Was hat das mit Fußball zu tun?

Die Stadionkatastrophe von Port Said ist knapp zehn Monate her. Noch immer wird in der höchsten Ägyptischen Liga kein Fußball gespielt. Eigentlich war im Oktober geplant, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen. Doch daraus ist dann auch nichts geworden. Zwar war im September noch der Supercup ausgetragen worden, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit und erheblicher Proteste der Fans. Nach dem Massaker, das dem Spiel El Masri gegen Al Ahly folgte und bei dem 74 Menschen starben, hatten die Spieler des erfolgreichsten afrikanischen Fußballvereins bekundet, nie wieder Fußball spielen zu wollen. Nun ist eine Ägyptische Liga ohne Al Ahly ebensowenig denkbar, wie eine Erste Bundeliga ohne Bayern München. Die meisten anderen Vereine wären ja schon gerne wieder angetreten, doch vor allem die Fans des Kairoer Vereins haben eine Aufnahme des Spielbetriebs bislang verhindert. Auch der Club selbst verlangt eine lückenlose Aufarbeitung des Geschehens am 1. Februar im Stadion von Port Said. Am 17. April waren in Kairo 75 Personen vor Gericht gestellt worden – im gleichen Saal, in dem auch gegen Hosni Mubarak verhandelt wurde.

Die Ultras von El Masri (hier beim Spiel in El Gouna), richteten am 1. Februar ein Massaker im Stadion von Port Said an. Mit der juristischen Aufarbeitung tun sich die betroffenen Fans von Al Ahly schwer. Foto: psk

Doch das reicht Al Ahly und seinen Fans nicht. Sie glauben, dass das Gericht nicht aufgeklärt, sondern vertuscht und Sündenböcke gesucht hat. Der Verdacht kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich ist die Justiz – um es höflich auszudrücken – der Revolution sehr zögerlich gefolgt. Gefolgsleute des alten Regimes wurden häufig sehr milde, wenn überhaupt verurteilt. Die schrillen Proteste nach den Urteilen gegen Hosni Mubarak und seine engsten Vertrauten sind ja noch immer in den Ohren. Dass der alte Pharao zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, erregte die Gemüter weniger, als die Freilassung seiner beiden Söhne Alaa und Gamal.

Das Justizsystem war während der Revolution durchaus immer wieder mal Ziel von Protesten und Demonstrationen. Insofern wirkt es auf den fernen Betrachter dann auch wieder ein wenig bizarr, wenn diejenigen, die vor noch nicht all zu langer Zeit gegen Richter auf die Straße gegangen sind, denen eine zu große Nähe zum untergegangenen Regime nachgesagt wurde, nun den Untergang Ägyptens heraufbeschwören, weil Mursi eben dieses Justizsystem ausgehebelt hat.

Ja, Mohammed Mursi hat die Gewaltenteilung, die Grundlage einer jeden funktionierenden (westlichen!) Demokratie ist, kurzerhand zerlegt. Das sollte man nicht tun, wenn man als aufrechter Demokrat durchgehen will. Er hat ja nicht nur die Justiz kastriert, sondern auch noch die Legislative „eingehegt“. Natürlich hat er das Parlament, in dem seine Freunde von der Moslembruderschaft das Sagen haben, vor der vorzeitigen Auflösung zunächst bewahrt. Aber auch das Parlament hat Säkulare, Kopten und Liberale schier zum Wahnsinn getrieben. Eigentlich müssten doch alle froh sein, dass die in ihrem Schutzgebiet ungestört wirre Reden halten können.

Ja, Mohammed Mursi hat jetzt mehr Macht auf sich vereinigt, als Hosni Mubarak je hatte. Jetzt muss er sich nur noch eine Pyramide bauen und anbeten lassen, dann ist er tatsächlich einem Pharao gleichzusetzen. Aber will er das denn wirklich? Heute ist er zum Beispiel schon wieder mal zurückgerudert. Er verhandelt mit dem Richterrat und verspricht, seine angemaßten Vollmachten wieder zurückzugeben. Man mag ihm das glauben oder nicht. Aber was ist denn die Alternative? Nach meinem Blogbeitrag am Freitag habe ich den einen oder anderen offenbar irritiert, weil ich scheinbar der Diktatur das Wort geredet habe. Nein, mir wäre es auch lieber, wenn sich der Präsident an demokratische Gepflogenheiten halten würde. Aber das Land braucht schnelle, präzise und sehr umfassende Entscheidungen. Die sind weder mit diesem Parlament, noch mit dieser Justiz zu bekommen. Und die Probleme, die von außen auf Ägypten hereinprasseln werden, werden wohl kaum so freundlich sein und erst einmal warten, bis sich Ägypten im Inneren sortiert hat. Ich seh das auch mit Bangen und ziemlichem Herzklopfen, was Mursi da treibt. Ein gewagtes Spiel ist es allemal. Aber gibt es eine andere Alternative? Wenn nicht Gott oder Allah ein Wunder tut und über Nacht alle Ägypter zu Konsenzdemokraten geworden sind, dann gibt es wohl gar keine andere Option. Da gibt’s vielleicht nur eins: Augen zu und durch – und hoffen, dass er sein Versprechen einhält und seine Macht nach den Parlamentswahlen auch wieder zurückgibt. Ich persönlich bin sehr geneigt, ihm zu glauben. Im Übrigen halte ich die Proteste gegen Mursi auf dem Tahrir-Platz für durchaus legitim und hoffenlich hilfreich. Sozusagen als kleine Gedächtnisstütze für den Präsidenten…

