Der alte Mann und das Bett

So – jetzt ist es zumindest von staatsanwaltlicher Seite amtlich. Sie hat heute im Prozess gegen Hosni Mubarak die Todesstrafe gefordert. Und außerdem sollen noch der Ex-Innenminister Habib al-Adli und vier weitere Männer aus diesem Umfeld an den Galgen. Was Hosni Mubarak davon mitbekommen hat, ist nicht so ganz klar. Laut Nachrichtenlage hat ihm sein Sohn Gamal pausenlos ins Ohr gequasselt. Immerhin saß der Papa diesmal aufrecht in seinem Krankenbett.

Dass die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe fordern würde, war keine große Überraschung mehr. Sie hatte das ja angekündigt. Die Frage ist letztlich, ob er wirklich zum Tode verurteilt wird, und dann stellt sich weiterhin die Frage, ob er auch wirklich hingerichtet wird. Wenn meine Informationen richtig sind, dann wäre eine Hinrichtung ein glatter Gesetzesverstoß, weil nämlich in Ägypten niemand hingerichtet werden darf, der so alt ist. Wenn aber Mubarak zum Tode verurteilt, jedoch nicht hingerichtet – mithin zu lebenslänglich „begnadigt“ würde, dann würde das vermutlich ziemlich genau die Befindlichkeit der meisten Ägypter treffen. Bilder wie damals im Irak, als die Hinrichtung Saddam Husseins heimlich mitgefilmt und dann ins Internet gestellt wurde, will in Ägypten keiner sehen und auch nicht solche wie in Libyen, wo die letzten Lebensminuten von Gaddafi auf Video aufgezeichnet wurden.

Wo die genaue die Altersgrenze liegt, kann ich nicht sagen. Aber es ist denkbar, dass sie  dann den 74jährigen Habib al-Adli nicht mehr schützt. Nicht wenige Ägypter glauben, dass er zu Recht hängen würde. Ihm werden nicht nur die rund 850 Toten auf den Tahrir-Platz zu Last gelegt. Er soll auch der Drahtzieher des Anschlages auf die Al Qiddissine-Kirche in Alexandria gewesen sein, bei dem am Neujahrstag 2011 insgesamt 23 Menschen ihr Leben verloren. Und das ist nicht alles. Al-Adli steht sogar noch im Zentrum einer weitaus schlimmeren Verschwörungstheorie. Am 17. November 1997 tötete ein Kommando der Terrororganisation Gamaa al Islamiya 68 Menschen am Hatschepsut-Tempel. Daraufhin wurde Habib al-Adli zum Innenminister berufen, mit dem klaren Auftrag, einen angeblich unmittelbar bevorstehenden islamistischen Aufstand niederzuschlagen. Inzwischen wird offen darüber spekuliert, ob dieser Anschlag nicht möglicherweise auch von al-Adli inszeniert worden ist, um dadurch auf den Posten des Innenministers zu gelangen.

Das alles sind nur die üblichen Verschwörungstheorien, die derzeit in Ägypten an allen Ecken und Enden ins Kraut schießen? Nun – erst letzte Woche wurden zwei Bankiers festgenommen, denen zur Last gelegt wird, Schläger dafür bezahlt zu haben, dass sie das Chaos und das Gemetzel im Stadion von Port Said anrichten. Ihr Auftraggeber soll kein geringerer als Gamal Mubarak gewesen sein, der jüngste Sohn des Ex-Präsidenten.

Gamal Mubarak und sein Bruder Alaa sitzen auch hinter Gittern. Ihnen wird in erster Linie Korruption vorgeworfen. Dafür wird man in Ägypten nicht gleich aufgehängt. Sollten sich die Aussagen der beiden verhafteten Bankiers jedoch bestätigen, dann zieht sich die Schlinge um den Hals des Präsidentensohnes verdammt eng zu.

Einen einsamen, bettlägrigen Ex-Präsidenten, der an jedem Verhandlungstag in seinem Krankenbett hereigeschoben wird, und der eigentlich ein Bild des Jammers bietet, will auch in Ägypten niemand hängen sehen. Bei einem durch und durch korrupten smarten jungen Mann liegen da die Befindlichkeiten vielleicht ein wenig anders.

Am Ende könnte es vielleicht darauf hinauslaufen, dass zwei Personen für Mubarak hängen müssen – al-Adli und später vielleicht noch sein Sohn Gamal. Aber noch besser wäre es vielleicht, wenn Ägypten gleich ganz auf die Todesstrafe verzichten könnte – und am besten noch sofort damit anfangen würde.

Die große Verschwörung

Am 15. April jährt sich zum einhundersten Mal der Untergang der Titanic. Vermutlich werden bis dahin in Ägypten schlüssige Beweise auf dem Tisch liegen, dass sie von Hosni Mubarak und seiner Clique versenkt wurde. Vermutlich war er auch in der Verschwörung zur Ermordung Kennedys schuld und hatte ein Verhältnis mit Marylin Monroe. Okay… das mit dem Verhältnis nehm ich jetzt mal zurück, das würde selbst dem verschwörungstheoriefreundlichsten Ägypter dann doch ein wenig zu weit gehen.

Was ist wahr? Was ist gefaket? Was ist ein schlichter Irrtum? Das ist schwer zu sagen in diesen Tagen in Ägypten. Etliche Menschen sind zum Beispiel davon überzeugt, dass die Katastrophe in Port Said gesteuert war. Es spricht einiges dafür, vieles dagegen. Ich weiß nicht, was wirklich wahr ist. Aber die Geschichte scheint wie dafür gemacht, um eine wunderbare Verschwörungslocke zu drehen. Aber es geht auch anders.

