Jetzt ist es doch passiert

Vier Tote bei einem Bombenanschlag auf einen Touristenbus bei Taba. Jetzt ist es also doch passiert. In Ägypten wurden Touristen angegriffen. Das dürfte die schwerst notleidende Tourismusindustrie noch tiefer in die Knie zwingen und Wasser auf den Mühlen all jener sein, die schon immer gesagt haben, dass Ägypten ein ganz gefährliches Pflaster für Touristen ist. Jetzt also der Beweis. Ist das so?

Taba liegt an einem ganz neuralgischen Punkt im Nahen Osten. Karte: OpenStreetMap.org

Taba liegt an einem ganz neuralgischen Punkt im Nahen Osten. Karte: OpenStreetMap.org

Taba liegt am Ende des Golfs von Aqaba, unmittelbar an der israelischen Grenze. Hier hat es übrigens den zweitschwersten Anschlag auf Touristen in Ägypten überhaupt gegeben. Bei einem Selbstmordanschlag mit einer Autobombe auf das Hilton-Hotel starben vor zehn Jahren 34 Menschen. Ein Jahr nach dem zweiten Golfkrieg war die Sicherheitslage in Ägypten wie im gesamten Nahen Osten nicht gerade gut. Trotzdem: Der Tourismus lief ganz ordentlich.

Die eigentliche Frage im Zusammenhang mit dem Anschlag vom 16. Februar ist doch: Was bedeutet er? Ist er ein Zeichen dafür, dass der Tourismus nun in die innerägyptischen Machtkämpfe hineingezogen wird? Bedeutet der Anschlag, dass jetzt auch die Tourismuszentren an Roten Meer nicht mehr sicher sind? Betrachten wir einmal die Fakten.

Der Norden des Sinais gilt schon seit langem als nicht mehr kontrollierbar. Terrororganisationen wie Al Qaida oder Dschihad haben sich dorthin zurückgezogen und liefern sich schon seit langem einem blutigen Krieg mit den Sicherheitsbehörden. Die Region ist der Kontrolle der ägyptischen Regierung schon längst entglitten.

Taba liegt nicht in dieser Region – andererseits liegt kein Touristenort in Ägypten näher an den umkämpften Gebieten. Doch das alleine macht Taba noch nicht gefährlich. Die Sicherheitslage ist auch noch deshalb ganz besonders sensibel, weil Taba der Grenze zu Israel so nahe ist. Der nächste Nachbar heißt Eilat – und das liegt bekanntermaßen auf israelischem Gebiet. In dem bereits erwähnten Hilton-Hotel gibt es eine Hintertür, und wenn man durch die das Hotel verlässt, steht man schon in Israel. Schließlich gibt es auch noch einen letzten Punkt, der die heikle Lage von Taba verdeutlicht. Die andere Nachbarstadt von Eilat heißt Aqaba. Die wiederum liegt in Jordanien – und dort leben über 50 Prozent Palästinenser.

Nicht ganz unwesentlich dürfte im Zusammenhang mit dem Anschlag vom Sonntag sein, dass der Bus aus Israel kam. Es ist also durchaus möglich, dass die Bombe, die den Bus zerfetzte, rein gar nichts mit dem Machtkampf zwischen Regierung und Moslembrüdern zu tun hat, sondern dass sie eigentlich Israel galt. Interessanterweise gibt es, bislang wenigstens, kein Bekennerschreiben. Das ist insofern ungewöhnlich, als dass die meisten Attentäter in dieser Region durchaus Wert darauf legen, dass die Welt erfährt, wem sie den Anschlag zu verdanken hat.

Es wird nicht der letzte Anschlag in Ägypten gewesen sein, und es wird bestimmt auch noch eine Weile dauern, bis wieder Ruhe im Land eingekehrt ist. Doch den Terrorakt von Taba als Zeichen für die Verschärfung der Auseinandersetzungen oder gar den Auftakt zu einer Terrorwelle gegen Urlauber zu sehen, ist meiner Meinung nach vefehlt. Angesichts der vier Todesopfer und der 18 Schwerverletzten fällt es schwer, das zu sagen, weil es ein wenig zynisch klingt – aber es ist leider die Wahrheit: Der Anschlag von Taba war nur einer dieser ganz alltäglichen Anschläge, wie sie im Nahen Osten leider Gottes an der Tagesordnung sind.

Blick zurück nach Luxor

Nach mehr als zwei Monaten gibt’s nun endlich wieder einen Blog-Eintrag. Die Pause war persönlich bedingt, doch nun will ich mich wieder öfter an dieser Stelle zu Wort melden.