Da ich mich ja bereits am Freitag bei allen aufrechten Demokraten völlig diskreditiert habe, will ich an dieser Stelle an eine Einrichtung in der Römischen Republik erinnern. Wenn es um die Republik ganz schlimm stand, wurde den beiden Konsulen mit den Worten: „Videant consules, ne quid detrimenti capiat res publica“ auf Zeit diktatorische Macht übertragen. „Die Konsulen mögen dafür Sorge tragen, dass dem Staat kein Schaden entstehe.“

Eine aufschlussreiche Reise

Die Blog-Pause war nun ziemlich lange, aber ich habe sie sinnvoll verbracht – und zwar in Ägypten. Für das Tauchreise-Magazin „Silent World“ war ich im Süden an der Küste unterwegs um Tauchbasen mit den schönsten Hausriffen am Roten Meer zu erkunden. Nicht nur aus journalistischer Sicht war die Reise ein voller Erfolg. Vor allem habe ich eine einige Menschen kennen gelernt, die mir zum Teil noch einmal ganz neue und wertvolle Einblicke in die derzeitige Situation in Ägypten verschafften.

Die Fahrt in den Süden offenbarte mir etwas ganz Erstaunliches: Mit jedem Kilometer schien die Revolution weiter weg. Doch nicht nur das. Offensichtlich sind die Hotels auch voller, je weiter es nach Süden geht. im Medinat Coraya schließlich, einem Verbund von fünf Hotels um die Bucht von Coraya, schien es praktisch keine Probleme in Sache Tourismus zu geben. Hans Heinz Dilthey, Besitzer der örtlichen Tauchbasis Coraya Divers, hat dafür eine verblüffende Erklärung parat: „Es ist die Nähe zum Flughafen“, tatsächlich ist der Flughafen Marsa Alam keine zehn Autominuten von der Bucht entfernt.

Der Süden hält manche Überraschung bereit: Nein, das ist kein Fort der Fremdenlegion sondern das Utopia-Hotel

Hans Heinz nahm mich auch mit nach Port Gahlib, das einst als südliches Gegenstück zu El Gouna geplant war. Während das Original im Norden vom ägyptischen Unternehmer Samih Sawiris gebaut wurde, hatte es im Süden der Kuwaiti Nasser al-Kharafi versucht, der sich gleich noch den benachbarten Flughafen leistete. Doch während El Gouna auch in den schlimmsten Krisenzeiten stets gut gebucht war, gleicht das feine Port Ghalib einer Geisterstadt. Etwa die Hälfte der Shops an der Marina sind leer. Die einizigen Menschen sind sichlich gelangweilte Shopverkäufer, die nicht einmal halbherzige Versuche unternahmen, uns ihn ihre Läden zu locken. Für Ägypten ein eher untypisches Verhalten.

Es gibt eine handvoll Kneipen, die sich zu einer etwas merkwürdigen Aktion zusammengeschlossen haben, vermutlich um den kuwaitischen Investor oder vielleicht die künftigen Machthaber zu beeindrucken. Sie schenken alle keinen Alkohol aus. Mit durchschlagendem Erfolg. Die Etablisements sind einfach mal leer. Die einzige Bar, die noch Alkohol ausschenkt verlangt für das Bier 40 ägyptische Pfund, das sind umgerechnet 5,32 Euro. Selbst, wenn jetzt einmal in der Woche die großen Safarischiffe von der Südtour zurück kommen, macht diese Kneipe kein großes Geschäft mit durstigen Tauchern. Die verbringen der letzten Tag dann lieber an Bord.

Jetzt mal ohne jegliche Schadenfreude: Mir gefällt das ziemlich gut, denn Port Ghalib zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie ein Tourismus in Ägypten funktionieren würde, wenn er nach den Vorstellungen der Salafisten gestaltet würde. Die hätten allerdings am 6. November 2009 allerdings zu verhindern gewußt, dass Beyoncé während ihrer „I am“ Tour das einzige Konzert auf afrikanischem Boden ausgerechnet in Port Ghalib gab.