Da gibt es eine deutschsprachige Internetzeitung, die heißt „The Intelligence“. Dankenswerterweise weist das Netz-Blättchen in seiner Selbstdarstellung darauf hin, dass das engliche Wort „intelligence“ nicht unbedingt etwas mit dem deutschen Wort „Intelligenz“ zu tun hat. Immerhin hat es diese Publikation geschafft, mich in Sachen Verschwörungstheorien in Ägypten völlig zu verblüffen. Und das ist bestimmnt nicht einfach, nachdem, was ich in den letzten Monaten schon alles gehört habe. Was mich in solch kolossales Erstaunen versetzt hat, war der Artikel „Ein Jahr nach Mubarak, die Situation in Ägypten“ von Kim Kovalsky,

Offensichtlich war die ganze Revolution nichts anderes, als eine große Verschwörung der USA, die ahnungslose Blogger, Studenten und Aktivisten aufgehetzt hat. Der Grund ist ganz klar. Da die Vereinigten Staaten eine neue Weltordnung antreben, nutzen sie die Gunst der Stunde und die revolutionäre Bewegung, um ihre finsteren Ziele zu erreichen. Immerhin hat das der Militärrat so oder so ähnlich jetzt auch schon gesagt. Und tapfer, wie die Herren Militärs nun mal so sind, schoben sie gleich hinterher, dass sie natürlich gegen die unter Verdacht stehenden NGOs vorgehen würden – egal ob sie dadurch finanzielle Einbußen hätten oder nicht. Und da, so meint Kim Kovalsky, habe der Militärrat ausnahmsweise mal recht. Hä?????

Moment mal: Dass wir uns richtig verstehen. Das ägyptische Militär bekommt jedes Jahr 1,3 Millarden Dollar von den USA. Hinzu kommen 4,9 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe unter anderem aus den USA und der Bundesrepublik. Warum um alles in der Welt sollten die USA eine Revolution gegen einen Militärrat anzetteln, der ihnen doch sowieso aus der Hand frisst? Da wären die Milliarden doch einfach rausgeschmissenes Geld. Ich halte nun selbst nicht besonders viel von der US-amerikanischen Weisheit in diplomatischen Dingen. Aber für so bescheuert halte sich sie dann auch wieder nicht, einerseits die Militärs mit Milliarden von Dollar an den Fleischtöpfen zu halten, um anschließend in einem großen Masterplan genau diese Militärs von der Macht der Straße verjagen zu lassen. Das ist – mit Verlaub – Bullshit.

Ich denke, dass die Geschichte ein wenig anders liegt. Die Regierung Obama hatte die Entwicklung vor einem Jahr ziemlich verschlafen und viel zu lange an Mubarak festgehalten. Einerseits galt er als treuer Freund, den man in der Not nicht im Stich lässt, auf der anderen Seite sah man in ihm einen wichtigen Stabilitätsfaktor.

Dass politische Stiftungen oder NGOs sich in einer solchen Umbruchsituation, in der ein Land versucht, zur Demokratie zu finden, beteiligen, indem sie logistische Unterstützung – und manchmal vielleicht auch mehr – geben, scheint doch völlig logisch. Es ist ja auch vielleicht ganz nützlich, sich heute jene Leute zu verpflichten, die morgen möglicherweise in der Regierung sitzen. Vielleicht sind da die Konrad-Adenauer-Stiftung und die amerikanischen NGOs wirklich ein wenig übers Ziel hinaus geschossen, haben das ein oder andere Gesetz missachtet oder schlicht und einfach nicht gekannt.

Aber etwas anderes liegt doch auf der Hand. Mal von Israel abgesehen, ist es doch in Ägypten am einfachsten, mit Ressentiments gegen die USA Stimmung zu machen. Es hat vermutlich seit 20 Jahren keine Demonstration im Nahen Osten mehr gegeben, ohne dass mindestens ein Sternenbanner abgefackelt wurde. Außerdem: Die Ministerin, die am lautesten geschrien hat, war Fayzia Abulnaga – und die hatte ihr Amt als Ministerin für internationale Angelegenheiten schon unter Mubarak inne, stammt also definitiv aus dem alten Regime. Ihre Reaktion und ihr Verdacht auf eine vom Ausland gesteuerte Revolution kommt also nicht so ganz überraschend.

Wenn das alles wirklich Teil eines großangelegten Planes zur Schaffung einer neuen Weltordnung gewesen sein sollte, dann müssten da Heerscharen von Dilettanten am Werk gewesen sein. So wird das mit der neuen Weltordnung sicher nichts. Also muss man sich auch gar nicht erst darüber aufregen.

Endspurt

Wenn ich mir die Blogeinträge seit Dezember so anschaue, dann muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich eines natürlich meist schuldig geblieben bin. So versprach ich ja ein ProduktionsbIog. Über die eigentliche Produktion habe ich in diesem Blog allerdings bislang ziemlich wenig berichtet. Das solte ich nun vielleicht nachholen.

Auch am Cover wird - hier von Fränk - schon fleißig gebastelt.