Es sind jetzt genau 15 Jahre, da fuhr ich gerade zurück von Winterthur, als ich die Nachricht hörte, dass in Luxor ein Terrorkommando der Gamaa Al Islamiya 60 Touristen ermordet hatte. Ich weiß noch, dass ich vor Schreck beinahe von der Straße abgekommen wäre. Gerade acht Wochen war es her, da hatte ein Geistesgestörter neun deutsche Touristen und einen ägyptischen Busfahrer auf den Tahrir-Platz umgebracht. Die meisten Opfer kamen aus dem Giftun-Hotel. Dort saß ich am Abend mit Barbara und Thomas in ihrem Restaurant, als abends gegen neun ein völlig verstörtes, bleiches Kindermädchen herein kam und von dem Anschlag berichtete. Der Schock war ungeheuer groß. Verstörend war zudem eine ganz andere Tatsache: Der Anschlag war schon fast zwölf Stunden her. Die gesamte ägyptische Belegschaft hatte schon am Mittag davon erfahren. Doch keiner hatte den Mut gehabt, Thomas oder Barbara über das Geschehen zu informieren.

Wir fuhren an diesem Abend zurück ins „Arabia“ und zwar mit einem Minibus, in dem bereits eine ägyptische Familie saß. Kaum hatten wir den Bus bestiegen, kam die Frage, woher wir kämen, und als wir mit „Deutschland“ antworteten wurde das mit heftigen Beileidsbekundungen und Entschuldigungen(!) quitiert. Als wir das Hotel erreicht hatten, versuchte der Fahrer einen deutlich überhöhten Preis zu kassieren (Für Eingeweihte: Es war der alte „Special-Taxi-Trick“ und schon deshalb sehr dreist, weil ja bereits Fahrgäste im Minibus saßen). Ich kam nicht einmal dazu, mich zu wehren, schon fiel die Familie förmlich über den Fahrer her und beschimpfte ihn, ob er denn gar kein Schamgefühl im Leib habe. Ähnlich ging es weiter in den nächsten Tagen. Immer wieder wurden Europäer und vor allem Deutsche mit Beileid und Entschuldigungen – teils unter Tränen – konfrontiert.

Acht Wochen später also der Anschlag von Luxor. War der Tourismus nach dem Attentat in Kairo noch mit einem blauen Auge davongekommen, so brach nun alles zusammen. In einem Interview für Silent World sagte mir Monika Wiget vom Jasmin Diving Sports Center: „Von heute auf morgen war plötzlich alles tot, und wir wussten nicht, wann die Gäste wiederkommen würden.“ Tatsächlich bedeutete der Anschlag von Luxor eine Art Zeitenwende. Bis dahin war an dem zehnjährigen rasanten Aufstieg Hurghadas zur größten Touristenmetropole am Roten Meer alles abgeperlt. Zum ersten Mal spürte die Stadt wirklich, was es heißt, wenn die Gäste ausbleiben. Das hatte es zwar im Frühjahr 1991 auch schon einmal gegeben. Doch damals war der Flughafen während des Golfkrieges gesperrt, und kaum war er wieder offen, waren die Touristen auch wieder da.

Aber auch auf der Gegenseite war der Anschlag eine Zäsur. Die Gamaa al Islamiya, die einst bei der Bevölkerung für ihr soziales Wirken durchaus beliebt war, hatte ihren gesamten Kredit verspielt. Selbst in ihrer Hochburg Oberägypten waren die Gamaa-Mitglieder inzwischen verhasst. Sie wurden buchstäblich aus dem Land geprügelt. Die eine Hälfte flüchtete und schlug sich zur Al Kaida durch, die andere Hälfte löste 1998 den ganzen Verein einfach auf. Der Vorgang sucht im übrigen weltweit seinesgleichen. Zumindest nach meinem Wissen hat sich noch nie eine Terrororganisation aufgelöst, weil der Druck der Bevölkerung so stark geworden war.

Es ist schon eine bittere Ironie der Geschichte, dass der Nahe Osten am 15. Jahrestag des Anschlages von Luxor wieder vor einem Krieg steht. Die Hamas fußt auf den gleichen Prinzipien, wie die Gamaa al Islamiya, einerseits Terror zu verbreiten andererseits sozial zu wirken. Die ägyptische Bevölkerung steht dieses Mal fast einhellig hinter der Hamas und ziemlich geschlossen gegen Israel, was bei der Politik der derzeitigen israelischen Regierung auch kein großes Wunder ist. Allerdings ist im Gazastreifen auch etwas anderes zu besichtigen: Wie rücksichtslos die Hamas mit ihrer eigenen Bevölkerung umgeht. Dass Ägyptens Präsident Mohammed Mursi seinen Premierminister Hischam Kandil in den Gaza-Streifen geschickt hat, um sich um ein Waffenstilstandsabkommen zu bemühen, ist allerehrenwert. Die Israelis hatten versprochen, die Kampfhandlungen während des Besuchs einzustellen. Nachdem die Hamas während Kandils Visite 50 Raketen auf Israel abfeuerten, reiste der ägyptische Premierminister vorzeitig ab.