Der Aufreger schlechthin war während meines Aufenthaltes die Entlassung des Feldmarschall Tantawi durch Präsident Mohamed Mursi. Im ersten Moment schien mir das etwa so logisch, wie wenn Horst Seehofer kurzerhand Angela Merkel entlassen hätte, sie als Beraterin wieder einstellen und mit dem Bundesverdinstkreuz am Bande mit Pauken,Trompeten und Brustring auszeichnen würde. In diesem Moment haben fast 85 Millionen Ägypter die Augen fest zu gemacht und sich die Ohren zugehalten. Und passiert ist … nichts. Kein Militäroutsch, kein Bürgerkrieg – nur himmlische Ruhe. Und als die ersten sich wagten, langsam die Augen wieder zu öffnen, haben sie Mursi alle heftig beklatscht. Selbst Liberale und Säkulare fanden es zunächst toll. Allerdings wäre Ägypten nicht Ägypten, wenn sich das nicht ganz schnell wieder gedreht hätte. Wer so eine Macht ausübt, kann sie ja auch dazu nutzen, um sie für die Moslembrüder zu zementieren. In diesem Sinne gibt es am Freitag wieder einmal eine Großdemonstration auf dem Tahrir, wo gegen die Machtfülle der Moslembrüder demonstriert werden soll. Irgend ein komischer Imam hat dann dazu aufgerufen, jeden, der gegen die Brüder demonstriert, kurzerhand abzuknallen. Zwei Tage später behauptete jener Imam, so etwas nie gesagt zu haben…

Ich bin sehr gespannt auf Freitag. Und da bin ich nicht der einzige. Eine knappe Woche nach Ende des Ramadans könnte es vielleicht sein, dass einige einfach nur ihre Aggressionen abbauen wollen. Ob es friedlich bleibt? Ich hoffe es, aber ich befürchte, nein. Das mag wohl daran liegen, dass sich auch die Versorgungslage – bedingt auch durch die heißen Sommertage – inzwischen wieder verschlechtert hat. Die Schlangen an den Zapfsäulen sind nach wie vor elend lang. Brauch- und Trinkwasser werden schon mal knapp und in Hurghada wünscht man sich inzwischen  nicht mehr einen „Guten Morgen“ sondern „Starken Strom“.

Fast drei Wochen war ich jetzt wieder in Ägypten. Trotz all der Probleme, die das Land hat, es lohnt sich noch immer dort Urlaub zu machen. Es war schön wie eh und je.

Mit Sicherheit

Fast jeden Tag werde ich gefragt, wie es um die Sicherheit von Touristen in Ägypten bestellt ist. Da kommen natürlich Nachrichten wie diese, nach der heute zwei amerikanische Touristen auf dem Sinai entführt wurden, immer sehr günstig. Deshalb will ich mal diesen – durchaus exemplarischen Fall – zum Anlass nehmen, einige grundsätzliche Dinge zum Thema Sicherheit der Touristen klarzustellen.

Natürlich war die allgemeine Sicherheitslage vor der Revolution besser. Aber woran lag das denn? Es lag daran, dass die Polizei zuvor tun und lassen konnte was sie wollte, dass die gefürchtet war, und dass sie ihre Macht oft auch leidlich ausnutzte. Als Anfang der 90er Jahre die Terrororganisation Gamaa al Islamiyya auf ihren ersten Feldzug gegen die Touristen ging, kam das bei der Bevölkerung gar nicht gut an. Die Gamaa stoppte die Anschläge auf Reisebusse und verkündete, jeden Tag einen Polizisten töten zu wollen. Da erhob sich komischerweise kein Sturm der Entrüstung. Warum wohl?

Schon während der Revolution ist die Polizei weitgehend abgetaucht. So langsam lässt sie sich wieder blicken, und wer uniformiert ist und den Straßenverkehr regelt, ist nun nett, freundlich und zuvorkommend. Nur nicht anecken, scheint die Devise bei den Beamten zu sein. Die Verkehrsdisziplin, die in Ägypten noch nie besonders ausgeprägt war, ist nun völlig auf den Hund gekommen. Und an diesem Punkt muss ich eines zugeben: Nie war es für einen Touristen gefährlicher, die Straße zu überqueren, als in diesen Tagen. Allerdings – ungefährlich war es auch noch nie.

Wieviele von den rund 4.000 Schwerverbrechern, die während der Revolution rausgelassen wurden, um das Land zu destabilisieren, inzwischen wieder hinter Gittern sitzen, kann ich leider nicht sagen. Dass Ägyptens Verbrecherelite mindestens zum Teil noch auf freiem Fuß ist, macht die allgemeine Sicherheitslage im Land auch nicht gerade besser.