In einer Woche ist Abgabetermin. Jetzt heißt es, sich sputen, dass alles bis auf den Punkt fertig wird. Eigentlich liegt mir das mehr, als als so ganz ohne Druck vor mich hin zu schreiben. Doch bei diesem Buch war so wenig normal. Normalerweise schreibe ich mir erst einmal ein Konzept, mache eine Gliederung, lege die Kapitel fest und fange dann an zu schreiben. Das hat in diesem Fall jetzt nicht ganz so gut funktioniert. Einerseits hat es immer wieder aktuelle Ereignisse gegeben, auf die ich in irgendeiner Weise reagierten wollte. Zum anderen muss ich zugeben, dass ich auch das ein oder andere falsch eingeschätzt haben. Ein Beispiel: Im Blogeintrag „Bittere Erkenntnis“ habe ich mich mit dem Blickwinkel der Europäer auf Ägypten auseinandergesetzt und zwar jener Europäer, die das Land seit Jahrzehnten kennen, oder dort schon lange leben und arbeiten. Die bittere Erkenntnis war die Einsicht, die Dynamik der Entwicklungen in Ägypten übersehen, beziehungsweise falsch eingeschätzt zu haben. Aus den daraus resultierenden Gesprächen und Überlegungen ist nun ein völlig eigenständiges Kapitel geworden, das so gar nicht eingeplant war.

Die Arbeit an „Koulou Tamam“, die jetzt etwa zweieinhalb Monate andauert, war bislang eine Achterbahn der Gefühle – manchmal auch eine Geisterbahn. In Vorbereitung auf meine Reise nach Ägypten hatte ich mir nach vielen, vielen Jahren noch einmal die Autobiografie von Jahan Sadat „Ich bin eine Frau aus Ägypten“ herausgesucht. Dieses Buch zu lesen und mit der heutigen Situation zu vergleichen, jagt einem schon den ein oder anderen Schauer über den Rücken. Vor allem der Rückschritt in punkto Frauenrechten macht einen schon sehr betroffen.

Ich hoffe, dass die Achterbahn inzwischen die letzte Kurve genommen hat und ich das Buch bis nächste Woche ohne große Turbulenzen beenden kann. Eine Freundin fragte mich jüngst, wie sinnvoll es sei, ein Buch über die Ägyptische Revolution und den Tourismus gerade jetzt zu schreiben, es könne ja noch so viel passieren. Tja – mag sein. Wann wäre denn der richtige Zeitpunkt? In einem halben Jahr, in einem Jahr, in fünf Jahren oder in zehn? Niemand kann jetzt im Moment abschätzen, wie sich die Revolution auf Dauer entwickeln und wann sie beendet sein wird. Ich denke, dass man aber schon den Korridor erkennen kann, in dem sich drei Entwicklungen ausschließen lassen: 1. Ägypten wird nicht zu einem Regime mubarakscher Prägung zurückkehren, 2. Ägypten wird kein islamistischer Gottesstaat wie der Iran, 3. Ägypten wird aber auch nicht zu einer parlamentarischen Demokratie nach bundesdeutschem Vorbild – auch wenn sich gerade einige Deutsche genau das unter der Revolution vorstellen mögen.

Am 21. April soll „Koulou Tamam, Ägypten“ in die Buchläden kommen. Ob es bis dahin noch aktuell sein wird? Keine Angst, da bin ich ganz sicher. Was passiert ist, ist passiert, und dass sich die Mentalität der Ägypter schlagartig ändern wird, das glaube ich nun auch nicht. Außerdem wird in dem Buch nicht all zu sehr über die weitere Entwicklung spekuliert. Denn wie sagte Karl Valentin zurecht: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“

Der Schatten im Osten

Die Katastrophe von Port Said ist noch keine Woche her, da ist sie in Deutschland schon wieder vergessen. Hätte nicht ausgerechnet Mohamed Zidan, als Rückkehrer zu Mainz 05 am Wochenende das 1:0 für seine Mannschaft bei Schalke 04 geschossen, wäre die Tragödie hier zu Lande noch schneller untergegangen. Zidan hat ausgerechnet bei El Masry das Fußballspielen gelernt und das Tor den Opfern von Port Said gewidmet.

Tagesspiegel vom 5. Februar 2012

Dass das Aufbegehren in Kairo und anderen Städten gegen den Militärrat unvermindert weiter geht, erfährt nur, wer sich wirklich interessiert. Im Moment steht Syrien viel mehr im Blickpunkt, und das ist natürlich im deutschen Mainstream-Journalismus, wo das Body-Counting, also das Zählen von Leichen, keine unerhebliche Rolle spielt, viel ergiebiger. Zynisch könnte man ja sagen, dass das ja ein Glücksfall für Ägypten ist, denn dann kommen vielleicht doch wieder mehr Touristen ins Land. Das ist dann leider doch ein Irrtum. Der Schatten, der da im Osten auf die Region fällt, verdunkelt auch die Strände am Roten Meer. Manch einer sagt sich: „Wenn’s in Libyen einen Bürgerkrieg gab und jetzt in Syrien einen gibt, dann könnte es doch auch in Äygpten…“ Genau das ist der Fluch der undifferenzierten Berichterstattung. Ich habe mit einem Artikel im Tagesspiegel versucht, ein wenig für Aufklärung zu sorgen. Mein Gewährsmann ist dabei Mazen Okasha, Chef der Fremdenführergewerkschaft am Roten Meer. Der weiß nun wirklich, von was er spricht.

Also wäre ich jetzt Ägypter und müsste mir mein Geld im Tourismus am Roten Meer verdienen, ich glaube ich würde einfach mal überschnappen. Die inzwischen wichtigste Touristengruppe, nämlich – nein, nicht etwa die Deutschen sondern die Russen, kommt nicht mehr ins Land, weil die Regierung angeblich massiv Propaganda gegen Urlaub in Ägypten macht. Grund sind die ersten einigermaßen freien und fairen Wahlen seit Jahrzehnten. Das könnten russische Ägyptentouristen ja auf dumme Gedanken kommen, wenn sie wieder zu Hause sind.

