Die Wüste lebt

Kleiner Kulturschock im Nirgendwo: Ein riesiges Einkaufszentrum mitten in der Wüste

So kann sich der Mensch irren. Ich dachte tatsächlich, dass mich – zumindest hier in Hurghada – nichts mehr schocken kann. Doch dann rief mich Barbara kurz nach zwölf an und meinte, sich solle mit ins Senzo-Center fahren. Wir fuhren los und fuhren und fuhren – in Richtung Süden. Gefühlt auf dem halben Weg nach Safaga standen wir plötzlich vor einem riesigen Einkaufscenter (Grundfläche schätzungsweise 30.000 qm) – mitten in der Wüste. Nach erfolgreichem Einkauf kamen wir dann so ein wenig ins Grübeln. Das amerikanische Schnellrestaurant mit dem großen gelben M war der Anlass. Im Januar 1995 hatte ich einen Interviewtermin in Kairo. Ich flog morgens hin und nachmittags zurück. Mein Basisleiter schärfte mir ein, dringend zwei, drei oder vier Hamburger von McDonalds mitzubringen. Auf dem Rückweg hatte ich eine Tüte auf dem Schoß, die mir bis zur Stirn reichte, sie war voll mit allen möglichen Produkten von MacD. Ich dürfte einen reichlich albernen Anblick geboten haben. Meinem Basisleiter Peter D. trieb es jedenfalls die Tränen in die Augen, als er die Tüte sah. Das ganze Zeug kam in die Mikrowelle und wir haben gespachtelt, bis keiner von uns mehr „papp“ sagen konnte. Dann klopfte es an der Tür. Kollege Joe kam vom Heimturlaub aus dem Allgäu zurück und hatte offenbar die elterliche Metzgerei ausgeplündert. Jedenfalls lud er uns zum Schlachtplatte essen ein. Im gleichen Jahr machte der erste McDonalds in Hurghada auf.

McDonalds ist für die meisten Ägypter unerschwinglich. In den zahlreichen Shops in der Senzo-Mall können auch die wenigsten Ägypter einkaufen, denn die supertollen westlichen Marken sind hier sogar noch teurer als in Europa.

Vor zwanzig Jahren war der Flughafen in Hurghada eine Luftwaffenbasis, die mehr oder weniger unzureichend für die paar Charterflugzeuge zurechtgezimmert worden war, die da innerhalb von einer Woche landeten. Inzwischen soll der Airport der drittverkehrsreichste Afrikas sein (nach Kairo und Nairobi), was ich persönlich allerdings kaum glauben kann. Im Moment ist er es sicher nicht. Als ich vor einer Woche ankam, standen gerade sechs Maschinen da. Früher wäre der Flughafen völlig überfüllt gewesen. Heute wirkt er damit fast wie ausgestorben. Trotzdem wird gerade unter Hochdruck an einer enormen Erweiterung gearbeitet. Die wird auch dringend notwendig sein, wenn sich hier alles wieder normalisiert.

Mit der Erweiterung der Flughafens wird es natürlich noch mehr Hotels und noch mehr Markenshops geben – und damit noch mehr Dinge, an denen der normale Ägypter gar nicht partizipieren kann. Im Sommer, so erzählt Thomas, sei die Senzo-Mall inzwischen der Treffpunkt junger Ägypter, die freilich nichts einkaufen können. Aber die vollklimatisierte Mall mit ihren Spielhallen und überdachten Freizeitparks ist bei 40 Grad im Schatten ein sehr angenehmer Platz, um einfach abzuhängen.

Hat die Revolution vielleicht auch damit zu tun, dass die jungen Ägypter an diesem offenkundigen Luxus für die Urlauber nun ebenfalls teilhaben wollen? Diese Entwicklungen gibt es doch nicht nur in Hurghada oder Sharm el Sheik, sondern auch in Kairo oder Alexandria. Natürlich hatte das Volk vor einem Jahr von Mubarak einfach mal die Nase voll. Doch vielleicht verbinden viele junge Ägypter mit der Revolution auch ganz einfach nur den Wunsch, nicht mehr nur vor den Schaufenstern der Läden zu stehen, sondern dort irgendwann mal selbst einkaufen zu können.