Trotzdem merken die Touristen von all dem eigentlich relativ wenig. Das ist ziemlich erstaunlich, denn gerade dort, wo sich aus der Sicht des gemeinen Ägypters Geld und Reichtum im Überfluss befinden – nämlich den Urlaubsgebieten – scheint es am sichersten im ganzen Land zu sein. Die Erklärung ist – zumindest für mich – relativ einfach. Jeder, aber auch wirklich jeder Ägypter fühlt sich für seine Gäste, die ihn in seinem Land besuchen, verantwortlich und versucht ihn mit allen Möglichkeiten zu schützen.

An dieser Stelle wäre der Einwand angebracht: Aber was ist mit diesen Entführern auf dem Sinai? Wenn ich nun behauptete, dass das keine Ägypter seien, dann hätte das möglicherweise einen rassistischen Ruch. Ich sag es trotzdem, weil sie es nämlich selbst so sehen. Wenigstens die Beduinen auf dem Sinai empfinden sich selbst nicht als Ägypter, sondern als Menschen, die eben notgedrungen in diesem merkwürdigen Staatssytem leben. Seit dem Ende des Mubarak-Regimes kommt es immer wieder zu solchen Entführungen. Kurios war die kurzeitige Entführung von sechs Deutschen im Januar. Da forderten die Entführer eine Widerholung der Parlamentswahl für die Provinz. Der Gouverneur gab nach.

Das alles erinnert sehr an den Jemen vor einigen Jahren. Immer wieder wurden dort Touristen – wohl auch von Beduinen – entführt. Jedesmal wurden Krisenstäbe gegründet, und es gab em Werderschen Markt eine große Betriebssamkeit und Hektik – soweit die Entführungsopfer Deutsche waren. Nicht selten tauchten die Entführten nach ein paar Tagen begeistert wieder auf und erzählten, sie seien zu einer beduinischen Hochzeit eingeladen worden, und ihre Gastgeber hätten sie gar nicht mehr gehen lassen. Dass sie Opfer einer Entführung geworden waren, hatten sie oft nicht einmal bemerkt.

Tatsächlich wurde in der Zwischenzeit um eine neue Straße für das Dorf oder um eine Schule verhandelt. Komischerweise endete das vermeintliche Fest immer genau dann, wenn die Verhandlungen erfolgreich verlaufen waren. Was für die einen ein großes folkloristisches Ereignis war, bedeutete für die anderen einen hochkriminellen Akt.

Ich weiß nicht, wie es den beiden Amerikanern auf dem Sinai geht und ob für sie eine ähnliche Folklore-Kulisse aufgebaut wird. Ich glaube es nicht. Allerdings geht es in dem vorliegenden Fall offenbar weniger um eine Schule oder um Wahlbetrug. Scheinbar will ein Clan einen Drogenschmuggler aus seinen Reihen befreien. Allerdings ist auf diese offizielle Verlautbarung wenig zu geben. Die „Tatsache“, dass es sich um einen Drogenschmuggler handelt, muss auch nicht unbedingt stimmen.

Zurück zur allgemeinen Sicherheitslage. Aus dem vorliegenden Fall lernen wir, dass es zur Zeit vielleicht sicherer ist, in Hurghada, El Gouna, Makadi oder Soma Bay Urlaub zu machen, als in Sharm el Sheik, Nuweiba oder Dahab. Wer trotzdem auf den Sinai will, bleibe besser im Hotel oder gehe lieber nur in größeren Gruppe und lasse sich auf keinen Fall auf besondere (und besonders günstige) Touren nach Was-weiß-ich-wohin ein, die einem ein Wildfremder wie Kai aus der Kiste anbietet.

Ein Wort noch zu Kairo: Ja, man kann nach Kairo fahren, man kann auch die Pyramiden und wohl auch die Zitadelle besuchen. Beim Ägyptischen Museum wäre ich persönlich etwas vorsichtig, weil es eben direkt am Tahrir-Platz liegt, und das ist nach wie vor der Haupt-Demonstrationsort des Landes.

Ist es dort wirklich so schlimm? Ich will’s mal so sagen. Natürlich würde ich jedem Ägypter zu einem Besuch Berlins raten. Er sollte dann auch ganz sicher einen Abstecher nach Kreuzberg machen. Sollte er aber aus irgendeinem Grund ausgerechnet am 1. Mai abends um halb sieben den Kotti besuchen wollen, würde ich ihm doch auch sagen, dass das zu diesem Zeitpunkt keine besonders tolle Idee sei.