Die zweitwichtigste Touristengruppe sind die Deutschen. Da findet die Regierung es jetzt ja ganz toll, dass es diese Revolution gibt und dass das alles bald viel demokratischer und freiheitlicher wird, als zuvor. Aber niemand käme natürlich auf den Gedanken, dass es im Sinne von Freiheitlichkeit und Demokratie gerade jetzt eine sehr gute Idee wäre, in das Land zu fliegen und dort Urlaub zu machen. Das höchte der Gefühle ist, dass für die Urlaubsgebiete am Roten Meer keine explizite Reisewarnung ausgesprochen wurde.

Ich habe auf Facebook gesehen, dass einige meiner ägyptischen Freunde derzeit immer wieder gefragt werden, ob es denn sicher sei, in das Land zu reisen. Ich will es mal so ausdrücken. In wenigen Wochen ist Karneval – auch in Rio. Der lockt, wie jedes Jahr, auch viele Tausende Touristen an den Zuckerhut. Gerne würde ich mir mal den Spaß machen, sie alle zu fragen, ob sie auf Grund der besseren Sicherheitslage nicht lieber zum Beispiel nach Hurghada fliegen wollten. Sind wir doch mal ganz ehrlich. Rio ist ein wahnsinnig gefährliches Pflaster und die Gefahr, als Tourist ausgeraubt oder ermordet zu werden liegt schätzungsweise um den Faktor 100 höher – wenn es reicht.

Ägypten hat derzeit sicherlich ganz viele und ganz große Probleme. Doch die Objekte der Furcht deutscher Touristen gehören eindeutig nicht dazu.

Hauptsache geschrieben

Manchmal ist es ja wirklich zum aus der Haut fahren. Da gibt man sich noch immer der Illusion hin, dass Blätter wie „Der Spiegel“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ so etwas wie Qualitätsjournalismus vertreten. Erstaunlicherweise war in den Online-Ausgaben beider Blätter am Mittwoch – passend zum Jahrestag der Revolution – ein Beitrag zum Thema darbender Tourismus in Ägypten. Dass es sich um einen dpa-Bericht von Annette Reuther handelte – nun ja, geschenkt. Warum sollen Spiegel und SZ nicht auch mal eine Reportage bei der Agentur kaufen dürfen? Aber doch bitte nicht so etwas!

Auch in Luxor war im Januar von Hitze keine Spur

Da erklärt die Autorin den Januar zur Hochsaison, in der in Luxor „Touristenbusse Menschenmassen im Sekundentakt ausspucken.“ Aha. Schon wieder was gelernt. Ich war vielleicht fünf bis zehn mal im Januar in Ägypten. Selbst ohne Terror und Revolution ist die Zeit zwischen Mitte Januar und Ende Februar die touristenärmste. Doch die paar versprengten  Touristen, die laut Frau Reuther durch Luxors Ruinen irren, müssen auch noch leiden: „Auch am Tempel von Hatschepsut schleppen sich nur ein paar japanische Touristen in der Hitze die Treppen zu dem kolossalen Gebäude hoch.“ Soso, Hitze! In Ägypten klagen die Menschen derzeit über den kältesten Winter seit 20 Jahren. In Alexandria ist Schnee gefallen, auf dem Sinai ist das Katharinen-Kloster von Schnee bedeckt. In Luxor dürfte nachts einfach mal der Gefrierpunkt erreicht worden sein. In der Sonne wird’s dann wärmer. Ein wenig über 20 Grad. Oh, mein Gott, wenn das Hitze ist, was macht dann Frau Reuther im Juli im Tal der Könige, wenn es fast 50° C im Schatten hat – allerdings gibt es dort keinen Schatten. Das ist Hitze!!!

Sie scheint ja ziemlich gute Geschäfte gemacht zu haben, denn sie zitiert auch noch Händler, die ihre Waren nun zu Revolutionspreisen verramschen. Passt auch alles schön ins Klischee-Bild. In Hurghada haben mir mindestens zwei Taxifahrer ihre überhöhten Preise mit dem eklatanten Mangel an Touristen erklärt. Die kamen nicht einmal im Traum auf die Idee Revolutions-Sonderangebote zu machen, weil das Geschäft so mies läuft. Das Phänomen der steigenden Preise bei fallenden Touristenzahlen habe ich übrigens auch schon früher in Ägypten beobachtet. Sorry, Frau Reuther, aber bei den Revolutionsschnäppchen bin ich ebenso skeptisch wie bei der großen Hitze im Tal der Könige und dem Urlauber-Boom der normalerweise im Januar Luxor überrollt.

Doch dann kam der Satz, der mich so richtig sauer gemacht hat: „Der Sieg der Islamisten und Berichte, wonach in Ägypten eine Religionspolizei nach saudischem Vorbild und ein Bikini-Verbot eingeführt werden sollen, dürften die Reisenden weiter eher skeptisch stimmen.“ Da spricht nun die wahre Expertin. Also für alle zum Mitschreiben: Es wird in Ägypten weder ein Bikiniverbot, noch ein Alkoholverbot, noch getrennte Strände oder eine Religionspolizei geben. Das haben die Moslembrüder ganz klar ausgeschlossen, weil sie selbst wissen, wie dringend sie das Geld aus dem Tourismus brauchen. Selbst bei der salafistischen Partei „El Nour“ hat es noch keinen einzigen Politiker gegeben, der solche Forderungen aufgestellt hat. Sie kommen nur von Salafisten nahestehenden Sheiks oder Imamen. Einer von ihnen hat sogar gefordert, dass Frauen auf dem Markt keine Bananen und keine Gurken mehr kaufen dürfen. Mann, hat der eine schmutzige Fantasie. Aber er ist jetzt auch in ganz Ägypten eine Lachnummer.

