So viel steht leider fest.

Noch zwei Beiträge aus der Süddeutschen online:

Die Polizei stand einfach da und hat zugeschaut

Wir werden nie wieder Fußball spielen

Hauptsache geschrieben

Manchmal ist es ja wirklich zum aus der Haut fahren. Da gibt man sich noch immer der Illusion hin, dass Blätter wie „Der Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ so etwas wie Qualitätsjournalismus vertreten. Erstaunlicherweise war in den Online-Ausgaben beider Blätter am Mittwoch – passend zum Jahrestag der Revolution – ein Beitrag zum Thema darbender Tourismus in Ägypten. Dass es sich um einen dpa-Bericht von Annette Reuther handelte – nun ja, geschenkt. Warum sollen Spiegel und SZ nicht auch mal eine Reportage bei der Agentur kaufen dürfen? Aber doch bitte nicht so etwas!

Auch in Luxor war im Januar von Hitze keine Spur

Da erklärt die Autorin den Januar zur Hochsaison, in der in Luxor „Touristenbusse Menschenmassen im Sekundentakt ausspucken.“ Aha. Schon wieder was gelernt. Ich war vielleicht fünf bis zehn mal im Januar in Ägypten. Selbst ohne Terror und Revolution ist die Zeit zwischen Mitte Januar und Ende Februar die touristenärmste. Doch die paar versprengten  Touristen, die laut Frau Reuther durch Luxors Ruinen irren, müssen auch noch leiden: „Auch am Tempel von Hatschepsut schleppen sich nur ein paar japanische Touristen in der Hitze die Treppen zu dem kolossalen Gebäude hoch.“ Soso, Hitze! In Ägypten klagen die Menschen derzeit über den kältesten Winter seit 20 Jahren. In Alexandria ist Schnee gefallen, auf dem Sinai ist das Katharinen-Kloster von Schnee bedeckt. In Luxor dürfte nachts einfach mal der Gefrierpunkt erreicht worden sein. In der Sonne wird’s dann wärmer. Ein wenig über 20 Grad. Oh, mein Gott, wenn das Hitze ist, was macht dann Frau Reuther im Juli im Tal der Könige, wenn es fast 50° C im Schatten hat – allerdings gibt es dort keinen Schatten. Das ist Hitze!!!

Sie scheint ja ziemlich gute Geschäfte gemacht zu haben, denn sie zitiert auch noch Händler, die ihre Waren nun zu Revolutionspreisen verramschen. Passt auch alles schön ins Klischee-Bild. In Hurghada haben mir mindestens zwei Taxifahrer ihre überhöhten Preise mit dem eklatanten Mangel an Touristen erklärt. Die kamen nicht einmal im Traum auf die Idee Revolutions-Sonderangebote zu machen, weil das Geschäft so mies läuft. Das Phänomen der steigenden Preise bei fallenden Touristenzahlen habe ich übrigens auch schon früher in Ägypten beobachtet. Sorry, Frau Reuther, aber bei den Revolutionsschnäppchen bin ich ebenso skeptisch wie bei der großen Hitze im Tal der Könige und dem Urlauber-Boom der normalerweise im Januar Luxor überrollt.

Doch dann kam der Satz, der mich so richtig sauer gemacht hat: „Der Sieg der Islamisten und Berichte, wonach in Ägypten eine Religionspolizei nach saudischem Vorbild und ein Bikini-Verbot eingeführt werden sollen, dürften die Reisenden weiter eher skeptisch stimmen.“ Da spricht nun die wahre Expertin. Also für alle zum Mitschreiben: Es wird in Ägypten weder ein Bikiniverbot, noch ein Alkoholverbot, noch getrennte Strände oder eine Religionspolizei geben. Das haben die Moslembrüder ganz klar ausgeschlossen, weil sie selbst wissen, wie dringend sie das Geld aus dem Tourismus brauchen. Selbst bei der salafistischen Partei „El Nour“ hat es noch keinen einzigen Politiker gegeben, der solche Forderungen aufgestellt hat. Sie kommen nur von Salafisten nahestehenden Sheiks oder Imamen. Einer von ihnen hat sogar gefordert, dass Frauen auf dem Markt keine Bananen und keine Gurken mehr kaufen dürfen. Mann, hat der eine schmutzige Fantasie. Aber er ist jetzt auch in ganz Ägypten eine Lachnummer.