Der Tod des Patriarchen

Der Papst ist tot – nicht der in Rom, sondern der Patriarch von Alexandrien, Schenuda III. 88 Jahre alt ist er geworden. Er ist damit vier Jahre älter als sein katholischer Kollege, dem er in seiner konservativen Einstellung in nichts nachstand. Ja, im Gegenteil. Mir sagte mal ein Ägypter, dass Benedikt XVI. im Vergleich zu Schenuda ein progressiver Eiferer sei.

Schenuda III. Foto: Chuck Kennedy

Durch Schenudas Tod richtet sich der Blick nun verstärkt auf die Kopten in Ägypten, die immerhin rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmachen. Und diese Minderheit ist sicher eine genauere Betrachtung Wert. Bei den Kopten handelt es sich um eine durchaus sehr selbstbewußte Gruppe innerhalb der Bevölkerung – was immer wieder zu Spannungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Moslems führt.

Die Kopten begreifen sich als Ureinwohner Ägyptens, deren Wurzeln bis in die Zeit der Pharaonen zurückreichen. Den christlichen Glauben hatte ihnen der Evangelist Markus gebracht, der erste Bischof von Alexandria. So sagen die Kopten auch von sich, sie seien die älteste christliche Kirche. Älter noch als die römisch-katholische. Erst 500 Jahre später eroberten die Araber Ägypten, und mit ihnen kam der Islam. Für manchen Kopten sind 90 Prozent der Bevölkerung nichts anderes als Eroberer. Mischehen zwischen Kopten und Moslems sind bei den Christen ebenso verpönt und verboten, wie bei ihren islamischen Mitbürgern. Gerade an diesem Punkt entzünden sich immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen.

In der fast 30 Jahren Regierungszeit unter Hosni Mubarak hat es vergleichsweise wenig blutige Auseinandersetzungen gegeben. Die häuften sich während der Revolution. Allerdings sind viele dieser zum Teil verheerenden Zusammenstöße auf Schergen des alten Systems zurückzuführen, die alles, aber auch alles dafür tun, das Land zu destabilisieren. Auf der anderen Seite haben Moslems während er Revolution die Kopten bei ihrer Sonntagsmesse auf den Tahrir beschützt, so wie es die Kopten während es Freitagsgebets auf dem Platz der Befreiung taten.

Der verstorbene Papst Schenuda hatte an seine Glaubensbrüder appelliert, sich nicht an den Demonstrationen zu beteiligen. Er stützte länger als andere den gescheiterten Diktator Mubarak. Allerdings hatten sich ja auch die Moslembrüder lange vornehm zurückgehalten. Schenuda hingegen hatte durchaus einen Grund, Mubarak etwas länger zu stützen. Zum einen fürchtete er eine islamistische Regierung, die Mubarak nachfolgen könnte, zum anderen erinnerte er sich natürlich noch an die Zeit unter Gamal Abdel Nasser, als Kopten drangsaliert wurden.

Die Schikanen des Präsidenten Nasser hatten allerdings nichts mit der Religion, sondern vielmehr mit der „Klasse“ zu tun. Kopten sind im Vergleich zu Moslems im Durchschnitt besser gebildet und wohlhabender. Die reichste ägyptische Familie ist eine koptische. Der Bauunternehmer Onsi Sawiris wurde in der 50er Jahren von Nasser im Zuge des „arabischen Sozialismus“ enteignet, kehrte 1972 aus dem Exil nach Ägypten zurück und machte dann ein Milliardenvermögen.

Sein Sohn Naguib ist heute eine der einflussreichen Personen in der ägyptischen Politik – und immer wieder Zielscheibe islamistischer Kritiker, wobei er selbst durchaus auch austeilen kann, wie eine von ihm verbreitete Karikatur von Disneyfiguren in islamistischer Aufmachung beweist. Er handelte sich damit eine Fatwa und ein Gerichtsverfahren ein, bei dem er aber freigesprochen wurde.

Naguibs Bruder Samih zeigt in der von ihm erbauten Stadt El Gouna, wie es gehen sollte. Da steht die Kirche neben der Moschee, und er achtet auf ein gedeihliches Miteinander. Trotzdem ist auch er voller Skepsis, was die Zukunft betrifft. Als die Führung der Moslembrüder zum ersten Mal offiziell das koptische Neujahrsfest besuchte, bewertete er das als „Show“. Ein wenig sarkastisch fügte er hinzu: „Aber rausschmeißen können sie uns nicht. Wir sind hier die Ureinwohner.“

Der Schock sitzt tief

Es ist gerade mal vier Wochen her, da veröffentlichte ich den Blogeintrag „Sie wollen nur spielen“. Unter anderem ging es dabei um ein Fußballspiel in der ersten ägyptischen Liga. El Gouna empfing den Tabellennachbarn von El Masry. Auch damals sorgten die Ultras der Gäste für Unruhe, als die einen leeren Gästeblock stürmten. Dass es jetzt aber soweit kommt, hat mich tief schockiert. In der Rückschau scheint die Wortwahl nun unangemessen flapsig. Doch wer kann so etwas schon voraussehen? Würde ich alle Möglichkeiten und Eventualitäten einkalkulieren, gäbe es hier keinen Platz mehr für ironische Zwischentöne und sarkastische Seitenhiebe.