Ob der detailgenauen Beschreibung sind zumindest Zweifel erlaubt, ob diese Frau im Januar tasächlich in Ägypten war. Wenn sie wirklich dort war, dann handelt es sich „nur“ um schlechten Journalismus. War sie nicht dort, wäre die Geschichte gefaket und der Presserat sollte sich damit auseinandersetzen. Das Land hat wirklich schon Probleme genug. Da braucht es nicht noch solche Artikel.

 

Pressekonferenz im Orient

Nun habe ich ja schon die ein oder andere Pressekonferenz in meinem Leben besucht. Aber die heute morgen war schon etwas Außergewöhnliches. Geladen hatte der Verband der Reiseveranstalter Red Sea und – man höre und staune – die Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“. Eigentlich ist die Partei hier im Land und in Europa besser bekannt unter „Moslembrüder“.

Es stimmt schon. Hier handelt es sich im eine islamistische Partei. Die Frage ist jedoch, wie gemäßigt sie inzwischen ist. Aber das soll an dieser Stelle nicht das große Thema sein. Dass sich die Moslembrüder mit dem Touristenverband zu einer Pressekonferenz im Steigenberger Hotel treffen, ist schon mal bemerkenswert genug. Bislang war ich ja bei solchen Terminen ein paar Häppchen und ein wenig Getränke gewohnt. Wenn es etwas Größeres war, gab’s dann schon mal ein paar „Giveaways“ der besonderen Art. In Rottweil war die Jahrespressekonferenz im Milchwerk immer besonders beliebt, weil es da für die Pressevertreter Fruchtjoghurt in rauhen Mengen zum Mitnehmen gab.

Im Steigenberger gab es keinen Fruchtjogurt, dafür im Vorraum so ziemlich alle Köstlichkeiten des Orients, inklusiver zweier Schokoladenbrunnen. Aus dem einen sprudelte weiße, aus dem anderen braune Schokolade. Es war also kein Wunder, dass sich der Beginn der Veranstltung gleich um eine halbe Stunde verzögerte, aber das lag auch daran, dass sich der Gouverneur verspätete, was durchaus üblich und eingepreist ist.

Mazen und Abir - vielen Dank für Eure Hilfe.

Die erste Reihe des großen Saales war für die höhere Geistlichkeit und die lokale Politprominenz reserviert. Alle hatten sie kleine Tischchen mit Erfrischungen vor sich. Auch in der zweiten Reihe gab es Erfrischungstischchen. Sie war für hochrangige Militärs reserviert. Die folgenden Reihen hatten keine Tischchen. Dort saßen Freunde und Angehörige aus Reihe 1 und 2. Etwa in Reihe fünf hatten dann die ersten ägyptischen Journalisten Platz genommen. Danach, mit gebührendem

Abstand, kam der nächste Block mit mehreren Sitzreihen, in denen ausländische, vorwiegend russische Kollegen Platz nahmen. Die Pressekonferenz fand im Rahmen der ägyptisch-russischen Kulturwoche statt. Es gab auch eine Simultan-Übersetzungsanlage – leider nur arabisch-russisch, was mich jetzt nicht unbedingt weiter gebracht hätte. Doch mit Abir hatte ich eine wunderbare und hochkompetente Dolmetscherin an meiner Seite. So konnte ich den wesentlichen Punkten der Veranstaltung gut folgen.

Die wichtigste Erkenntnis: Die Muslimbrüder wollen den bislang vorherrschenden Tourismus nicht nur unangetastet lassen. Sie wollen den Tourismus vielmehr durch neue Produkte (übrigens explizit auch im Bereich Sport!!) weiterentwicklen und planen bis zum Jahr 2016 die Touristenzahlen auf 20 bis 25 Millionen zu steigern. Angesichts von 10 Millionen Urlaubern vor der Revolution scheint mir das ein sehr ehrgeiziges Ziel.

Der Vertreter der ägyptischen Sozialdemokraten forderte, im Tourismus mehr Augenmerk auf die Ökologie zu legen und die Arbeitsbedingungen der im Tourismus beschäftigten nicht außer acht zu lassen. Beonders bemerkenswert aber fand ich die Rede eines Sheiks der Al-Ahsar Universität in Kairo, der mit einem Koranzitat verdeutlichte, dass das Reisen durchaus ein gottgefälliges Werk und der Tourismus daher zu fördern sei.

Alles in allem dauerte die ganze Veranstaltung drei Stunden. Ich habe mir danach ausgemalt, wie Kollegen in Deutschland reagieren würden, wenn sie drei Stunden bei einer Pressekonferenz absitzen müssten. Es war eine sehr amüsante Vorstellung.

Für mich war es eine tolle Erfahrung, und gebracht hat es auch einiges. Nach drei Wochen fruchtbarer und intensiver Arbeit bildete diese PK einen sehr gelungenen Abschluss. Ich bin Mazen Okasha sehr dankbar, dass er mir den Besuch dieser Veranstaltung ermöglicht hat.

Inzwischen sind meine Bordkarten ausgedruckt. Der Flieger nach Deutschland geht morgen Nachmittag um 15.30 Uhr. Doch in Deutschland wartet noch viel Arbeit auf mich.

