Partei oder Persönlichkeit?

Immer diese Schrifsteller! Der Verleger (r.) und sein Autor.

Noch einige kurze Anmerkungen zu meinem gestrigen Blogeintrag. Der hat immerhin zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit meinem Verleger Robert in der Kneipe unseres Vertrauens geführt. Vor allem die These, dass Mohamed Mursi die Wahlergebnisse der Moslembrüder halbiert habe, hat Robert erzürnt. Außerdem musste ich mich – nicht ganz zu Unrecht – mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass der Blogeintrag dann doch ein wenig zuviel Insider-Wissen voraussetzt. Insbesondere die Vielzahl der Namen habe dann etwas verwirrt. Diese Verwirrung will ich nun entwirren.

Von den 13 Kandidaten, die zur Präsidentschaftswahl standen, galten fünf als aussichtsreich.:

  1. Der frühere Außenminister Amr Moussa,
  2. der ehemalige Moslembruder Abul Futuh,
  3. der frühere Premierminister Ahmed Shafik,
  4. der Vorsitzende der Partei der Moslembrüder „Freiheit und Gerechtigkeit“ Mohamed Mursi,
  5. der Nasserist Hamdin Sabahi.

Als Favoriten galten Moussa und Futuh, die sich auch in einem Fernsehduell vier Stunden lang gegenüber standen. Es war das erste seiner Art in Ägypten. Experten waren vor der Wahl davon ausgegangen, dass Moussa weitgehend die Stimmen des säkularen Lagers sammeln würde und Abdul Futuh die meisten Stimmer der Religiösen bekommen würde.

Obwohl die Moslembrüder bei den Parlamentswahlen mit ihrer Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ mit rund 47 Prozent der Stimmen extrem gut abschnitten, wurden Mursi keine all zu großen Chancen eingeräumt. Zum einen war er nur der Ersatzkandidat. Der eigentliche Kandidat der Moslembrüder Chairat el-Shater war von der Wahl ausgeschlossen worden. Mursis Wahlkampfauftritte waren häufig ein Desaster, und außerdem fand der im Sommer von den Moslembrüdern ausgeschlossene Futuh gerade bei der Jugend der Moslembrüder viel Zustimmung. Schließlich hatten sich in den letzten Monaten zahlreiche Wähler enttäuscht von den Moslembrüdern abgewendet.

Vergleicht man das Abschneiden der Partei bei den Parlamentswahlen mit dem des Kandidaten zur Präsidentschaftswahl, dann ist das Ergebnis tatsächlich nur noch halb so groß. Der Streitpunkt am gestrigen Abend war nun, ob es zulässig ist, die Ergebnisse einer Parlamentswahl mit denen einer Persönlichkeitswahl zu vergleichen. Robert meinte nein, ich meine ja. Es ist sicherlich richtig, dass Mursi ziemlich schlechte Startvoraussetzungen hatte. Wenn es stimmt, was man so hört, dann war er der sprichwörtliche „Hund, der zum Jagen getragen werden muss.“ Doch sein vergleichsweise schlechtes Abschneiden ist nicht alleine seiner Person geschuldet. Tatsächlich haben sich in den letzten Monaten vor allem junge Ägypter von der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ abgesetzt, weil sie von den Moslembrüdern enttäuscht sind und im Land zu wenig passiert.

Das kann sich jetzt bald ändern. Gestern hatte ich prophezeit, dass Mursi verhandeln muss, wenn er die Stichwahl gewinnen will. Und was lese ich heute? Dass er sich einen koptischen Vizepräsidenten vorstellen kann. Das klingt zunächst einmal nicht schlecht. Die Kopten machen immerhin 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie haben allerdings unter den halbanarchischen Zuständen am meisten zu leiden. Mursis Gegner Shafik verspricht, diese Zustände mit größter Härte beenden zu wollen. Das klingt dann eher wieder nach Drohung im Stile des alten Regimes, denn nach Hoffnung.

Nach 7000 Jahren…

Ja, ich bin noch da und nicht in Ägypten verschollen. Mit dem Abflug nach Hurghada am 10. Mai hatte ich mir einfach mal eine längere Internet-Abstinenz auferlegt. Die ist nun vorbei und nun will ich – sozusagen am Vorabend der Präsidentschaftswahl – erzählen, wie es uns in dieser Woche ergangen ist. Insgesamt war die Delegation des Carpathia-Verlages immerhin fünf Köpfe stark. Für drei war es die erste Reise nach Ägypten.