Die Ultras von El Masry fielen schon beim Spiel in El Gouna Anfang Januar auf. Aber haben sie auch den Angriff auf die Al-Ahly-Fans zu verantworten?

Trotzdem – kam das wirklich so überraschend? Es gibt einige bemerkenswerte Tatsachen im Vorfeld der Katastrophe von Port Said, die niemand außer acht lassen darf. Fußball ist in Ägypten seit jeher eine hochemotionale Angelegenheit. Die Spiele zwischen den Kairoer Vereinen Al Ahly und Zamalek gehören zu den brisantesten Begegnungen überhaupt. Für das Lokalderby der ersten Liga werden regelmäßig ausländische FIFA-Schiedsrichter eingeflogen. Schwere Auseinandersetzungen zwischen beiden Fan-Gruppen sind fast an der Tagesordnung.

Im Vorfeld der Fußball-WM in Südafrika gab es im Oktober und November 2009 zwei Qualifikationsspiele gegen Algerien. Nach dem Spiel in Kairo war ein Entscheidungsspiel auf neutralem Boden notwendig geworden. Bereits in Kairo war es zu schweren Auseinandersetzungen gekommen. Die wiederholten sich im sudanesischen Omdurman. Beide Länder behaupteten später, das es bei den Fußballkrawallen jeweils auf der eigenen Seite Tote gegeben habe. Bewiesen ist das bis heute nicht.

Seit dem Beginn der Arabellion ist die Zahl der Spielabbrüche in der ersten ägyptischen Liga sprunghaft angestiegen – und das, obwohl die Polizei nun viel massiver präsent ist, als zuvor. Allerdings ist es auch eine schwer zu leugnende Tatsache, dass sich die Polizei seit Ausbruch der Revolution schnell verkrümelt, wenn es zu heiß wird – um dann auch machmal wieder in Zivil zu erscheinen, wie das heute vor einem Jahr bei der sogenannten Kamelschlacht der Fall war. Es sollen Polizisten gewesen sein, die sich damals aus den Ställen vor den Pyramiden Pferde und Kamele besorgt haben, um dann mit Knüppeln, Latten und Säbeln bewaffnet im Galopp durch die Menge auf dem Tahrir zu reiten.

Damals standen die treusten Fans von Al Ahly in den vordersten Reihen der Demonstranten. Dass es am Vorabend des Jahrestages der Kamelschlacht zu einer Abrechnung im Stadion gekommen sein könnte, ist ganz und gar nicht ausgeschlossen. Ob es wirklich minutiös geplante Attacke der alten Mubarak-Kader war wird sich allerdings erst noch weisen müssen.Warnungen, Drohungen und Hinweise hat es im Vorfeld jedenfalls gegeben.

Vielleicht wird der ein oder andere, angesichts von über 70 Toten (angeblich schweben 170 Verletzte noch in Lebensgefahr), sagen, dass es doch völlig unerheblich ist, ob der Angriff einen politischen Hintergrund hat, oder ob die El-Masry-Ultras einfach durchgedreht sind. Allerdings pflegt man einen 3:1-Sieg über die erfolgreichste Mannschaft des Kontinents eher nicht mit dem Niedermetzeln deren Fans zu feiern. Doch die Antwort auf gerade diese Frage ist für das Land ungemein wichtig. Wenn der Demokratisierungs- und Neuordnungsprozess in Ägypten auf diese Weise torpediert werden sollte, dann reicht die Bedeutungsschwere weit über 70 Menschenleben hinaus. Dann ist es eine Frage der Zeit, wann das alte Regime das nächste Mal zuschlagen wird und eine Frage, in welchem Gewand die Mubarak-Schärgen dann auftauchen werden.

Bereits jetzt glauben nicht wenige Ägypter daran, dass die Anschläge 1997 in Luxor, 2004 in Taba und 2005 in Sharm el Sheik gar nicht auf das Konto von Gamaa al Islamiyya und Al Khaida gingen, sondern ebenfalls vom ehemaligen Regime inszeniert worden sind. Das zeigt, wie weit die Verschwörungstheorien inzwischen gediehen sind. Lässt sich tatsächlich nachweisen, dass die Krawalle in Port Said aus politischen Gründen in Szene gesetzt wurden, dann wird das noch mehr Unruhe und Misstrauen in das Land tragen.