Das wird natürlich noch nicht das Ende des Blogs „Koulou tamam, Ägypten?“ sein. Ich werde auch weiter über die Entstehung des Buches und vor allem über die Entwicklungen in Ägypten berichten. Spannende Tage liegen vor uns. Am 25. Januar jährt sich der Ausbruch der Revolution zum ersten Mal. Über dem ganzen Land liegt eine gespannte Erwartung. Auch das Urteil über Hosni Mubarak steht noch aus. Wenn es gesprochen ist, wird es sicher auch Reaktionen auf der Straße geben. In diesem Zusammenhang übrigens ein Wort an alle Gegner der Todesstrafe (zu denen ich mich selbstverständlich auch zähle): Es ist zwar nicht ausgemacht, dass Mubarak zum Tode verurteilt wird (der Staatsanwalt hat das gefordert). Allerdings gilt es als ziemlich ausgeschlossen, dass er im Falle eines solchen Spruchs auch hingerichtet wird, denn das gibt die Gesetzeslage gar nicht her. Die sagt nämlich, dass ein über 80jähriger gar nicht hingerichtet werden darf. Ich schätze mal, dass die Ägypter damit weiter sind, als zum Beispiel der US-Bundestaat Texas.

Bittere Erkenntnis

Der Tourismusboom in Hurghada begann im November 1986. Im Juni 1991 kam ich zum ersten Mal in die Stadt, als ganz normaler Tauchtourist. Drei Jahre später begann ich hier gelegentlich als Tauchguide zu arbeiten. Seit 1997 schreibe ich über den Fremdenverkehr in Ägypten, 2003 erschienen meine ersten Bücher zum Thema „Ägypten und der Tourismus“. Eigentlich sollte ich Bescheid wissen. Ich habe die Urlaubsindustrie am Roten Meer als wirtschaftlich wichtigste Einnahmequelle beschrieben, weil rund jeder vierte Ägypter direkt oder indirekt an dieser Industrie hängt. Ich habe auch über die Gefahren berichtet, die dieses Phänomen mit sich bringt, dass nämlich immer mehr Menschen in diesem Sektor arbeiten wollen, weil hier die Löhne höher sind, als die Entlohnung für Ärzte oder Lehrer.

Das marode Bildungssystem war ebenso ein Thema, wie das Furcht erregende staatliche Gesundheitssystem. Wer Anfang der 90er ins Generalhospital musste, wurde von den Freunden verabschiedet, als begäbe er sich auf eine Reise ohne Wiederkehr. Glück hatte, wer ins Marine-Hospital kam, und als schließlich das private El Salam Hospital eröffnet wurde, schien der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten. Die ägyptischen Schüler lernen in der Schule zwar nichts, und die Eltern werden von den Lehrern, die die Kinder schlecht oder gar nicht unterrichten, aufgefordert, Geld für private Nachhilfestunden zu bezahlen, die eben diese Lehrer dann selbst geben – aber was soll’s? In El Gouna entwickelte sich schnell eine inzwischen renommierte internationale Schule. Die vierte Klasse der deutschen Schule in Hurghada hat gerade den Mathematikpreis der Freien Universität Berlin gewonnen.

Mal ganz ehrlich, der Fortschritt in Ägypten schien doch nicht aufzuhalten!

Fortschritt? Wenn es überhaupt so etwas wie Fortschritt gegeben hat, dann nur in einem kleinen privatfinanzierten Bereich, der auch nur einer immer kleiner werdenden Gruppe von Ägyptern zugute kommt, nämlich der, die Geld hat. Ansonsten sind es Ausländer, die von privaten Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen profitieren.

Heute muss ich einsehen, dass Ägypten in diesen 20 Jahren, in denen ich das Land bereise und darüber berichte, völlig auf den Hund gekommen ist – und ich habe es nicht einmal bemerkt. Und ich bin nicht der einzige Europäer hier, dem diese Einsicht so langsam dämmert. Es ist nicht so, dass wir die Missstände nicht gesehen hätten. Was wir völlig ausgeblendet haben, war die Tatsache, dass es von Jahr zu Jahr schlimmer wurde. Wir haben das Übel als etwas Statisches betrachtet, das zu dem Land gehört, wie die Pyramiden. Eine schnell wachsende Metropole wir Hurghada hat natürlich darüber hinweg getäuscht, dass es mit dem gesamten Land in gleichem rasanten Maße bergab ging. Als ich das erste Mal Ägypten verließ, wurde mein Gepäck noch mit einer Personenwaage abgewogen! Inzwischen gibt es hier einen hochmodernen Airport. Früher brauchte der Reisende Travellerschecks und Dollar, heute stehen an allen Ecken Geldautomaten. McDonalds und Burger King sind auch schon da. Das alles kann doch kein Zeichen für Rückschritt sein! Vielleicht nicht, aber es hat möglicherweise den Blick darauf verstellt, wie rasant sich die grundlegenden Dinge für die allgemeine Bevölkerung verschlechtert haben.

Urlauber müssen sich darüber keine Gedanken machen. Sie sollen hier ihre wohlverdienten Ferien genießen. Aber die, die leben, lebten, arbeiten oder gearbeitet haben, könnten sich heute vielleicht die ein oder andere Frage stellen. Natürlich ist der Tourismus nicht schuld daran, dass die Dinge so liegen, wie sie nun mal liegen. Aber komisch ist es schon, dass die Europäer während der ägyptischen Revolution viel panischer reagiert haben, als ihre ägyptischen Mitbewohner. Die nehmen die Umwälzung mit der Gelassenheit einer 7000 Jahre alten Hochkultur. Zwar gehen sie jetzt wegen jedem Dreck auf die Straße und demonstrieren lautstark, aber die Zukunftsangst der Europäer kennen sie nicht. Warum auch? Sie haben ja viel weniger zu verlieren. Und? Was wird aus eurem Land? „Mafish mushkella“ – „Kein Problem“. Irgendwie wird es schon klappen.