Der Kulturschock fiel, dank intensiver Vorbereitung, dann doch nicht ganz so groß aus. Stellvetretend sei das örtliche Transportwesen genannt. Fröhlich-betrügerische Taxifahrer rasen nämlich nicht aus latenter Todessehnsucht, sondern weil sie in der tiefen Sicherheit ruhen, dass Allah mit den Seinen ist. Es gibt übrigens auch koptische Taxifahrer, die ebenso fröhlich-betrügerisch sind und genauso selbstmörderisch fahren. Die haben dann auf der Heckscheine einen Verweis darauf, dass Jesus ein Auge auf sie hat. Es kann also theoretisch-theologisch nix passieren. Und wer die Fahrt vom Flughafen zum Hotel überstanden hat, den kann dann in den folgenden Tagen wenig erschüttern.

Zur Buchpräsentation in der Villa Kunterbunt bei Barbara und Thomas Bordiehn: Rund 60 Gäste waren gekommen, darunter zahlreiche Menschen, die in Hurghada leben, ob nun Europäer oder Ägypter. Inhaltlich gestaltete sich die Lesung diesmal ein wenig anders. Hatte es im Brauhaus noch lange Passagen über die Revolution in Kairo und Hurghada gegeben, verlegte ich mich in Ägypten eher auf kürzere anekdotische Stücke. Der Grund liegt auf der Hand. Die Mehrzahl der Zuhörer hatte die Revolution ja selbst vor Ort miterlebt. Entsprechend unterschiedlich fiel auch die Diskussion aus. Sie spiegelte einmal mehr die unterschiedliche Sichtweise der Europäer und der Ägypter wieder. Auf die europäischen Seite herrschte noch immer eine gewisse Skepsis, ob die ganze Sache mit der Revolution noch zu einem guten Ende führen würde. Die Ägypter unter den Zuhörern hielten mit großem Optimusmus dagegen. Für mich am eindrucksvollsten an diesem Abend war, wie Mazen Okasha die Größe des bislang Erreichten mit einem einzigen Satz zusammenfaßte: „Zum ersten Mal nach 7.000 Jahren wählen wir Ägypter am 24. Mai unser Staatsoberhaupt selbst in einer freien Wahl.“ Damit haben die Ägypter im übrigen alle Länder, in denen die Arabellion Erfolg hatte, überholt.

Zwei Tage lang werden die Ägypter ihren neuen Präsidenten wählen. Morgen beginnt der Urnengang. Es ist wirklich kaum zu sagen, wer am Ende die Nase vorne hat. Aber wer auch immer an die Macht kommt, muss sich am Ende dem Volk beweisen, denn eines wurde auch an jenem Abend in der Villa Kunterbunt wieder sehr deutlich. Wenn ein neuer Präsident einen alten Kurs fahren sollte, dann wird es nicht lange dauern, bis wieder Millionen auf dem Tahrirplatz stehen.

Ich persönlich neige eher dazu, den Optimusmus der Ägypter als die Skepsis der Europäer zu teilen. Dafür gibt es eine simple Erklärung: Ich habe die Ägypter in den letzten 20 Jahren als hochemotionale Pragmatiker erlebt. Irgendwie klappt es immer, was sie sich vorgenommen haben, wenn auch nicht auf den geraden, gepflegten und sauber gekehrten Wegen, die wir Europäer gerne beschreiten. Da gehts dann auch schon mal durchs Unterholz.

Zum Abschluss noch ein Link aus dem heutigen Tagesspiegel. Wenn diese Einschätzung des sozialdemokratischen Abgeordneten Ziad al Eleimi richtig ist, dann könnte der Stern der Moslembrüder schneller sinken, als jeder erwartet hat.

 

Der Tag zuvor

Zur Abwechslung mal nichts über Ägypten, sondern nur über die eigene Befindlichkeit. Heute morgen, kurz nach dem Aufwachen, wurde mir plötzlich klar, dass morgen ja die Präsentation von „Koulou Tamam, Ägypten?“ ist. (Für alle, die es noch nicht wissen: 19.30 Uhr, Brauhaus Südstern, Hasenheide 69 in Berlin.) Irgendwie hatte ich das komplett verdrängt, und es war irgendwie weit, weit weg. Glücklicherweise ist die große Veranstaltung ja auch auf Facebook angekündigt.