Sie wollen nur spielen

Ultras gibt es nicht nur in der deutschen Bundesliga, sondern auch in der ersten Ägyptischen Liga.

So also sieht Revolution aus. Wer nie eine mit erlebt hat, geht davon aus, dass sich 24 Stunden am Tag kreischende Menschenmassen durch die Straßen bewegen, mit Transparenten fuchteln, Mollis werfen, Barrikaden bauen und manchmal einen König köpfen. Ich für meine Person erlebe zum ersten Mal eine Revolution mit. Nun muss ich feststellen, dass ich so manchem Irrtum unterlegen bin. So ging ich fälschlicherweise davon aus, dass es in Ägypten zwei Revolutionen gab, die im Januar und Februar und dann noch eine im November und Dezember. So wurde es auch etwa von den deutschen Medien dargestellt. Das ist falsch. Die Revolution vom Januar hat nie aufgehört. Ich dachte auch, dass ich in Hurghada einigermaßen weitab vom Schuss sei. Auch das hat nicht gestimmt. Revolution sieht nämlich ganz anders aus. Wer tagsüber am Strand liegt oder mit dem Boot hinaus zu den Inseln fährt, der bekommt in der Tat nicht besonders viel mit. Doch wer mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt geht, spürt den Unterschied. Die Aggressivität unter den Ägypter ist viel größer geworden. Jahrelang hatten Polizei und Militär den Daumen drauf. Die Polizei war verhasst, das Militär beliebt. Vor beiden Uniformen hatte man aber einen Mordsrespekt. Das ist vorbei. Andererseits ist die Polizei, die früher sehr willkürlich agiert hat, nun nahezu überkorrekt, was sich darin zeigt, dass nun überall und immer alles mögliche kontrolliert wird – was die Touristen allerdings kaum tangiert.

Im Zweifelsfall macht jeder Ägypter an jeder Straßenecke seinen eigenen Tahir-Platz auf. Beim Fußballspiel in El Gouna erlebte ich ein ziemlich bizarres Beispiel. Der Block mit den vielleicht 100 Fans von El Masri war schwer von Polizei bewacht. Kurz vor Ende stürmten die El-Masri-Ultras (so nennen die sich wirklich) den Nachbarblock. Nur – der war leer. Der nächste El Gouna-Fan befand ich auf der Gegenseite. Die Sicherheitskräfte kamen gerannt, es wurde gebrüllt und dann marschierten die Fans wieder zurück in ihren Block und fanden es lustig, dass die armen Teufel in Uniform und Schild und Helm so richtig rennen mussten. Ein paar Minuten später fingen El-Gouna-Anhänger an, sich untereinander zu prügeln. Dann gab es Elfmeter für El Gouna und die Prügelei war schlagartig vorbei. Seit der Revolution sei die Zahl der Spielabbrüche in der ersten ägyptischen Liga sprunghaft gestiegen, erzählte mir Samih Sawiris.

Seit inzwischen vier Tagen warte ich auf einen Interviewpartner, der aus Mansura im Norden Ägyptens nach Hurghada kommen soll. Leider kam er nicht aus der Stadt heraus, weil Demonstranten die Ausfallstraßen blockierten. Sie sind vom Wahlausgang in ihrer Stadt enttäuscht. Selbst, wenn er gestern hätte fahren können: Bis nach Hurghada wäre er nicht gekommen. Bei Ras Gharib war die Küstenstraße ebenfalls zu. Dort gab es eine große Demo gegen die Ölindustrie am Ort. Dort saßen dann einige Busse voller Touristen fest, die von Kairo nach Hurghada wollten.

Dass das Internet seit Tagen nur bruchstückhaft funktioniert, ist wohl auch eine Folge der Revolution. So etwas kann zwar in Ägypten immer wieder passieren – aber nicht tagelang. Es kümmert sich eben keiner richtig darum.