Auf dem langen und steinigen Weg zu geordneten Verhältnissen ist Ägypten am Abend des 1. Februar wieder zurückgeworfen worden. So viel steht leider fest.

Noch zwei Beiträge aus der Süddeutschen online:

Die Polizei stand einfach da und hat zugeschaut

Wir werden nie wieder Fußball spielen

Sie wollen nur spielen

Ultras gibt es nicht nur in der deutschen Bundesliga, sondern auch in der ersten Ägyptischen Liga.

So also sieht Revolution aus. Wer nie eine mit erlebt hat, geht davon aus, dass sich 24 Stunden am Tag kreischende Menschenmassen durch die Straßen bewegen, mit Transparenten fuchteln, Mollis werfen, Barrikaden bauen und manchmal einen König köpfen. Ich für meine Person erlebe zum ersten Mal eine Revolution mit. Nun muss ich feststellen, dass ich so manchem Irrtum unterlegen bin. So ging ich fälschlicherweise davon aus, dass es in Ägypten zwei Revolutionen gab, die im Januar und Februar und dann noch eine im November und Dezember. So wurde es auch etwa von den deutschen Medien dargestellt. Das ist falsch. Die Revolution vom Januar hat nie aufgehört. Ich dachte auch, dass ich in Hurghada einigermaßen weitab vom Schuss sei. Auch das hat nicht gestimmt. Revolution sieht nämlich ganz anders aus. Wer tagsüber am Strand liegt oder mit dem Boot hinaus zu den Inseln fährt, der bekommt in der Tat nicht besonders viel mit. Doch wer mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt geht, spürt den Unterschied. Die Aggressivität unter den Ägypter ist viel größer geworden. Jahrelang hatten Polizei und Militär den Daumen drauf. Die Polizei war verhasst, das Militär beliebt. Vor beiden Uniformen hatte man aber einen Mordsrespekt. Das ist vorbei. Andererseits ist die Polizei, die früher sehr willkürlich agiert hat, nun nahezu überkorrekt, was sich darin zeigt, dass nun überall und immer alles mögliche kontrolliert wird – was die Touristen allerdings kaum tangiert.

Im Zweifelsfall macht jeder Ägypter an jeder Straßenecke seinen eigenen Tahir-Platz auf. Beim Fußballspiel in El Gouna erlebte ich ein ziemlich bizarres Beispiel. Der Block mit den vielleicht 100 Fans von El Masri war schwer von Polizei bewacht. Kurz vor Ende stürmten die El-Masri-Ultras (so nennen die sich wirklich) den Nachbarblock. Nur – der war leer. Der nächste El Gouna-Fan befand ich auf der Gegenseite. Die Sicherheitskräfte kamen gerannt, es wurde gebrüllt und dann marschierten die Fans wieder zurück in ihren Block und fanden es lustig, dass die armen Teufel in Uniform und Schild und Helm so richtig rennen mussten. Ein paar Minuten später fingen El-Gouna-Anhänger an, sich untereinander zu prügeln. Dann gab es Elfmeter für El Gouna und die Prügelei war schlagartig vorbei. Seit der Revolution sei die Zahl der Spielabbrüche in der ersten ägyptischen Liga sprunghaft gestiegen, erzählte mir Samih Sawiris.

Seit inzwischen vier Tagen warte ich auf einen Interviewpartner, der aus Mansura im Norden Ägyptens nach Hurghada kommen soll. Leider kam er nicht aus der Stadt heraus, weil Demonstranten die Ausfallstraßen blockierten. Sie sind vom Wahlausgang in ihrer Stadt enttäuscht. Selbst, wenn er gestern hätte fahren können: Bis nach Hurghada wäre er nicht gekommen. Bei Ras Gharib war die Küstenstraße ebenfalls zu. Dort gab es eine große Demo gegen die Ölindustrie am Ort. Dort saßen dann einige Busse voller Touristen fest, die von Kairo nach Hurghada wollten.

Dass das Internet seit Tagen nur bruchstückhaft funktioniert, ist wohl auch eine Folge der Revolution. So etwas kann zwar in Ägypten immer wieder passieren – aber nicht tagelang. Es kümmert sich eben keiner richtig darum.

Revolution bringt immer ein Stück Anarchie mit sich. So gesehen läuft es hier ja noch prächtig. Aber wer sie besichtigen will, der kann die Anarchie in Ägypten in bestimmten Bereichen erleben. Es ist nun allerdings nicht so, dass hier das gesamte öffentliche Leben mit einem großen Seufzer in sich zusammenbricht. Das meiste läuft wie eh und je, aber nicht immer so glatt, wie in den vergangen Jahren (in denen es natürlich auch in regelmäßigen Abständen gewisse Aussetzer gegeben hat).