Aber es ist schon merkwürdig, wie man etwas beseite schieben kann, auf das man doch eigentlich seit fünf Monaten jeden Tag hingearbeitet hat. Aber keine Angst, ich werde da sein und auch ein wenig lesen. Vermutlich ist die Lesung die kleinste Übung. Schon morgens im acht soll ich im Studio von Radio multicult.fm sein und ein wenig über „Koulou Tamam, Ägypten?“ plaudern. Eigentlich ist das für mich viel zu früh. Aber ich habe da einen Trick. Ich muss mir nur vorstellen, dass ich zum Tauchen gehe, dann fällt das alles gar nicht so schwer.

So sieht es aus, wenn ich auf dem Boot lese. Alles irgendwie locker, und der Dress-Code ist sensationell.

Meine lieben Freunde und Verleger Robert und Cordelia können das gar nicht so richtig verstehen und auch (noch) nicht richtig vorstellen, dass ich im Urlaub jeden Morgen um sieben aufstehe, während ich in meinem Alltag einfach mal zwei Stunden länger ausschlafen kann. Aber sie werden es, denke ich, ja bald selbst erfahren, wie das ist. Am 10. fliegen wir alle nach Ägypten zur Buchpräsentation zweiter Teil.

Da werde ich – hoffentlich – wieder zu meiner liebsten Form der Lesung kommen: Nämlich auf dem Tauchboot. Zum ersten Mal hatte ich „Tauchboot-Lesungen“ 1995 gemacht. Damals noch auf den Sub-Aqua-Tauchbasen von Roland Schumm und Peter Dangelmeier, später dann bei Ute und Geli und bei Blue Water im Arabella. Mir machen diese Lesungen am meisten Spaß. Das Publikum ist zwar überschaubar, es sind meist nur zehn bis 15 Leute, manchmal weniger, aber es macht mir viel mehr Spaß in solch einem intimen Kreis zu lesen. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer scheint mir größer, und es enstehen viel spontaner Diskussionen über das Gelesene. Die ganze Atmosphäre ist einfach viel lockerer.

Das soll aber nicht heißen, dass ich mich auf die Präsentation morgen im Brauhaus und am 12. Mai in der Villa Kunterbunt nicht auch freuen würde. Das werden sicher zwei schöne Veranstaltungen. Und wer es weder zur einen, noch zur anderen schafft, der muss halt mal mit mir Tauchen gehen. Da lese ich ihm auch gerne etwas vor.

Ägypten dreht den Gashahn zu

Während wir hier fleißig versuchen, das Buch zu promoten, gibt es Neues aus Ägypten. Mir gefällt das natürlich nur bedingt. Warum? Heute fragte mich ein Kollege bei meinem Besuch beim Berliner Tagesspiegel, ob ich nicht Angst hätte, dass „Koulou Tamam, Ägypten?“ bald überholt sein könne. In der Tat drängt sich diese Frage förmlich auf. Andererseits ist ja alles, über was ich in diesem Buch berichte, passiert, und das Buch ist damit natürlich auch zu einer Chronik der Ereignisse im Jahr nach dem Ausbruch der Revolution in Ägypten geworden. Dass Ägypten nun Israel den Gashahn abdreht, konnte ich natürlich im Februar und März noch nicht ahnen. Oder vielleicht doch?

Die Ägypter haben sich nie richtig mit dem Friedensvertrag von Camp David anfreunden können. Für den Großteil von ihnen gilt Anwar al Sadat sogar als Verräter, der die ägyptischen Interessen an Israel verkauft habe. Wirtschaftlich haben beide Länder sicher von dem Vertrag profitiert. Doch genau das wird – zumindest beim Gasgeschäft mit Israel – derzeit angezweifelt. Der ungeliebte Nachbar habe das Gas viel zu billig bekommen. Der ägyptische Partner sei bestochen worden und überhaupt sei das ganze Geschäft ja doch wieder über den Mubarak-Clan gelaufen. Das etwa entspricht der Darstellung in den deutschen Medien. Soweit, so gut – oder auch wieder nicht gut.

Auch hier scheint mir die Berichterstattung wieder verdammt lückenhaft. Es ist eben nicht so einfach, dass dieser Lieferstopp und diese Vertragskündigung einfach nur eine politische Laune der Natur war, populistisch allemal, weil der Ägypter an sich den Friedenvertrag mit Israel nicht mehr will.

Ägypten gehört im Nahen Osten nun nicht unbedigt zu den großen Produzenten von Öl und Gas, verglichen mit Libyen, dem Irak oder gar Saudi Arabien. Eine Folge der Revolution war unter anderem, dass eben der Gaspreis drastisch gestiegen ist. Im Wahlkampf wurden unter anderem von den Moslembrüdern Tausende von Gasflaschen in den Armenvierteln Kairos verteilt, weil sich diese Armen das dringend benötigte Gas zum Kochen einfach nicht mehr leisten konnten.