Dass der legitime Kampf um eine gerechte Sache durch eigenes Unrecht diskreditiert werden kann, hatte ja einst sogar Palästinenserführer Jassir Arafat eingesehen. An dieser Erkenntnis fehlt es der Hamas nicht nur, sie verfolgt ja auch alle ihre Kritiker im palästinensischen Lager mit unbarmherziger Härte. Einst waren die Gamaa und die Hamas Schwesterorganisationen – die sich übrigens auch bei Attentaten gegenseitig unterstützten. 15 Jahre nach Luxor könnte die Hamas aus dem Anschlag lernen, was es heißt, den Bogen zu überspanmnen. Den Ägyptern, die der Hamas zujubeln, sei dagegen ein genauerer Blick auf den Gazastreifen empfohlen. Dass die Bevölkerung dort so entsetzlich leidet, hat nicht alleine mit der israelischen Blockadepolitik zu tun.

Ägypten dreht den Gashahn zu

Während wir hier fleißig versuchen, das Buch zu promoten, gibt es Neues aus Ägypten. Mir gefällt das natürlich nur bedingt. Warum? Heute fragte mich ein Kollege bei meinem Besuch beim Berliner Tagesspiegel, ob ich nicht Angst hätte, dass „Koulou Tamam, Ägypten?“ bald überholt sein könne. In der Tat drängt sich diese Frage förmlich auf. Andererseits ist ja alles, über was ich in diesem Buch berichte, passiert, und das Buch ist damit natürlich auch zu einer Chronik der Ereignisse im Jahr nach dem Ausbruch der Revolution in Ägypten geworden. Dass Ägypten nun Israel den Gashahn abdreht, konnte ich natürlich im Februar und März noch nicht ahnen. Oder vielleicht doch?

Die Ägypter haben sich nie richtig mit dem Friedensvertrag von Camp David anfreunden können. Für den Großteil von ihnen gilt Anwar al Sadat sogar als Verräter, der die ägyptischen Interessen an Israel verkauft habe. Wirtschaftlich haben beide Länder sicher von dem Vertrag profitiert. Doch genau das wird – zumindest beim Gasgeschäft mit Israel – derzeit angezweifelt. Der ungeliebte Nachbar habe das Gas viel zu billig bekommen. Der ägyptische Partner sei bestochen worden und überhaupt sei das ganze Geschäft ja doch wieder über den Mubarak-Clan gelaufen. Das etwa entspricht der Darstellung in den deutschen Medien. Soweit, so gut – oder auch wieder nicht gut.

Auch hier scheint mir die Berichterstattung wieder verdammt lückenhaft. Es ist eben nicht so einfach, dass dieser Lieferstopp und diese Vertragskündigung einfach nur eine politische Laune der Natur war, populistisch allemal, weil der Ägypter an sich den Friedenvertrag mit Israel nicht mehr will.

Ägypten gehört im Nahen Osten nun nicht unbedigt zu den großen Produzenten von Öl und Gas, verglichen mit Libyen, dem Irak oder gar Saudi Arabien. Eine Folge der Revolution war unter anderem, dass eben der Gaspreis drastisch gestiegen ist. Im Wahlkampf wurden unter anderem von den Moslembrüdern Tausende von Gasflaschen in den Armenvierteln Kairos verteilt, weil sich diese Armen das dringend benötigte Gas zum Kochen einfach nicht mehr leisten konnten.

Seit Tagen (oder Wochen?) lese ich immer wieder von meinen Freunden in Hurghada, dass der Versuch zu tanken entweder vergeblich oder mit stundenlangem Warten verbunden ist. Mir scheint es so, dass in Ägypten die Energie derzeit einfach knapp wird. Inwieweit das mit privilegierten Gaslieferverträgen an Israel zusammenhängt, mag ich nicht beurteilen. Aber wenn streikende Arbeiter in Ras Gharib die Küstenstraße blockieren, dann liegt die Schlussfolgerung nahe, dass in der Zeit auf den Öl- und Gasfeldern nicht gearbeitet wird, also dass auch nichts verladen oder transportiert wird. Das alleine wird allerdings auch nicht der Grund sein.

Wie dem auch immer sei. Da wird im Moment ein lautes Getöse gemacht, ja sogar mit den Säbeln gerasselt um einen Tatbestand, der doch eigentlich völlig offensichtlich ist: In Ägypten ist die Versorgungslage derzeit so schlecht, dass das Land sein Gas schlicht und einfach selbst braucht. Aber das zuzugeben fällt eben auch nicht so leicht.