Ob der detailgenauen Beschreibung sind zumindest Zweifel erlaubt, ob diese Frau im Januar tasächlich in Ägypten war. Wenn sie wirklich dort war, dann handelt es sich „nur“ um schlechten Journalismus. War sie nicht dort, wäre die Geschichte gefaket und der Presserat sollte sich damit auseinandersetzen. Das Land hat wirklich schon Probleme genug. Da braucht es nicht noch solche Artikel.

 

Wieder daheim

Irgendwie erwischt einen der Alltag dann doch ganz schnell wieder. Gestern Abend gelandet und heute schon wieder in einem (aufgeräumten????) Büro. Zugegeben, das aufgeräumt war für mich tatsächlich sehr ungewöhnlich. Warum lass ich auch alles stehen und liegen, wenn ich wegfliege.

Bye, bye Hurghada

Ägypten lässt mich hier natürlich auch nicht in Ruhe. Aber es ist schon krass, wie unterschiedlich die Dinge in Ägypten und in Deutschland gesehen werden. Da wird es zu einem ganz großen Thema, dass einige Islamisten beim Schwur auf die Verfassung der Eidesformel noch „wenn es der Scharia entspricht“ zufügten und vom Parlamentspräsidenten zurückgepfiffen wurden. Übrigens hat auch ein Sozialdemokrat, der nun wirklich nicht im Verdacht steht, islamistisch zu sein, der Eidesformeln noch einen Satz angehängt, in dem er die Märtyrer vom Tahrir beschwört.

Vor ein paar Tagen hörte ich noch in Ägypten, dass die Militärs nach der Wahl die Regierung nicht auswechseln wollen. Auch das hat zu einigen Irritationen geführt. Jetzt habe ich mir mal die ägyptische Verfassung – zugeben nur oberflächlich – angesehen. Siehe da, Ägypten hat noch immer eine präsidiale Verfassung – aber keinen Präsidenten. Eigentlich ist der Militärrat der Präsident. Nun ist es mitnichten so, dass in einem Präsidialstaat die Regierung vom Parlament gewählt wird. Zum Beispiel Frankreich. Da wählt die Nationalversammlung auch nicht die Regierung. Oder wie ist es in den USA? Bestimmt da der Kongress, wer Minister wird? Man kann den Militärs in Ägypten ja vieles vorwerfen, aber dass sie nach den Wahlen die Regierung nicht austauschen, ist einfach mal verfassungskonform.

Allerdings ist das wichtigste Recht des Parlaments das Etatrecht, es wird als das Königsrecht des Parlaments bezeichnet. Doch genau da beschneiden die Militärs das Recht der Legislative, nämlich dann, wenn es um den Haushalt den Armee geht, in dem viele ausländische Milliarden stecken. Genau das könnte aber zur Nagelprobe für Ägypten auf dem Weg zur Demokratie werden. Gelingt es dem neugewählten Parlament, sein Königsrecht in ganzem Umfang durchzusetzen, dann wird das mit der Demokratie im Laufe der Zeit schon klappen. Gelingt es nicht, dann wird es kaum möglich sein, die Mubarak-Strukturen zu beseitigen. Denn wenn die bleiben, werden sie den Weg zur Demokratie verstellen, soviel dürfte wohl sicher sein.