Seit Tagen (oder Wochen?) lese ich immer wieder von meinen Freunden in Hurghada, dass der Versuch zu tanken entweder vergeblich oder mit stundenlangem Warten verbunden ist. Mir scheint es so, dass in Ägypten die Energie derzeit einfach knapp wird. Inwieweit das mit privilegierten Gaslieferverträgen an Israel zusammenhängt, mag ich nicht beurteilen. Aber wenn streikende Arbeiter in Ras Gharib die Küstenstraße blockieren, dann liegt die Schlussfolgerung nahe, dass in der Zeit auf den Öl- und Gasfeldern nicht gearbeitet wird, also dass auch nichts verladen oder transportiert wird. Das alleine wird allerdings auch nicht der Grund sein.

Wie dem auch immer sei. Da wird im Moment ein lautes Getöse gemacht, ja sogar mit den Säbeln gerasselt um einen Tatbestand, der doch eigentlich völlig offensichtlich ist: In Ägypten ist die Versorgungslage derzeit so schlecht, dass das Land sein Gas schlicht und einfach selbst braucht. Aber das zuzugeben fällt eben auch nicht so leicht.

Die Bücher der Bücher

Zwar fiebern wir nun alle der Auslieferung von Koulou Tamam entgegen, aber übers Wochenende hat mich dann doch noch aus aktuellem Anlass ein ganz anderes Buch beschäftigt. Deutsche Salafisten haben in deutschen Städten den Koran verteilt. Das hat vor allem bei Konservativ-Christlichen für beträchtliche Aufregung gesorgt. Ich muss gestehen, dass ich das eine für so verfehlt halte wie das andere.

Vorab möchte ich allerdings noch etwas klar stellen. Es ist wohl auch in diesem Blog deutlich geworden, dass ich vor dem Islam einen hohen Respekt habe und dass ich sogar glaube, dass der Koran in bestimmten Dingen klarer und fortschrittlicher ist, als das neue Testament.

Warum ich die Aktion der Salafisten für verfehlt halte, ist relativ einfach zu erklären: Weil sie ihren eigenen Ansprüchen komplett widerspricht. Der Koran ist nicht interpretierbar und soll deshalb nur im hocharabischen Original gelesen werden. Vor allem die Salafisten, die sich als Gralshüter des wahren islamischen Glaubens betrachten, legen doch so viel Wert darauf, dass solche Regeln eingehalten werden. Die Übersetzung ist vom Zentralrat der Muslime autorisiert, und da die Übersetzung keine Übersetzung sein darf, hilft man sich in diesem Fall mit einem rhetorischen Salto Mortale und einem theologischen Beipackzettel, der die Übersetzung kurzerhand zu einer Beschreibung des Korans erklärt. Kann man machen – als pragmatischer aufgeschlossener Muslim. Doch warum sind solche Purzelbäume überhaupt notwendig? Weil es eben Fundamentalisten gibt, die peinlich darauf achten, dass zum Beispiel der Koran nicht durch eine Übersetzung interpretiert wird. Und jetzt springen die Salafisten auf den pragmatischen Zug auf? Das ist lächerlich.

Es ist nicht weniger lächerlich, als die hysterischen Reaktionen deutscher Christen auf die kostenlose Verteilung des Korans (oder seiner deutschen Interpretation). Der Koran an sich ist nicht mehr oder weniger verfassungsfeindlich als die Bibel. Auf den Jesuiten und Wanderprediger Pater Johannes Leppich SJ geht der Brauch zurück, dass in vielen deutschen Hotels ein Neues Testament in der Nachttischschublade liegt – das auch gerne mitgenommen werden kann. Darüber hat sich nie jemand aufgeregt – obwohl Pater Leppich den wenig schmeichelhaften Spitznamen „das Maschinengewehr Gottes“ trug. Auf protestantischer Seite ist es der Gideon-Bund, der bis heute Bibeln grundsätzlich kostenlos unters Volk bringt. Natürlich darf man die Frage stellen, was jemandem passieren würde, der in Medina kostenlos Bibeln verteilen würde. Eben! Gerade dass bei uns der Koran ungehindert verteilt werden kann, unterscheidet uns ja von Saudi Arabien.

Lasst die Menschen doch den Koran lesen und lasst sie vergleichen. Ist denn der christliche Gedanke so schwach, dass er sich vor dem islamischen verstecken müsste? Ist das laute Geschrei um die Koranverteilung nicht ein Armutszeugnis, ein Zeugnis der Schwäche und bedeutet es nicht letztendlich Glaubensarmut?