Parallelen

Housam ist Chefkoch bei Thomas und Barbara. Er stammt aus Oberägypten und hat vor fast 20 Jahren in der damaligen „Villa Kunterbunt“ als Putzkraft begonnen. Thomas meinte schon kurz nach meiner Ankunft, dass Housam einer meiner wichtigsten Gesprächspartner werden könnte. Er ist ein sehr gläubiger Moslem, ohne fanatisch zu sein, verleugnet seine Herkunft vom Land nicht und kann die Vorstellungen seiner Landsleute aus dem Niltal sehr genau wieder geben.

Chefkoch Housam

Der eigentliche Interviewtermin war noch gar nicht geplant, da traf ich ihn gestern morgen am Hintereingang des Restaurants. Weil der Schlüssel noch fehlte, kamen weder er noch seine Küchenbrigade an den Herd. Und so haben wir uns eine halbe Stunde lang über Gott und die Welt, Mubarak und die Revolution, über Bildung und Wohlstand – und natürlich über Ägyptens Zukunft unterhalten.

Zum Thema Demokratie meint er: „Das ist doch wie mit einem kleinen Kind, das laufen lernt. Natürlich fällt es ein paar Mal hin, ehe es laufen kann. So ist das bei uns mit der Demokratie auch. Na und?“ Da muss ein westlicher, demokratiegestählter Besserwisser dann schon einmal kurz schlucken. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht.

Dann aber ein echter Schock. Es geht um Mubarak. Die letzten zehn Jahre seien schon schlimm, die 20 Jahre zuvor ganz okay gewesen. Große Begeisterung für den „Pharao“ klingt anders. Ich werfe ein, dass Ägypten im gleichen Zeitraum zuvor fünf Kriege erlebt hatte – und unter Mubarak habe es keinen mehr gegeben. Housam zuckt mit den Schultern. „Na und? Heute geht es uns schlechter, als zuvor. Mubarak hat den Frieden doch verschleudert.“ So, ist das also die Meinung der einfachen Leute vom Land?

Nachmittags habe ich ein Gespräch mit Mazen. Er hat Germanistik studiert, ist Buchhändler, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei am Roten Meer, Gewerkschaftschef der Fremdenführer. Er konnte Mubarak schon als Kind nicht leiden. „Der kann ja nicht einmal richtiges und sauberes Arabisch sprechen“, meint Mazen fast angewidert. Aber immerhin habe er dem Land doch 30 Jahre Frieden gebracht, versuche ich es an diesem Tag schon zum zweiten Mal. „Na und?“ fragt Mazen verwundert. „Unser Bildungssystem, unser Gesundheitswesen, alles ist verrottet. Uns geht es schlechter als vor 30 Jahren. Wo stand damals Malaysia zum Beispiel im Vergleich zu Ägypten? Und wo steht Malaysia heute, und wo stehen wir?“

Ich erfahre an diesem Nachmittag noch einige erstaunliche Parallelen zwischen dem einfachen Koch und dem intellektuellen Buchhändler. Beide beklagen zum Beispiel, dass Ägypten international nicht mehr diesen Rang einnimmt, der ihm zukommt. „Ägypten war doch einmal das Herz der Welt“ – beide drücken sich fast wortgleich aus. Es ist erstaunlich. Housam stand während der Revolution hinter seinen Töpfen und kochte für die wenigen Touristen, zur gleichen Zeit erlebte Mazen die berüchtigte Kamelschlacht auf dem Tahrir und wurde in einem Steinhagel der Mubarakanhänger schwer verletzt. Trotzdem wählen sie fast die selben Worte.

Es sind aber auch Worte voller Hoffnung, die nicht unbedingt zu dem passen, was manche hier lebenden Europäer befürchten. Housam und Mazen schauen beide sehr gelassen und optimistisch in die Zukunft. Und wenn die Moslembrüder nun an die Macht kommen – nun denn. Dann müssen sie sich eben beweisen. Und wenn sie es nicht können? „Dann verjagen wir sie eben wieder“, meint Housam, grinst, schlägt mir auf die Schulter und meint: „Don’t worry!“

Auf hoher See…

Eigentlich ist es schon ein seltsames Phänomen. In kaum einem Land ist der Tourismus älter als in Ägypten. Immerhin hat schon Herodot auf die Pyramiden als Sehenswürdigkeit hingewiesen. Aber der Massentourismus, der nun so viel Geld ins Land bringt, dass ganz Ägypten am Tropf des Fremdenverkehrs hängt, ist gerade mal etwa 25 Jahre alt. Und dass es überhaupt dazu kam, hat Ägypten einer ganz bestimmten Klientel zu verdanken. Die ersten, die mit Kamelen, Jeeps und Unimogs ans Rote Meer pilgerten, waren Taucher. Für die wurden erst Zeltplätze, dann ein paar Baracken und schließlich kleine Hotels errichtet. Kaum standen die Hotels, brachten die ersten Taucher ihre Familien mit. Die nichttauchenden Familienmitglieder fanden die unberührten Strände ganz toll – und so nach und nach kamen die ersten Urlauber, die nur der Strände wegen kamen. Und so wuchsen, ja wucherten die Hotels am Roten Meer.