Zum Schluss doch noch etwas Persönliches: Ich war heute mit Robert auf der Urbanstraße unterwegs und da fiel es mir prötzlich auf. Diese himmlische Ruhe im Auto. „Soll ich das Radio anmachen?“ fragte er irritiert. „Nein“, meinte ich, „Keiner hupt und alle fahren sie in Reih und Glied.“ Drei Wochen können manchmal schon eine lange Zeit sein…

Bittere Erkenntnis

Der Tourismusboom in Hurghada begann im November 1986. Im Juni 1991 kam ich zum ersten Mal in die Stadt, als ganz normaler Tauchtourist. Drei Jahre später begann ich hier gelegentlich als Tauchguide zu arbeiten. Seit 1997 schreibe ich über den Fremdenverkehr in Ägypten, 2003 erschienen meine ersten Bücher zum Thema „Ägypten und der Tourismus“. Eigentlich sollte ich Bescheid wissen. Ich habe die Urlaubsindustrie am Roten Meer als wirtschaftlich wichtigste Einnahmequelle beschrieben, weil rund jeder vierte Ägypter direkt oder indirekt an dieser Industrie hängt. Ich habe auch über die Gefahren berichtet, die dieses Phänomen mit sich bringt, dass nämlich immer mehr Menschen in diesem Sektor arbeiten wollen, weil hier die Löhne höher sind, als die Entlohnung für Ärzte oder Lehrer.

Das marode Bildungssystem war ebenso ein Thema, wie das Furcht erregende staatliche Gesundheitssystem. Wer Anfang der 90er ins Generalhospital musste, wurde von den Freunden verabschiedet, als begäbe er sich auf eine Reise ohne Wiederkehr. Glück hatte, wer ins Marine-Hospital kam, und als schließlich das private El Salam Hospital eröffnet wurde, schien der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten. Die ägyptischen Schüler lernen in der Schule zwar nichts, und die Eltern werden von den Lehrern, die die Kinder schlecht oder gar nicht unterrichten, aufgefordert, Geld für private Nachhilfestunden zu bezahlen, die eben diese Lehrer dann selbst geben – aber was soll’s? In El Gouna entwickelte sich schnell eine inzwischen renommierte internationale Schule. Die vierte Klasse der deutschen Schule in Hurghada hat gerade den Mathematikpreis der Freien Universität Berlin gewonnen.

Mal ganz ehrlich, der Fortschritt in Ägypten schien doch nicht aufzuhalten!

Fortschritt? Wenn es überhaupt so etwas wie Fortschritt gegeben hat, dann nur in einem kleinen privatfinanzierten Bereich, der auch nur einer immer kleiner werdenden Gruppe von Ägyptern zugute kommt, nämlich der, die Geld hat. Ansonsten sind es Ausländer, die von privaten Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen profitieren.

Heute muss ich einsehen, dass Ägypten in diesen 20 Jahren, in denen ich das Land bereise und darüber berichte, völlig auf den Hund gekommen ist – und ich habe es nicht einmal bemerkt. Und ich bin nicht der einzige Europäer hier, dem diese Einsicht so langsam dämmert. Es ist nicht so, dass wir die Missstände nicht gesehen hätten. Was wir völlig ausgeblendet haben, war die Tatsache, dass es von Jahr zu Jahr schlimmer wurde. Wir haben das Übel als etwas Statisches betrachtet, das zu dem Land gehört, wie die Pyramiden. Eine schnell wachsende Metropole wir Hurghada hat natürlich darüber hinweg getäuscht, dass es mit dem gesamten Land in gleichem rasanten Maße bergab ging. Als ich das erste Mal Ägypten verließ, wurde mein Gepäck noch mit einer Personenwaage abgewogen! Inzwischen gibt es hier einen hochmodernen Airport. Früher brauchte der Reisende Travellerschecks und Dollar, heute stehen an allen Ecken Geldautomaten. McDonalds und Burger King sind auch schon da. Das alles kann doch kein Zeichen für Rückschritt sein! Vielleicht nicht, aber es hat möglicherweise den Blick darauf verstellt, wie rasant sich die grundlegenden Dinge für die allgemeine Bevölkerung verschlechtert haben.