So sehr ich auch den Islam respektiere, so wenig käme er für mich als Glaubensalternative allerdings in Frage. Bei aller Schuld, die verschiedenen Kirchen und Konfessionen in den letzten 2.000 Jahren auf sich geladen haben mögen, eins steht doch fest. Das Christentum wurde 300 Jahre lang von freundlichen, friedlichen Menschen völlig gewaltlos verbreitet, von Menschen, die bereit waren, für ihren Glauben widerstandslos zu sterben. Märtyrer sind im christlichen Sinn gewaltlose Glaubenszeugen. Im aktuellen islamistischen Kontext sind Märtyrer Menschen, die sich Sprengstoffgürtel umbinden, um damit andere Menschen in die Luft zu sprengen. Keine Frage, welche Art von Märtyrer ich vorziehe. Was nun die Ausbreitung des jeweiligen Glaubens in den ersten drei Jahrhunderten betrifft, da hatte das Christentum keinerlei Waffen nötig, und es verbreitete sich trotzdem wie ein Lauffeuer. Auch der Islam verbreitete sich rasend schnell, allerdings fast überall unter der Zuhilfenahme von Krummsäbeln.

Gerade Salafisten nehmen gerne das Wort von den „Kreuzzüglern“ in den Mund. Ironischerweise ist es ausgerechnet ein Kreuzzug, der den Weg für ein gedeihliches Miteinander zwischen Christen und Moslems weist. Im Fünften Kreuzzug gelang es dem ägyptischen Sultan Al Kamil Muhammad al Malik und dem deutschen Kaiser Friedrich II., einen Weg des Ausgleiches ohne Blutvergießen zu beschreiten. Und das war nur auf der Basis des Respekts und der gegenseitigen Anerkennung möglich.

Der alte Mann und das Bett

So – jetzt ist es zumindest von staatsanwaltlicher Seite amtlich. Sie hat heute im Prozess gegen Hosni Mubarak die Todesstrafe gefordert. Und außerdem sollen noch der Ex-Innenminister Habib al-Adli und vier weitere Männer aus diesem Umfeld an den Galgen. Was Hosni Mubarak davon mitbekommen hat, ist nicht so ganz klar. Laut Nachrichtenlage hat ihm sein Sohn Gamal pausenlos ins Ohr gequasselt. Immerhin saß der Papa diesmal aufrecht in seinem Krankenbett.

Dass die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe fordern würde, war keine große Überraschung mehr. Sie hatte das ja angekündigt. Die Frage ist letztlich, ob er wirklich zum Tode verurteilt wird, und dann stellt sich weiterhin die Frage, ob er auch wirklich hingerichtet wird. Wenn meine Informationen richtig sind, dann wäre eine Hinrichtung ein glatter Gesetzesverstoß, weil nämlich in Ägypten niemand hingerichtet werden darf, der so alt ist. Wenn aber Mubarak zum Tode verurteilt, jedoch nicht hingerichtet – mithin zu lebenslänglich „begnadigt“ würde, dann würde das vermutlich ziemlich genau die Befindlichkeit der meisten Ägypter treffen. Bilder wie damals im Irak, als die Hinrichtung Saddam Husseins heimlich mitgefilmt und dann ins Internet gestellt wurde, will in Ägypten keiner sehen und auch nicht solche wie in Libyen, wo die letzten Lebensminuten von Gaddafi auf Video aufgezeichnet wurden.

Wo die genaue die Altersgrenze liegt, kann ich nicht sagen. Aber es ist denkbar, dass sie  dann den 74jährigen Habib al-Adli nicht mehr schützt. Nicht wenige Ägypter glauben, dass er zu Recht hängen würde. Ihm werden nicht nur die rund 850 Toten auf den Tahrir-Platz zu Last gelegt. Er soll auch der Drahtzieher des Anschlages auf die Al Qiddissine-Kirche in Alexandria gewesen sein, bei dem am Neujahrstag 2011 insgesamt 23 Menschen ihr Leben verloren. Und das ist nicht alles. Al-Adli steht sogar noch im Zentrum einer weitaus schlimmeren Verschwörungstheorie. Am 17. November 1997 tötete ein Kommando der Terrororganisation Gamaa al Islamiya 68 Menschen am Hatschepsut-Tempel. Daraufhin wurde Habib al-Adli zum Innenminister berufen, mit dem klaren Auftrag, einen angeblich unmittelbar bevorstehenden islamistischen Aufstand niederzuschlagen. Inzwischen wird offen darüber spekuliert, ob dieser Anschlag nicht möglicherweise auch von al-Adli inszeniert worden ist, um dadurch auf den Posten des Innenministers zu gelangen.