Revolution bringt immer ein Stück Anarchie mit sich. So gesehen läuft es hier ja noch prächtig. Aber wer sie besichtigen will, der kann die Anarchie in Ägypten in bestimmten Bereichen erleben. Es ist nun allerdings nicht so, dass hier das gesamte öffentliche Leben mit einem großen Seufzer in sich zusammenbricht. Das meiste läuft wie eh und je, aber nicht immer so glatt, wie in den vergangen Jahren (in denen es natürlich auch in regelmäßigen Abständen gewisse Aussetzer gegeben hat).

Ob ich Angst habe? Nee, zu Touristen sind die Ägypter nach wie vor nett. Als mich gestern ein Taxifahrer beschummeln wollte und ich mich lautstark zu Wehr setzte, standen sofort vier da, um mir zu helfen. Auch das ist Ägypten. Die Revolution ist nicht nur der Tahir. Es ist spannend zu erleben, wie sie sich im Alltag auswirkt. Manchmal scheint es so, als ob die Ägypter daran sogar richtig Spaß haben. Aber sie wollen dann nur spielen – so meint es mancher Europäer wenigstens. Ein bisschen ist da ja auch was dran. 30 Jahre lang war die Meinungsfreiheit in Ägypten – die auch unter Sadat nicht grenzenlos war – sehr eingeschränkt. Nun macht jeder, egal ob er für oder gegen Mubarak war, ausgiebig von dem Gebrauch, was er Meinungsfreiheit nennt. Dann wird es auch mal laut, oder es fliegen die Fäuste. Es ist nichts anderes, als der berühmte Dampf, der aus dem Kessel raus muss. Für den Reisenden ist es faszinierend, für die Menschen die hier leben – soweit sie Ausländer sind – lästig bis beängstigend. Aber ich glaube, es sind Begleiterscheinungen einer jeden Revolution. Sie werden in dem Moment verschwinden, in dem es wieder eine handlungsfähige, stabile Regierung gibt – egal welcher Couleur. Außerdem: wir in Europa fanden die Arabellion doch alle ganz toll – schon vergessen?

Angekommen

In all den Jahren, in denen ich nach Ägypten komme, hat mich stets die Dynamik beeindruckt, mit der sich alles ändert. Doch um ehrlich zu sein, waren das dann doch eher äußerliche Dinge. Am Roten Meer wurden in Rekordzeit Hotels und Wohnblocks hochgezogen. Aus Gassen wurden Boulevards, in der Wüste gab es plötzlich Autobahnen (streckenweise sogar beleuchtete). Innerhalb von zwanzig Jahren wurde aus dem kleinen Fischerdorf Hurghada eine Stadt mit 60 Kilometern bebauter Küstenlinie.

Diesmal sind die Veränderungen doch ganz andere. In den ersten zwei Tagen in Ägypten, habe ich sehr viel Skepsis gehört – von den Europäern. Es sind genau die Europäer, die vor einem Jahr mit den Ägyptern die Revolution gefeiert haben. Die Situation scheint mir sehr ambivalent. Einerseits ist da die Genugtung darüber, dass das alte Regime nun weg ist, andererseits ist da die Unsicherheit darüber, was nun kommt. Das eigentliche Problem akut aber ein ganz anderes. „Es sind die kleinen Moslembrüder und die kleinen Salafisten“, sagt Thomas. Tatsächlich gibt es nun einige, die sich ganz bewusst mit den Europäern, die im Land leben, anlegen, weil sie glauben, ihnen nun vermeintliche Pfründe streitig machen zu können. Im Tourismus tätige Mittelständler haben die nicht ganz unbegründete Angst, nun verdrängt zu werden. Die Argumentation ist dabei ebenso offen wie absurd. „Ihr schafft das Geld hier raus, das wir selbst verdienen könnten“. Sie vergessen dabei, dass die angeblich so raffgierigen Europäer im Tourismus nun ja ganz offensichtlich drei bis vierfach höhere Löhne bezahlen, als Ägypter oder der Staat in anderen Wirtschaftszweigen.