Urlauber müssen sich darüber keine Gedanken machen. Sie sollen hier ihre wohlverdienten Ferien genießen. Aber die, die leben, lebten, arbeiten oder gearbeitet haben, könnten sich heute vielleicht die ein oder andere Frage stellen. Natürlich ist der Tourismus nicht schuld daran, dass die Dinge so liegen, wie sie nun mal liegen. Aber komisch ist es schon, dass die Europäer während der ägyptischen Revolution viel panischer reagiert haben, als ihre ägyptischen Mitbewohner. Die nehmen die Umwälzung mit der Gelassenheit einer 7000 Jahre alten Hochkultur. Zwar gehen sie jetzt wegen jedem Dreck auf die Straße und demonstrieren lautstark, aber die Zukunftsangst der Europäer kennen sie nicht. Warum auch? Sie haben ja viel weniger zu verlieren. Und? Was wird aus eurem Land? „Mafish mushkella“ – „Kein Problem“. Irgendwie wird es schon klappen.

Auf hoher See…

Eigentlich ist es schon ein seltsames Phänomen. In kaum einem Land ist der Tourismus älter als in Ägypten. Immerhin hat schon Herodot auf die Pyramiden als Sehenswürdigkeit hingewiesen. Aber der Massentourismus, der nun so viel Geld ins Land bringt, dass ganz Ägypten am Tropf des Fremdenverkehrs hängt, ist gerade mal etwa 25 Jahre alt. Und dass es überhaupt dazu kam, hat Ägypten einer ganz bestimmten Klientel zu verdanken. Die ersten, die mit Kamelen, Jeeps und Unimogs ans Rote Meer pilgerten, waren Taucher. Für die wurden erst Zeltplätze, dann ein paar Baracken und schließlich kleine Hotels errichtet. Kaum standen die Hotels, brachten die ersten Taucher ihre Familien mit. Die nichttauchenden Familienmitglieder fanden die unberührten Strände ganz toll – und so nach und nach kamen die ersten Urlauber, die nur der Strände wegen kamen. Und so wuchsen, ja wucherten die Hotels am Roten Meer.

Inzwischen machen in normalen Zeiten die Taucher in Hurghada nur noch etwas mehr als zehn Prozent der Touristen aus. Aktuell sind es aber über 30 Prozent. Und so war es auch in der Vergangenheit. Ich kam 1991 drei Monate nach dem Golfkrieg zum ersten Mal nach Hurghada. Strandtouristen gab es praktisch keine, aber die Tauchboote waren voll. Tatsächlich haben sich Taucher in all den Jahren nie von irgendwelchen Krisen und Katastrophen abhalten lassen. Natürlich gehen auch die Taucherzahlen in diesen Zeiten zurück. Sie brechen aber nie so dramatisch ein, wie die der „normalen“ Urlauber. Sie sind strukturell die wichtigste Urlaubergruppe geblieben und sie haben den Fremdenverkehr immer wieder über manche Krisenzeiten gerettet.

Klein Giftun (rechts)

Ich war heute zwischen den Giftuninseln tauchen. Nun gehört Sha’ab Dorfa nicht gerade zu meinen Lieblingsplätzen. Aber zwei große Napoleons und zwei üppige Schildkröten machen auch solch einen Platz zu einem schönen Erlebnis, über das dann an Bord lang und ausdauernd geredet wird. Die Revolution war weit, weit weg – wie eigentlich immer an Bord. Da geht es eigentlich nie um Politik, sondern nur ums Tauchen. Das Boot und das Meer bieten eine gewisse Sicherheit vor all den Unbilden an Land. Selbst die ägyptische Besatzung verändert sich komplett. Vor dem Ablegen wurde ich noch Zeuge einer hitzigen politischen Diskussion zwischen unserem Kompressorchef Mustafa und dem Kaptain unseres Bootes. Das einzige, was ich verstand, war immer wieder der Name Mubarak. Kaum hatte das Boot abgelegt, wurde die Stimmung viel entspannter und lustiger. Umgekehrt funktioniert es allerdings auch. Kaum sind alle wieder wohlbehalten an Land, drehen sich die Diskussionen beim Dekobier um Politik, Revolution und die Auswirkungen auf den Tourismus.

Andreas war heute noch besonders empört, über das, was ihm vor einem Jahr passierte, als er zum Tauchen nach Hurghada fliegen wollte. „Vier Tage vor Abflug ruft das Reisebüro an und erklärt mir, dass meine Reise storniert worden sei…“ Es hätte ihn dann kurzerhand auf ein anderes Ziel umgebucht. „Ich musste dann nach Teneriffa“, erzählte er angewidert. Das Mitgefühl aller anderer Taucher war ihm sicher.