Das alles sind nur die üblichen Verschwörungstheorien, die derzeit in Ägypten an allen Ecken und Enden ins Kraut schießen? Nun – erst letzte Woche wurden zwei Bankiers festgenommen, denen zur Last gelegt wird, Schläger dafür bezahlt zu haben, dass sie das Chaos und das Gemetzel im Stadion von Port Said anrichten. Ihr Auftraggeber soll kein geringerer als Gamal Mubarak gewesen sein, der jüngste Sohn des Ex-Präsidenten.

Gamal Mubarak und sein Bruder Alaa sitzen auch hinter Gittern. Ihnen wird in erster Linie Korruption vorgeworfen. Dafür wird man in Ägypten nicht gleich aufgehängt. Sollten sich die Aussagen der beiden verhafteten Bankiers jedoch bestätigen, dann zieht sich die Schlinge um den Hals des Präsidentensohnes verdammt eng zu.

Einen einsamen, bettlägrigen Ex-Präsidenten, der an jedem Verhandlungstag in seinem Krankenbett hereigeschoben wird, und der eigentlich ein Bild des Jammers bietet, will auch in Ägypten niemand hängen sehen. Bei einem durch und durch korrupten smarten jungen Mann liegen da die Befindlichkeiten vielleicht ein wenig anders.

Am Ende könnte es vielleicht darauf hinauslaufen, dass zwei Personen für Mubarak hängen müssen – al-Adli und später vielleicht noch sein Sohn Gamal. Aber noch besser wäre es vielleicht, wenn Ägypten gleich ganz auf die Todesstrafe verzichten könnte – und am besten noch sofort damit anfangen würde.

Verwandtschaften

Eigentlich bin ich gerade am vorletzten Kapitel und sollte mich nicht von Dingen wie Blog-Schreiben ablenken lassen. Doch ein kleiner Eintrag soll es dann schon sein, da ich mich gerade mit dem Thema Moslembrüder und ihrem Gründer Hassan al-Banna beschäftigt habe. Immerhin finde ich die Familiengeschichte al-Banna dann doch spannend genug, um damit nicht zu warten, bis das Buch gedruckt ist.

Es ist zwar richtig, dass er der Erfinder des modernen Dschihad ist und in seinem Traktat „Die Todesindustrie“ das Konzept der Selbstmordattentäter entwickelt hat, aber wenn man seine Verwandtschaft anschaut: Hut ab! Sein Bruder Gamal, der jetzt auch schon 91 Lenze auf dem Buckel hat, verkündet sehr zum Ärger aller Konservativen munter einen liberalen, ja libertinären Islam. Frauen sind gleichberechtigt, und wenn sie Schleier tragen, dann sind sie selbst schuld.

Und dann gibt es da noch seinen Enkel Tariq Ramadan, der dem Prinzip des Dschiad abgeschworen hat und für ein friedliches Miteinander zwischen Moslems und Christen eintritt. Das Prinzip vom „Haus des Krieges“, über das der Dschihad als „Heiliger Krieg“ definiert wird, hat er dann einfach mal abgeschafft und durch etwas Vernünftigeres ersetzt. Er lebt in Europa und wird von konservativen Moslems ebenso angefeindet wie von Feministinnen. Machmal gibt es schon merkwürdige Koalitionen.

Allerdings hat Tariq Ramadan ebenfalls einen Bruder. Und der findet es – soweit man der französischen Zeitung Le Monde glauben darf – gut, wenn ehebrecherische Weiber gesteinigt werden.

Ja nun – man kann sich seine Verwandtschaft eben nicht aussuchen.

Die große Verschwörung

Am 15. April jährt sich zum einhundersten Mal der Untergang der Titanic. Vermutlich werden bis dahin in Ägypten schlüssige Beweise auf dem Tisch liegen, dass sie von Hosni Mubarak und seiner Clique versenkt wurde. Vermutlich war er auch in der Verschwörung zur Ermordung Kennedys schuld und hatte ein Verhältnis mit Marylin Monroe. Okay… das mit dem Verhältnis nehm ich jetzt mal zurück, das würde selbst dem verschwörungstheoriefreundlichsten Ägypter dann doch ein wenig zu weit gehen.