Touristen dagegen spüren – wenigstens hier in Hurghada – wenig, außer, dass die Stadt erschreckend leer ist – und die Preise deutlich in die Höhe gegagangen sind. Das allerdings ist ein durchaus bekanntes Phänomen, das so manchen Wirtschaftswissenschaftler die Haare raufen lässt. Schon früher war es so, dass die Taxifahrer und die Shops immer dann besonders viel von den Touristen verlangt haben, wenn die Stadt leer war. Gestern fuhr ich mit dem Taxi vom Arabia Hotel zum Le Pacha. Der Fahrer wollte für die Tour 30 LE (ägyptische Pfund) vor einem Jahr war die Fahrt noch für 10 zu haben. Ich erklärte ihm, dass 30 LE am helllichten nachmittag dann doch ziemlich viel seien. Seine Antwort: „Ich steh den ganzen Tag vor dem Hotel und keiner will mit mir fahren, weil keine Touristen in der Stadt sind.“ Diese verblüffende Ehrlichkeit ist dann auch wieder typisch ägyptisch.

Die Dividende der Revolution

Vor vielen Jahren erklärte mir ein ägyptischer Unternehmer: „Nirgendwo auf dieser Welt gibt es so viele Generäle wie in Ägypten.“ Ich war schon einigermaßen verblüfft. Doch er verdeutlichte es mir ziemlich einfach: „Jeder Soldat, der entlassen wird, rechnet im Zivilleben anschließend nach, welchen Rang er erreicht hätte, wenn er jetzt noch beim Militär wäre. Irgendwann mal sind dann alle Generäle.“

Inzwischen hat sich das wohl ein wenig geändert. Tatsache ist aber, dass das Militär bis vor einem Jahr sehr beliebt war, obwohl es seit fast 60 Jahren einen Staat im Staat darstellt. Das dürfte daran liegen, dass es die „Gruppe der freien Offiziere“ war, die 1952 den korrupten Könik Faruk zum Teufel jagte. Auch das war damals eine Revolution. Eine der wichtigen Errungenschaften dieser Revolution war das Frauenwahlrecht. (In diesem Zusammenhang drängt sich mir eine ganz aktuelle Frage auf: Jehan al-Sadat schreibt in ihrer Autobiographie „Ich bin eine Frau aus Ägypten“, dass es 1976 in Ägypten für die Männer Wahlpflicht und für Frauen das Wahlrecht gab. Wie sieht das 2011 aus?)

Tatsächlich gehörten Frauen zu den großen Gewinnerinnen der Revolution von 1952. Da mutet es schon sehr bedrückend an, dass es in diesen Tagen ausgerechnet Frauen sind, die sich vom ägyptischen Militär über den Tahrir jagen lassen müssen, die verprügelt und denen die Kleider vom Leib gerissen werden. Auf der anderen Seite fällt auf, dass offenbar ein machtvolles Wort der US-Außenministerin(!) genügt, und die Generäle knicken ein. Damit will ich natürlich nicht den Marsch der Frauen am Dienstagabend unterbewerten. Aber die lautstarke Solidarisierung von Hillary Clinton wird schon ihren Teil zu der überraschenden Entschuldigung des Militärrats beigetragen haben.

Trotzdem, es gibt in Ägypten durchaus auch Leute, die dieses Horrorbild von der verprügelten Demonstrantin ganz anders bewerten, als der Rest der Welt. Eine brave, fromme Ägypterin würde niemals einen blauen BH tragen, und deshalb könne diese Frau nur eine Prostituierte sein. Hm, als ich das gehört habe, fiel mir ein, dass angeblich Frauen schwerreicher Saudis regelmäßig tief verschleiert Pariser Dessous-Geschäfte leer kaufen. Das Geld, das dann noch übrig bleibt, spenden ihre Männer dann vermutlich an die ägyptischen Salafisten.