Die Freiheit der Meinung

30 Jahre lang war das mit der Meinungsfreiheit so eine Sache. Nun nutzen die Ägypter diese Freiheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit – und dehnen den Begriff dabei bisweilen in einer Art und Weise aus, die den freiheitsliebenden Europäer dann doch etwas verblüfft. Manchmal kann der Anlass ein scheinbar nichtiger sein. Gestern morgen lag in Hurghada ein unschuldiger Gullideckel auf der Straße herum und nicht da, wo er liegen sollte. Früher wäre ein daraus resultierender Achsbruch mit Schulterzucken als der unergründliche Wille Allahs abgetan worden. Doch das Schicksal wollte es, dass sich an diesem Morgen ein Taxi, das sich in diesem Schlagloch verfing, mehrfach überschlug und auf dem Kopf liegen blieb.

Was ein Gullydeckel so anrichten kann.... Foto: Hadad Khairy

Doch Allah ist mit den Seinen und der Fahrer blieb unverletzt. Es blieb allerdings die Frage, wie der Gullideckel dahin kam, wo er lag. Die Antwort lag auf der Hand: Es handelte sich um eine Schlamperei der Straßenbaubehörden. Und wer ist verantwortlich für Behörden? Der Gouverneur! Es kam zu einer großen Demonstration, die den Verkehr auf der Hauptverkehrsstraße komplett lahm legte. Die erste Forderung der Demonstranten: Der Gouverneur muss her, er soll sich die Sauerei ansehen und für Abhilfe sorgen. Außerdem sollte er umgehend ein Ersatzfahrzeug für den verunglückten Fahrer stellen, dessen Fahrzeug nur noch Schrottwert hatte. Der Gouverneur zeigte sich zwar nicht, aber natürlich wurden sowohl Abhilfe bei den maroden Straßenverhältnissen, als auch Kompensation für den Fahrer versprochen. Ob’s dazu kommt? Inshallah.

Im Sinai hat sich die freie Meinungsäußerung auf ganz andere Weise Bahn gebrochen. Dort sind acht deutsche Touristen festgesetzt (andere sagen: entführt) worden. Die Forderung der Festsetzer (oder Entführer): Die Wahlen im Südsinai müssen wegen Wahlfälschung wiederholt werden. Der dortige Gouverneur gab den Forderungen sofort nach. In Hurghada werden jetzt schon Überlegungen angestellt, ob dieses Beispiel wohl Schule machen könnte.

Es ist schon seltsam, über die Freiheit der Meinung in Ägypten zu schreiben, wenn im Hintergrund gerade Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ singt und „… ich war noch niemals richtig frei“. Das hat schon etwas Bizarres.

Bizarr ist allerdings auch, wenn ich mir heute anhören darf: „Was regt ihr euch über Ägypten auf. Haben wir einen Wulff? Werden bei uns Staatsanwälte im Gerichtssaal erschossen?“ Tja, es kommt eben alles auf den Blickwinkel an.

Die Wüste lebt

Kleiner Kulturschock im Nirgendwo: Ein riesiges Einkaufszentrum mitten in der Wüste