Was ist wahr? Was ist gefaket? Was ist ein schlichter Irrtum? Das ist schwer zu sagen in diesen Tagen in Ägypten. Etliche Menschen sind zum Beispiel davon überzeugt, dass die Katastrophe in Port Said gesteuert war. Es spricht einiges dafür, vieles dagegen. Ich weiß nicht, was wirklich wahr ist. Aber die Geschichte scheint wie dafür gemacht, um eine wunderbare Verschwörungslocke zu drehen. Aber es geht auch anders.

Da gibt es eine deutschsprachige Internetzeitung, die heißt „The Intelligence“. Dankenswerterweise weist das Netz-Blättchen in seiner Selbstdarstellung darauf hin, dass das engliche Wort „intelligence“ nicht unbedingt etwas mit dem deutschen Wort „Intelligenz“ zu tun hat. Immerhin hat es diese Publikation geschafft, mich in Sachen Verschwörungstheorien in Ägypten völlig zu verblüffen. Und das ist bestimmnt nicht einfach, nachdem, was ich in den letzten Monaten schon alles gehört habe. Was mich in solch kolossales Erstaunen versetzt hat, war der Artikel „Ein Jahr nach Mubarak, die Situation in Ägypten“ von Kim Kovalsky,

Offensichtlich war die ganze Revolution nichts anderes, als eine große Verschwörung der USA, die ahnungslose Blogger, Studenten und Aktivisten aufgehetzt hat. Der Grund ist ganz klar. Da die Vereinigten Staaten eine neue Weltordnung antreben, nutzen sie die Gunst der Stunde und die revolutionäre Bewegung, um ihre finsteren Ziele zu erreichen. Immerhin hat das der Militärrat so oder so ähnlich jetzt auch schon gesagt. Und tapfer, wie die Herren Militärs nun mal so sind, schoben sie gleich hinterher, dass sie natürlich gegen die unter Verdacht stehenden NGOs vorgehen würden – egal ob sie dadurch finanzielle Einbußen hätten oder nicht. Und da, so meint Kim Kovalsky, habe der Militärrat ausnahmsweise mal recht. Hä?????

Moment mal: Dass wir uns richtig verstehen. Das ägyptische Militär bekommt jedes Jahr 1,3 Millarden Dollar von den USA. Hinzu kommen 4,9 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe unter anderem aus den USA und der Bundesrepublik. Warum um alles in der Welt sollten die USA eine Revolution gegen einen Militärrat anzetteln, der ihnen doch sowieso aus der Hand frisst? Da wären die Milliarden doch einfach rausgeschmissenes Geld. Ich halte nun selbst nicht besonders viel von der US-amerikanischen Weisheit in diplomatischen Dingen. Aber für so bescheuert halte sich sie dann auch wieder nicht, einerseits die Militärs mit Milliarden von Dollar an den Fleischtöpfen zu halten, um anschließend in einem großen Masterplan genau diese Militärs von der Macht der Straße verjagen zu lassen. Das ist – mit Verlaub – Bullshit.

Ich denke, dass die Geschichte ein wenig anders liegt. Die Regierung Obama hatte die Entwicklung vor einem Jahr ziemlich verschlafen und viel zu lange an Mubarak festgehalten. Einerseits galt er als treuer Freund, den man in der Not nicht im Stich lässt, auf der anderen Seite sah man in ihm einen wichtigen Stabilitätsfaktor.

Dass politische Stiftungen oder NGOs sich in einer solchen Umbruchsituation, in der ein Land versucht, zur Demokratie zu finden, beteiligen, indem sie logistische Unterstützung – und manchmal vielleicht auch mehr – geben, scheint doch völlig logisch. Es ist ja auch vielleicht ganz nützlich, sich heute jene Leute zu verpflichten, die morgen möglicherweise in der Regierung sitzen. Vielleicht sind da die Konrad-Adenauer-Stiftung und die amerikanischen NGOs wirklich ein wenig übers Ziel hinaus geschossen, haben das ein oder andere Gesetz missachtet oder schlicht und einfach nicht gekannt.

Aber etwas anderes liegt doch auf der Hand. Mal von Israel abgesehen, ist es doch in Ägypten am einfachsten, mit Ressentiments gegen die USA Stimmung zu machen. Es hat vermutlich seit 20 Jahren keine Demonstration im Nahen Osten mehr gegeben, ohne dass mindestens ein Sternenbanner abgefackelt wurde. Außerdem: Die Ministerin, die am lautesten geschrien hat, war Fayzia Abulnaga – und die hatte ihr Amt als Ministerin für internationale Angelegenheiten schon unter Mubarak inne, stammt also definitiv aus dem alten Regime. Ihre Reaktion und ihr Verdacht auf eine vom Ausland gesteuerte Revolution kommt also nicht so ganz überraschend.