Ob ich Angst habe? Nee, zu Touristen sind die Ägypter nach wie vor nett. Als mich gestern ein Taxifahrer beschummeln wollte und ich mich lautstark zu Wehr setzte, standen sofort vier da, um mir zu helfen. Auch das ist Ägypten. Die Revolution ist nicht nur der Tahir. Es ist spannend zu erleben, wie sie sich im Alltag auswirkt. Manchmal scheint es so, als ob die Ägypter daran sogar richtig Spaß haben. Aber sie wollen dann nur spielen – so meint es mancher Europäer wenigstens. Ein bisschen ist da ja auch was dran. 30 Jahre lang war die Meinungsfreiheit in Ägypten – die auch unter Sadat nicht grenzenlos war – sehr eingeschränkt. Nun macht jeder, egal ob er für oder gegen Mubarak war, ausgiebig von dem Gebrauch, was er Meinungsfreiheit nennt. Dann wird es auch mal laut, oder es fliegen die Fäuste. Es ist nichts anderes, als der berühmte Dampf, der aus dem Kessel raus muss. Für den Reisenden ist es faszinierend, für die Menschen die hier leben – soweit sie Ausländer sind – lästig bis beängstigend. Aber ich glaube, es sind Begleiterscheinungen einer jeden Revolution. Sie werden in dem Moment verschwinden, in dem es wieder eine handlungsfähige, stabile Regierung gibt – egal welcher Couleur. Außerdem: wir in Europa fanden die Arabellion doch alle ganz toll – schon vergessen?

Einsichten

Heute hatte ich ein Interview, auf das ich sehr lange gehofft habe: Mit Samih Sawiris, Sohn eines der größten Bauunternehmer des Landes, Absolvent der TU in Berlin und Gründer von El Gouna. Ich halte ihn für die logische Fortsetzung und vor allem Weiterentwicklung des von mir hoch geschätzten Mohammady Hwaidak, eine Einschätzung im Übrigen, bei der mir Samih Sawiris heftig widersprochen hat. Trotzdem bleibe ich dabei. Als Mohammady Hwaidak in der 80er Jahren begann, Hurghada zu einer riesigen Fremdenverkehrsmetropole zu entwickeln, holte er sich ganz bewusst die eigene Konkurrenz in den Ort, mit der Begründung, es sei wichtig, das Geld im Lande zu halten und nicht ins Ausland abfließen zu lassen. Zwar wuchs der Ort explosionsartig, aber Mohammady verlor sehr schnell die Kontrolle über die Entwicklung der Stadt. Samih dagegen behielt in El Gouna die ganze Kontrolle. Seine Motivation ging einen entscheidenden Schritt weiter. Er wollte nicht einfach nur das Geld im Land halten und nebenbei für Arbeitsplätze sorgen. Ihm ging es auch darum, Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen, Chancen zu verbessern und Wohnungseigentum auch für die weniger privilegierten Ägypter zu ermöglichen. So wurde aus einem kleinen Tourismuszentrum eine florierende Stadt mit 25.000 Einwohnern, und das alles innerhalb von 20 Jahren. Zuvor gab es an diesem Ort einfach nur – Sand. Auch ich habe zu jenen gehört, die noch Mitte der 90er Jahre El Gouna als Retortenstadt verspottet haben. Inzwischen habe ich meine Meinung allerdings gründlich revidiert. Gut – es liegt ja auch auf der Hand, dass ein Disneyland-Themenpark Ägypten keinen Berliner TU Campus braucht. Den aber gibt es in El Gouna, genau so, wie ein sehr gelobtes Krankenhaus, mehrere Schulen und einer Hotelfachschule. Der Tourismus stellte sozusagen nur den Nukleus für eine völlig neue Stadt dar. Samih meint, wenn es in Ägypten 1000 El Gounas geben würde – und der Platz ist da – würde aus dem Staat ein stabiles, demokratisches und florierendes Land. Im Süden jedoch, wo immer neue Hotelstädte hochgezogen werden, gilt eher Hurghada denn El Gouna als Beispiel. Samih hingegen ist unverzagt und baut ähnliche Modellstädte in Marokko, dem Oman, auf Mauritius, in Rumänien und – man höre und staune – in der Schweiz. Vielleicht wird ja unter einer neuen Regierung sein Beispiel doch noch Schule machen, egal, wer an die Macht kommt.

Übrigens hat Samih auch einen Fußballverein in El Gouna gegründet, den er in wenigen Jahren von der untersten in die oberste Liga geführt hat. El Gouna hat gestern gegen El Masri leider 0:1 verloren.