So kann sich der Mensch irren. Ich dachte tatsächlich, dass mich – zumindest hier in Hurghada – nichts mehr schocken kann. Doch dann rief mich Barbara kurz nach zwölf an und meinte, sich solle mit ins Senzo-Center fahren. Wir fuhren los und fuhren und fuhren – in Richtung Süden. Gefühlt auf dem halben Weg nach Safaga standen wir plötzlich vor einem riesigen Einkaufscenter (Grundfläche schätzungsweise 30.000 qm) – mitten in der Wüste. Nach erfolgreichem Einkauf kamen wir dann so ein wenig ins Grübeln. Das amerikanische Schnellrestaurant mit dem großen gelben M war der Anlass. Im Januar 1995 hatte ich einen Interviewtermin in Kairo. Ich flog morgens hin und nachmittags zurück. Mein Basisleiter schärfte mir ein, dringend zwei, drei oder vier Hamburger von McDonalds mitzubringen. Auf dem Rückweg hatte ich eine Tüte auf dem Schoß, die mir bis zur Stirn reichte, sie war voll mit allen möglichen Produkten von MacD. Ich dürfte einen reichlich albernen Anblick geboten haben. Meinem Basisleiter Peter D. trieb es jedenfalls die Tränen in die Augen, als er die Tüte sah. Das ganze Zeug kam in die Mikrowelle und wir haben gespachtelt, bis keiner von uns mehr „papp“ sagen konnte. Dann klopfte es an der Tür. Kollege Joe kam vom Heimturlaub aus dem Allgäu zurück und hatte offenbar die elterliche Metzgerei ausgeplündert. Jedenfalls lud er uns zum Schlachtplatte essen ein. Im gleichen Jahr machte der erste McDonalds in Hurghada auf.

McDonalds ist für die meisten Ägypter unerschwinglich. In den zahlreichen Shops in der Senzo-Mall können auch die wenigsten Ägypter einkaufen, denn die supertollen westlichen Marken sind hier sogar noch teurer als in Europa.

Vor zwanzig Jahren war der Flughafen in Hurghada eine Luftwaffenbasis, die mehr oder weniger unzureichend für die paar Charterflugzeuge zurechtgezimmert worden war, die da innerhalb von einer Woche landeten. Inzwischen soll der Airport der drittverkehrsreichste Afrikas sein (nach Kairo und Nairobi), was ich persönlich allerdings kaum glauben kann. Im Moment ist er es sicher nicht. Als ich vor einer Woche ankam, standen gerade sechs Maschinen da. Früher wäre der Flughafen völlig überfüllt gewesen. Heute wirkt er damit fast wie ausgestorben. Trotzdem wird gerade unter Hochdruck an einer enormen Erweiterung gearbeitet. Die wird auch dringend notwendig sein, wenn sich hier alles wieder normalisiert.

Mit der Erweiterung der Flughafens wird es natürlich noch mehr Hotels und noch mehr Markenshops geben – und damit noch mehr Dinge, an denen der normale Ägypter gar nicht partizipieren kann. Im Sommer, so erzählt Thomas, sei die Senzo-Mall inzwischen der Treffpunkt junger Ägypter, die freilich nichts einkaufen können. Aber die vollklimatisierte Mall mit ihren Spielhallen und überdachten Freizeitparks ist bei 40 Grad im Schatten ein sehr angenehmer Platz, um einfach abzuhängen.

Hat die Revolution vielleicht auch damit zu tun, dass die jungen Ägypter an diesem offenkundigen Luxus für die Urlauber nun ebenfalls teilhaben wollen? Diese Entwicklungen gibt es doch nicht nur in Hurghada oder Sharm el Sheik, sondern auch in Kairo oder Alexandria. Natürlich hatte das Volk vor einem Jahr von Mubarak einfach mal die Nase voll. Doch vielleicht verbinden viele junge Ägypter mit der Revolution auch ganz einfach nur den Wunsch, nicht mehr nur vor den Schaufenstern der Läden zu stehen, sondern dort irgendwann mal selbst einkaufen zu können.

Sie wollen nur spielen

Ultras gibt es nicht nur in der deutschen Bundesliga, sondern auch in der ersten Ägyptischen Liga.