Wenn das alles wirklich Teil eines großangelegten Planes zur Schaffung einer neuen Weltordnung gewesen sein sollte, dann müssten da Heerscharen von Dilettanten am Werk gewesen sein. So wird das mit der neuen Weltordnung sicher nichts. Also muss man sich auch gar nicht erst darüber aufregen.

Endspurt

Wenn ich mir die Blogeinträge seit Dezember so anschaue, dann muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich eines natürlich meist schuldig geblieben bin. So versprach ich ja ein ProduktionsbIog. Über die eigentliche Produktion habe ich in diesem Blog allerdings bislang ziemlich wenig berichtet. Das solte ich nun vielleicht nachholen.

Auch am Cover wird - hier von Fränk - schon fleißig gebastelt.

In einer Woche ist Abgabetermin. Jetzt heißt es, sich sputen, dass alles bis auf den Punkt fertig wird. Eigentlich liegt mir das mehr, als als so ganz ohne Druck vor mich hin zu schreiben. Doch bei diesem Buch war so wenig normal. Normalerweise schreibe ich mir erst einmal ein Konzept, mache eine Gliederung, lege die Kapitel fest und fange dann an zu schreiben. Das hat in diesem Fall jetzt nicht ganz so gut funktioniert. Einerseits hat es immer wieder aktuelle Ereignisse gegeben, auf die ich in irgendeiner Weise reagierten wollte. Zum anderen muss ich zugeben, dass ich auch das ein oder andere falsch eingeschätzt haben. Ein Beispiel: Im Blogeintrag „Bittere Erkenntnis“ habe ich mich mit dem Blickwinkel der Europäer auf Ägypten auseinandergesetzt und zwar jener Europäer, die das Land seit Jahrzehnten kennen, oder dort schon lange leben und arbeiten. Die bittere Erkenntnis war die Einsicht, die Dynamik der Entwicklungen in Ägypten übersehen, beziehungsweise falsch eingeschätzt zu haben. Aus den daraus resultierenden Gesprächen und Überlegungen ist nun ein völlig eigenständiges Kapitel geworden, das so gar nicht eingeplant war.

Die Arbeit an „Koulou Tamam“, die jetzt etwa zweieinhalb Monate andauert, war bislang eine Achterbahn der Gefühle – manchmal auch eine Geisterbahn. In Vorbereitung auf meine Reise nach Ägypten hatte ich mir nach vielen, vielen Jahren noch einmal die Autobiografie von Jahan Sadat „Ich bin eine Frau aus Ägypten“ herausgesucht. Dieses Buch zu lesen und mit der heutigen Situation zu vergleichen, jagt einem schon den ein oder anderen Schauer über den Rücken. Vor allem der Rückschritt in punkto Frauenrechten macht einen schon sehr betroffen.

Ich hoffe, dass die Achterbahn inzwischen die letzte Kurve genommen hat und ich das Buch bis nächste Woche ohne große Turbulenzen beenden kann. Eine Freundin fragte mich jüngst, wie sinnvoll es sei, ein Buch über die Ägyptische Revolution und den Tourismus gerade jetzt zu schreiben, es könne ja noch so viel passieren. Tja – mag sein. Wann wäre denn der richtige Zeitpunkt? In einem halben Jahr, in einem Jahr, in fünf Jahren oder in zehn? Niemand kann jetzt im Moment abschätzen, wie sich die Revolution auf Dauer entwickeln und wann sie beendet sein wird. Ich denke, dass man aber schon den Korridor erkennen kann, in dem sich drei Entwicklungen ausschließen lassen: 1. Ägypten wird nicht zu einem Regime mubarakscher Prägung zurückkehren, 2. Ägypten wird kein islamistischer Gottesstaat wie der Iran, 3. Ägypten wird aber auch nicht zu einer parlamentarischen Demokratie nach bundesdeutschem Vorbild – auch wenn sich gerade einige Deutsche genau das unter der Revolution vorstellen mögen.

Am 21. April soll „Koulou Tamam, Ägypten“ in die Buchläden kommen. Ob es bis dahin noch aktuell sein wird? Keine Angst, da bin ich ganz sicher. Was passiert ist, ist passiert, und dass sich die Mentalität der Ägypter schlagartig ändern wird, das glaube ich nun auch nicht. Außerdem wird in dem Buch nicht all zu sehr über die weitere Entwicklung spekuliert. Denn wie sagte Karl Valentin zurecht: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“