Doch ernsthaft: Es waren vor einem Jahr auch unzählige Frauen, die auf dem Tahrir dafür sorgten, dass das Mubarak-Regime gestürzt wurde. Ausgerechnet sie sollen nach der Revolution weniger Rechte haben, als zuvor? Sogar die Frauenquote, noch von Mubarak eingeführt, auf den Kandidatenlisten zur Wahl ist schon gekippt worden. Aus europäischer Sicht verläuft die Bruchlinie im Ägypten nach der Revolution zwischen Säkularen und Islamisten. Vielleicht verläuft sie seit gestern auch zwischen Männern und Frauen.

Die Macht der Militärs

Es ist derzeit schon eine Achterbahnfahrt. Einerseits feiern die Ägypter ihre freien Wahlen wie ein großes Volksfest, andererseits gab es jetzt in Kairo wieder blutige Straßenschlachten. Erst gestern hab ich wieder die hier in Deutschland vorherrschende Meinung gehört, dass das Militär die Macht gar nicht abgeben will und das mit den Wahlen ja doch nicht so ernst gemeint sei.

Wie so vieles ist auch diese Vorstellung mit dem Abstand von 3.500 Kilometern ein wenig eindimensional. Ich glaube ja, dass die Sache ganz anders liegt. In den letzten Wochen habe ich den Eindruck gewonnen, dass den Militärs an der Macht gar nicht so viel liegt und an der Verantwortung erst recht nicht. Was das ägyptische Militär allerdings um jeden Preis verteidigen will, sind die unglaublich großen Privilegien. Wer in Ägypten nicht im Tourismus Geld verdient, der kann in der Armee eine Menge Knete machen. Es geht ja nicht nur um die tollen Clubs am Roten Meer und die fantastisch ausgestatteten Krankenhäuser, neben denen staatliche Krankenhäuser wie schlechtere Feldlazarette wirken. Es scheint ja so, als sei der ganze industrielle Bereich in Ägypten nur erfunden worden, um Offiziere zu alimentieren. Und wer es da nicht schafft, für den findet sich in der Verwaltung noch immer ein Platz. So muss zum Beispiel jeder Gouverneur einer Grenzprovinz ein General oder ehemaliger General sein. Das wäre etwa so, wie wenn in Deutschland die Bundeswehr Anspruch auf die Ministerpräsidentenposten von Bayern, Baden-Württemberg, dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachen erheben würden. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass viele dieser Gouverneure ihr Amt lediglich als Versorgungsposten begriffen haben.

Ginge es den Militärs tatsächlich um wirkliche politische Macht, dann hätten sie in dem zu Ende gehenden Jahr mit Sicherheit ganz anders reagiert, nämlich viel schneller und entschlossener. Bislang scheint es mir aber so, dass sie hin und her lavieren und eigentlich nur hoffen, dass die so schnell wie möglich aus dem Schlamassel wieder herauskommen. Verantwortung – und ich meine wirkliche politische Verantwortung – ist ihre Sache wohl eher nicht. Es geht um Geld und viele liebgewonnene Privilegien.

Das wird vielleicht sogar das größte Problem sein, egal, ob nun Moslembrüder oder Säkulare an die Regierung kommen. Wie macht man den Militärs klar, dass sie sich aus dem zivilen Bereich zurückziehen müssen? Sollen Sie ihre Clubs und Krankenhäuser doch behalten. Aber aus den Unternehmen und der Verwaltung müssen sie raus. Das würde eine Menge Arbeitsplätze schaffen und vor allem den doch sehr desolaten Mittelstand stärken.

Von Salafisten und Piraten

Leider kann ich den schönen Kommentar nicht mehr finden, den mir Thomas aus Ägypten zum Thema Piraten auf Facebook gepostet hatte. Ich find ihn überaus witzig, aber nicht so ganz treffend. Er verglich die Piraten mit den Salafisten in Ägypten. Aber so, dachte ich mir, stellen sich unsere Landsleute in 3.500 Kilometern Entfernung eben das Phänomen Piratenpartei vor. Heute morgen schlage ich den Berliner „Tagesspiegel“ auf und finde auf der Meinungsseite den Kommentar: „Ein Kreuzchen bei Allahs Piratenpartei„. Den Kommentar fand ich übrigens bemerkenswert gut.