So also sieht Revolution aus. Wer nie eine mit erlebt hat, geht davon aus, dass sich 24 Stunden am Tag kreischende Menschenmassen durch die Straßen bewegen, mit Transparenten fuchteln, Mollis werfen, Barrikaden bauen und manchmal einen König köpfen. Ich für meine Person erlebe zum ersten Mal eine Revolution mit. Nun muss ich feststellen, dass ich so manchem Irrtum unterlegen bin. So ging ich fälschlicherweise davon aus, dass es in Ägypten zwei Revolutionen gab, die im Januar und Februar und dann noch eine im November und Dezember. So wurde es auch etwa von den deutschen Medien dargestellt. Das ist falsch. Die Revolution vom Januar hat nie aufgehört. Ich dachte auch, dass ich in Hurghada einigermaßen weitab vom Schuss sei. Auch das hat nicht gestimmt. Revolution sieht nämlich ganz anders aus. Wer tagsüber am Strand liegt oder mit dem Boot hinaus zu den Inseln fährt, der bekommt in der Tat nicht besonders viel mit. Doch wer mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt geht, spürt den Unterschied. Die Aggressivität unter den Ägypter ist viel größer geworden. Jahrelang hatten Polizei und Militär den Daumen drauf. Die Polizei war verhasst, das Militär beliebt. Vor beiden Uniformen hatte man aber einen Mordsrespekt. Das ist vorbei. Andererseits ist die Polizei, die früher sehr willkürlich agiert hat, nun nahezu überkorrekt, was sich darin zeigt, dass nun überall und immer alles mögliche kontrolliert wird – was die Touristen allerdings kaum tangiert.

Im Zweifelsfall macht jeder Ägypter an jeder Straßenecke seinen eigenen Tahir-Platz auf. Beim Fußballspiel in El Gouna erlebte ich ein ziemlich bizarres Beispiel. Der Block mit den vielleicht 100 Fans von El Masri war schwer von Polizei bewacht. Kurz vor Ende stürmten die El-Masri-Ultras (so nennen die sich wirklich) den Nachbarblock. Nur – der war leer. Der nächste El Gouna-Fan befand ich auf der Gegenseite. Die Sicherheitskräfte kamen gerannt, es wurde gebrüllt und dann marschierten die Fans wieder zurück in ihren Block und fanden es lustig, dass die armen Teufel in Uniform und Schild und Helm so richtig rennen mussten. Ein paar Minuten später fingen El-Gouna-Anhänger an, sich untereinander zu prügeln. Dann gab es Elfmeter für El Gouna und die Prügelei war schlagartig vorbei. Seit der Revolution sei die Zahl der Spielabbrüche in der ersten ägyptischen Liga sprunghaft gestiegen, erzählte mir Samih Sawiris.

Seit inzwischen vier Tagen warte ich auf einen Interviewpartner, der aus Mansura im Norden Ägyptens nach Hurghada kommen soll. Leider kam er nicht aus der Stadt heraus, weil Demonstranten die Ausfallstraßen blockierten. Sie sind vom Wahlausgang in ihrer Stadt enttäuscht. Selbst, wenn er gestern hätte fahren können: Bis nach Hurghada wäre er nicht gekommen. Bei Ras Gharib war die Küstenstraße ebenfalls zu. Dort gab es eine große Demo gegen die Ölindustrie am Ort. Dort saßen dann einige Busse voller Touristen fest, die von Kairo nach Hurghada wollten.

Dass das Internet seit Tagen nur bruchstückhaft funktioniert, ist wohl auch eine Folge der Revolution. So etwas kann zwar in Ägypten immer wieder passieren – aber nicht tagelang. Es kümmert sich eben keiner richtig darum.

Revolution bringt immer ein Stück Anarchie mit sich. So gesehen läuft es hier ja noch prächtig. Aber wer sie besichtigen will, der kann die Anarchie in Ägypten in bestimmten Bereichen erleben. Es ist nun allerdings nicht so, dass hier das gesamte öffentliche Leben mit einem großen Seufzer in sich zusammenbricht. Das meiste läuft wie eh und je, aber nicht immer so glatt, wie in den vergangen Jahren (in denen es natürlich auch in regelmäßigen Abständen gewisse Aussetzer gegeben hat).