Inzwischen machen in normalen Zeiten die Taucher in Hurghada nur noch etwas mehr als zehn Prozent der Touristen aus. Aktuell sind es aber über 30 Prozent. Und so war es auch in der Vergangenheit. Ich kam 1991 drei Monate nach dem Golfkrieg zum ersten Mal nach Hurghada. Strandtouristen gab es praktisch keine, aber die Tauchboote waren voll. Tatsächlich haben sich Taucher in all den Jahren nie von irgendwelchen Krisen und Katastrophen abhalten lassen. Natürlich gehen auch die Taucherzahlen in diesen Zeiten zurück. Sie brechen aber nie so dramatisch ein, wie die der „normalen“ Urlauber. Sie sind strukturell die wichtigste Urlaubergruppe geblieben und sie haben den Fremdenverkehr immer wieder über manche Krisenzeiten gerettet.

Klein Giftun (rechts)

Ich war heute zwischen den Giftuninseln tauchen. Nun gehört Sha’ab Dorfa nicht gerade zu meinen Lieblingsplätzen. Aber zwei große Napoleons und zwei üppige Schildkröten machen auch solch einen Platz zu einem schönen Erlebnis, über das dann an Bord lang und ausdauernd geredet wird. Die Revolution war weit, weit weg – wie eigentlich immer an Bord. Da geht es eigentlich nie um Politik, sondern nur ums Tauchen. Das Boot und das Meer bieten eine gewisse Sicherheit vor all den Unbilden an Land. Selbst die ägyptische Besatzung verändert sich komplett. Vor dem Ablegen wurde ich noch Zeuge einer hitzigen politischen Diskussion zwischen unserem Kompressorchef Mustafa und dem Kaptain unseres Bootes. Das einzige, was ich verstand, war immer wieder der Name Mubarak. Kaum hatte das Boot abgelegt, wurde die Stimmung viel entspannter und lustiger. Umgekehrt funktioniert es allerdings auch. Kaum sind alle wieder wohlbehalten an Land, drehen sich die Diskussionen beim Dekobier um Politik, Revolution und die Auswirkungen auf den Tourismus.

Andreas war heute noch besonders empört, über das, was ihm vor einem Jahr passierte, als er zum Tauchen nach Hurghada fliegen wollte. „Vier Tage vor Abflug ruft das Reisebüro an und erklärt mir, dass meine Reise storniert worden sei…“ Es hätte ihn dann kurzerhand auf ein anderes Ziel umgebucht. „Ich musste dann nach Teneriffa“, erzählte er angewidert. Das Mitgefühl aller anderer Taucher war ihm sicher.

Die Freiheit der Meinung

30 Jahre lang war das mit der Meinungsfreiheit so eine Sache. Nun nutzen die Ägypter diese Freiheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit – und dehnen den Begriff dabei bisweilen in einer Art und Weise aus, die den freiheitsliebenden Europäer dann doch etwas verblüfft. Manchmal kann der Anlass ein scheinbar nichtiger sein. Gestern morgen lag in Hurghada ein unschuldiger Gullideckel auf der Straße herum und nicht da, wo er liegen sollte. Früher wäre ein daraus resultierender Achsbruch mit Schulterzucken als der unergründliche Wille Allahs abgetan worden. Doch das Schicksal wollte es, dass sich an diesem Morgen ein Taxi, das sich in diesem Schlagloch verfing, mehrfach überschlug und auf dem Kopf liegen blieb.

Was ein Gullydeckel so anrichten kann.... Foto: Hadad Khairy

Doch Allah ist mit den Seinen und der Fahrer blieb unverletzt. Es blieb allerdings die Frage, wie der Gullideckel dahin kam, wo er lag. Die Antwort lag auf der Hand: Es handelte sich um eine Schlamperei der Straßenbaubehörden. Und wer ist verantwortlich für Behörden? Der Gouverneur! Es kam zu einer großen Demonstration, die den Verkehr auf der Hauptverkehrsstraße komplett lahm legte. Die erste Forderung der Demonstranten: Der Gouverneur muss her, er soll sich die Sauerei ansehen und für Abhilfe sorgen. Außerdem sollte er umgehend ein Ersatzfahrzeug für den verunglückten Fahrer stellen, dessen Fahrzeug nur noch Schrottwert hatte. Der Gouverneur zeigte sich zwar nicht, aber natürlich wurden sowohl Abhilfe bei den maroden Straßenverhältnissen, als auch Kompensation für den Fahrer versprochen. Ob’s dazu kommt? Inshallah.

Im Sinai hat sich die freie Meinungsäußerung auf ganz andere Weise Bahn gebrochen. Dort sind acht deutsche Touristen festgesetzt (andere sagen: entführt) worden. Die Forderung der Festsetzer (oder Entführer): Die Wahlen im Südsinai müssen wegen Wahlfälschung wiederholt werden. Der dortige Gouverneur gab den Forderungen sofort nach. In Hurghada werden jetzt schon Überlegungen angestellt, ob dieses Beispiel wohl Schule machen könnte.

Es ist schon seltsam, über die Freiheit der Meinung in Ägypten zu schreiben, wenn im Hintergrund gerade Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ singt und „… ich war noch niemals richtig frei“. Das hat schon etwas Bizarres.

Bizarr ist allerdings auch, wenn ich mir heute anhören darf: „Was regt ihr euch über Ägypten auf. Haben wir einen Wulff? Werden bei uns Staatsanwälte im Gerichtssaal erschossen?“ Tja, es kommt eben alles auf den Blickwinkel an.