Natürlich tut man sowohl den Piraten in Deutschland, als auch den Salafisten in Ägypten bitter Unrecht, wenn man sie miteinander vergleicht. Genau deshalb will ich das mal versuchen. Zu den Forderungen der Piraten zählen: Kostenloser Personennahverkehr, Bedingungsloses Grundeinkommen und eine Novellierung des Urheberrechtsgesetzes. Kostenlosen Nahverkehr find ich klasse. Das wäre sogar finanzierbar, wenn der Senat einige heilige Kühe schlachten würde und es sich so richtig mit der Autolobby verscherzen will. Das Bedinungslose Grundeinkommen auf der Basis der negativen Einkommensteuer unter Einbeziehung einer steuerlichen Berücksichtigung ehrenamtlicher Tätigkeiten unterstützte ich schon lange bevor es die Piraten gab. Mit der Lockerung des Urheberrechts können die Piraten bei mir logischerweise nicht landen. Hey – ich lebe schließlich auch von Urheberrechten.

Die Salafisten wollen den Alkohol in den Urlaubsgebieten (und wohl auch sonst) verbieten. Sagen wir mal so: Es gibt eine bestimmte Sorte von Urlaubern, denen sollte der Alkohol tatsächlich einfach verboten werden und nicht nur in Ägypten. So, wie die sich benehmen, ist es einfach eine kolossale Respektlosigkeit dem Gastland gegenüber. Die Salafisten wollen auch Bikinis und ähnliche westliche Teufelstextilien verbannen. Auch hier muss ich daran denken, wie sich manche Touristin durch die Straßen und Gassen bewegt. Hier gilt das gleiche wie für den Alkohol. Wer im Bikini auf den Basar geht, zeigt damit nicht westliche Aufgeschlossenheit, sondern nur mangelnden Respekt. Ach ja, dann wollen die Salafisten nicht das Baden an sich verbieten, aber die Strände nach Geschlechtern trennen. Das ist nun eine wirklich dämliche Idee. Sollen denn die Beachboys und Handtuchjungs nur noch die Herren der Schöpfung glücklich machen? Die zweifellos notwendige weibliche Personaldecke zur Befriedigung der Bedürftnisse am Damenstrand wird entschieden zu dünn sein. Faktisch liefe das auf ein Strandverbot für Frauen hinaus – aber dann braucht niemand mehr nach Geschlechtern getrennte Strände.

Natürlich ist vielen der Schrecken in die Glieder gefahren, als die Salafisten bei über 20 Prozent gelandet sind. Doch dort, wo angebliche ihre größte Klientel lebt, ist die indirekte Abhängigkeit vom Tourismus auch am größten. Im Schnitt ernährt jeder Angestellte aus Oberägypten, der zum Beispiel in Hurghada arbeitet, zehn Menschen in seinem Heimatort. Die werden doch ihre Existenzgrundlage nicht aufs Spiel setzen.

Selbst die Moslembrüder, deren natürliche Verbündete die Salafisten eigentlich sein müssten, fassen ihre Brüder in Allah nur mit der Feuerzange an. Trotzdem könnten die Salafisten für den Tourismus vielleicht sogar etwas Gutes bringen, dann nämlich, wenn sich Gäste in ihrem Verhalten selbst hinterfragen. Das heißt jetzt nicht, sich in Galabeja und Schleier zu hüllen, sondern einfach ein wenig mehr Respekt zu zeigen (was der größere Teil der Urlauber übrigens auch tut).

Eigentlich halte ich es mit Mark Twain, der nie Voraussagen machte, schon gar keine, die die Zukunft betrafen. Aber ich wage mal die Prognose, dass die Piraten in Deutschland in zehn Jahren mehr erreicht haben werden, als die Salafisten in Ägypten.

Koulou tamam? Koulou tamam, mea, mea!