Ob ich Angst habe? Nee, zu Touristen sind die Ägypter nach wie vor nett. Als mich gestern ein Taxifahrer beschummeln wollte und ich mich lautstark zu Wehr setzte, standen sofort vier da, um mir zu helfen. Auch das ist Ägypten. Die Revolution ist nicht nur der Tahir. Es ist spannend zu erleben, wie sie sich im Alltag auswirkt. Manchmal scheint es so, als ob die Ägypter daran sogar richtig Spaß haben. Aber sie wollen dann nur spielen – so meint es mancher Europäer wenigstens. Ein bisschen ist da ja auch was dran. 30 Jahre lang war die Meinungsfreiheit in Ägypten – die auch unter Sadat nicht grenzenlos war – sehr eingeschränkt. Nun macht jeder, egal ob er für oder gegen Mubarak war, ausgiebig von dem Gebrauch, was er Meinungsfreiheit nennt. Dann wird es auch mal laut, oder es fliegen die Fäuste. Es ist nichts anderes, als der berühmte Dampf, der aus dem Kessel raus muss. Für den Reisenden ist es faszinierend, für die Menschen die hier leben – soweit sie Ausländer sind – lästig bis beängstigend. Aber ich glaube, es sind Begleiterscheinungen einer jeden Revolution. Sie werden in dem Moment verschwinden, in dem es wieder eine handlungsfähige, stabile Regierung gibt – egal welcher Couleur. Außerdem: wir in Europa fanden die Arabellion doch alle ganz toll – schon vergessen?

Angekommen

In all den Jahren, in denen ich nach Ägypten komme, hat mich stets die Dynamik beeindruckt, mit der sich alles ändert. Doch um ehrlich zu sein, waren das dann doch eher äußerliche Dinge. Am Roten Meer wurden in Rekordzeit Hotels und Wohnblocks hochgezogen. Aus Gassen wurden Boulevards, in der Wüste gab es plötzlich Autobahnen (streckenweise sogar beleuchtete). Innerhalb von zwanzig Jahren wurde aus dem kleinen Fischerdorf Hurghada eine Stadt mit 60 Kilometern bebauter Küstenlinie.

Diesmal sind die Veränderungen doch ganz andere. In den ersten zwei Tagen in Ägypten, habe ich sehr viel Skepsis gehört – von den Europäern. Es sind genau die Europäer, die vor einem Jahr mit den Ägyptern die Revolution gefeiert haben. Die Situation scheint mir sehr ambivalent. Einerseits ist da die Genugtung darüber, dass das alte Regime nun weg ist, andererseits ist da die Unsicherheit darüber, was nun kommt. Das eigentliche Problem akut aber ein ganz anderes. „Es sind die kleinen Moslembrüder und die kleinen Salafisten“, sagt Thomas. Tatsächlich gibt es nun einige, die sich ganz bewusst mit den Europäern, die im Land leben, anlegen, weil sie glauben, ihnen nun vermeintliche Pfründe streitig machen zu können. Im Tourismus tätige Mittelständler haben die nicht ganz unbegründete Angst, nun verdrängt zu werden. Die Argumentation ist dabei ebenso offen wie absurd. „Ihr schafft das Geld hier raus, das wir selbst verdienen könnten“. Sie vergessen dabei, dass die angeblich so raffgierigen Europäer im Tourismus nun ja ganz offensichtlich drei bis vierfach höhere Löhne bezahlen, als Ägypter oder der Staat in anderen Wirtschaftszweigen.

Touristen dagegen spüren – wenigstens hier in Hurghada – wenig, außer, dass die Stadt erschreckend leer ist – und die Preise deutlich in die Höhe gegagangen sind. Das allerdings ist ein durchaus bekanntes Phänomen, das so manchen Wirtschaftswissenschaftler die Haare raufen lässt. Schon früher war es so, dass die Taxifahrer und die Shops immer dann besonders viel von den Touristen verlangt haben, wenn die Stadt leer war. Gestern fuhr ich mit dem Taxi vom Arabia Hotel zum Le Pacha. Der Fahrer wollte für die Tour 30 LE (ägyptische Pfund) vor einem Jahr war die Fahrt noch für 10 zu haben. Ich erklärte ihm, dass 30 LE am helllichten nachmittag dann doch ziemlich viel seien. Seine Antwort: „Ich steh den ganzen Tag vor dem Hotel und keiner will mit mir fahren, weil keine Touristen in der Stadt sind.“ Diese verblüffende Ehrlichkeit ist dann auch wieder typisch ägyptisch.