Berlin: Es hat fünf Grad, es regnet, und es ist um vier schon ziemlich finster. Um zwei bekam ich eine kurze Nachricht aus Ägypten. Es hat 26 Grad, der Himmel ist blau, und um fünf ist es noch hell. Eigentlich wäre die Entscheidung, wo der Mensch jetzt im Moment lieber wäre, doch relativ einfach. Es sind noch knapp drei Wochen, bis ich endlich fliege. Drei Wochen Ägypten. Am Roten Meer. Zugegeben, mir rutscht das Wort Urlaub auch manchmal heraus. Freudscher Versprecher natürlich. Aber ich versichere dann mit ernster Mine, dass ich dahin fliege um hart zu arbeiten. Allerdings ist es ja nicht verboten, sich auch bei der Arbeit wohl zu fühlen.

Es ist komisch. In all den Jahren bin ich immer wieder von besorgten Mitmenschen gefragt worden: Hast Du keine Angst? Wenn da etwas passiert. Man hört soviel. Die Terroristen! Nun muss ich allerdings fairerweise zugeben, dass ich mich häufig genau dann in ein Flugzeug Richtung Ägypten gesetzt habe, wenn es gerade eine Reisewarnung gab. Häufig kam sie ziemlich voreilig. Immer wieder hat sich das Land von den Anschlägen der Gamaa al Islamiya oder von Al Khaida erholt. Zwei Golfkriege haben den Tourismus zum erliegen gebracht. Doch nach spätestens einem halben Jahr begannen die Menschen wieder ans Rote Meer zu strömen. Das war sicher nicht nur dem schlechten Gedächtnis geschuldet. Es hat eine ganze Menge mit dem Land und den Menschen, mit der Herzlichkeit, Fröhlichkeit und Gastfreundschaft zu tun.

Diesesmal hat mich noch niemand gefragt, ob ich nicht Angst vor der Reise hätte. Zufall? Schlechtes Gewissen? Ausgerechnet die Revolution, die doch von Europa so begrüßt wurde, hat dazu geführt, dass die Europäer Ägypten wieder großräumig umfahren (wie übrigens Tunesien auch). Als legten sie es darauf an, einer Minderheit, wie zum Beispiel den Salafisten, den Rücken zu stärken. Das sind freilich Zusammenhänge, die ein durchschnittlicher Mitteleuropäer nicht unbedingt erkennen muss. Dafür ist jetzt ja dieses Blog da.

Es handelt sich um ein Produktionsblog. Wer sich dafür interessiert, kann die Entstehungsgeschichte meines neuen Buches „Koulou Tamam, Ägypten?“ verfolgen. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere an das Buch: „Mafish mushkella, Ägypten„. Ja, es ist eine Fortsetzung. Für ein in Deutschland zu verkaufendes Buch einen arabischen Titel zu wählen war damals schon sehr mutig und ist heute keineswegs besser. Vielleicht soll es nur kaschieren, dass ich seit 20 Jahren, in denen ich Ägypten im Durchschnitt zwei Mal besucht habe, noch immer nur unwesentlich mehr arabische Worte kenne, als die Genannten. „Koulou tamam?“ heißt frei übersetzt „Alles klar?“. In „Mafisch mushkella“ („Kein Problem“) habe ich versucht, dem Europäer, wenn er als Tourist nach Ägypten kommt, die arabische Seele zu erklären. Mit „Koulou tamam“ will ich dem Europäer die arabische Seele erklären, auch wenn er nicht nach Ägypten kommt.

Ägypten ist in einer spannenden Phase. Und was am Ende kommen wird, weiß vielleicht wirklich noch niemand recht zu sagen. Aber einige Dinge scheinen mir völlig klar: Ägypten hat von seiner Gastfreundschaft und Fremdenfreundlichkeit durch die Revolution nichts verloren. Besucher sind nach wie vor willkommen. Außerdem denke ich, wer jetzt in dieser Zeit hinreist, wird Zeuge, wie gerade Geschichte gemacht wird.

Also ich freu mich drauf.