Ich gestehe: Es gibt Leute, auch Kollegen, die der Meinung sind, ich sei nicht immer ganz objektiv, wenn es um Ägypten gehe. Zumindest würde ich Ägypten dann doch ein wenig zu wichtig nehmen. Ich frage mich dann immer, ob sie das gleiche auch zu ihren Kollegen in der Autoredaktion sagen würden. „He, Kumpel, ich glaube, du nimmst Autos einfach zu wichtig!“ Ja, meine Güte, über was soll er als Autoredakteur denn sonst schreiben? Über Brezeln? Dann wäre er bei der „Bäckerblume“! Und so ist es eben auch bei mir. Ich habe vier Bücher über den Tourismus in Ägypten geschrieben, wie sollte ich Ägypten dann nicht wichtig nehmen? Soll ich mich jetzt auf Spitzbergen spezialisieren?
Die Reise nach Ägypten war im Kollegenkreis durchaus nicht unumstritten. Es gab bei den Reisejournalisten Kollegen, die stellten sich schlicht auf den Standpunkt, dass in ihrem Reiseteil Ägypten derzeit nicht vermittelbar ist. Andere mutmaßten, dass es sich ja hier nur um eine groß angelegte Propagandafahrt des ägyptischen Tourismusministeriums handeln könnte. Ja! Und? Sind nicht alle Pressereisen Propagandafahrten der jeweiligen Veranstalter? Dafür sind wir Journalisten, um genau mit solchen Dingen umzugehen. Wenn der VW-Konzern an einem milden Frühlingswochenende ausgewählte Motorjournalisten zu einer Probefahrt des neusten Modells nach Marbella einlädt (inlusive Flug und Hotel), dann macht das VW auch nicht deshalb, damit die Journalisten ganz besonders kritisch und genau hinsehen. Trotzdem wäre es wahrscheinlich eine berufliche Fehlentscheidung, an solch einer Reise nicht teilzunehmen.
Nun kenne ich niemanden aus meinem beruflichen Umfeld, der jemals einen Kollegen dafür kritisiert hätte, an Pressereisen oder den in der Branche aus guten Gründen so beliebten und gefürchteten Bilanzpressekonferenzen teilzunehmen. Aber offenbar scheint die ägyptische Krise viele Mechanismen bei der schreibenden Zunft außer Kraft zu setzen. Ich habe mich an dieser Stelle schon das eine oder andere Mal darüber gewundert, was die deutschen Korrespondeten in Kairo sehen und was sie nicht sehen wollen. Selektive Wahrnehmung führt schließlich auch zu selektiven Urteilen. Aber nun denn – sie müssen es selbst wissen.
Bei der Informationsreise für Reisejournalisten war zunächst ziemlich unübersehbar, dass doch einige Fachmedien diese Reise ungenutzt ließen. Das ist, in der besonderen Situation, in der Ägypten steckt, schon für sich genommen ein sehr erstaunlicher Akt. Er ist eigentlich nur darauf zurückzuführen, dass diejenigen, die der Einladung nicht folgten, Ägypten bereits als Reiseland abgeschrieben haben und es somit auch nicht mehr als in ihren Zuständigskeitsbereich gehörend betrachten. Auf dem Standpunkt kann man ja stehen. Ich halte ihn für ziemlich zynisch und unreflektiert.
Doch was ich dann in Ägypten erlebte, verschlug mir dann doch die Sprache. Da wurde der mitreisende Journalist eines Internetmediums mit dem Facebook-Posting eines Kollegen eines großen Tauchmagazins konfrontiert. Der schrieb dem Kollegen, dass solch eine Reise sicher „nett für Hobby-Journalisten“ sei, aber dass sich ernsthafte Journalisten von solch einer Reise fernzuhalten hätten. Solche Reisen würden ja eh nichts bringen. Nun könnte man in diesem Fall von einem tragischen Einzelfall sprechen, wenn nicht gerade im Umfeld der ägyptischen Krise manch merkwürdige journalistischen Dinge geschähen, die so gar nichts mehr mit dem zu tun haben, was ich vor 30 Jahren in meinem Tageszeitungsvolontariat mal gelernt habe (was ich bis zum heutigen Tag für einen der besten und ehrlichsten Wege in den Journalistenberuf halte). Aber jemand der sich – auch noch coram publico – auf solche Weise an einen Kollegen wendet, stellt damit genau drei Dinge unter Beweis: 1. Er ist völlig arrogant und würdigt andere Kollegen herab. Schlau ist das jedenfalls nicht. 2. Er ist dumm, weil er sich freiwillig Informationsquellen beraubt, die er ja nicht kennenlernen kann, wenn er sich nicht an der Reise beteiligt. 3. Er ist ein lausiger Journalsit, weil er es offensichtlich für unmöglich hält, innerhalb von einer Woche selbst journalistisch wertvolle Quellen zu erschließen.
In dem genannten Fall sprechen wir jetzt „nur“ von Reisejournalisten. Ich weiß aus eigener, leidvoller Erfahrung, wie ich bei anderen Fachressorts in den letzten beiden Jahren vor die Wand gelaufen bin. Andererseits sehe ich Korrespondenten in deutschen Leitmedien schreiben, die in ihrer gesamten Zeit in Ägypten offensichtlich noch nie ein freundliches Wort für das Land übrig hatten. Andererseits hat der Spiegel nun den allseits hochgeachteten und in ägyptischen Belangen nahezu unantastbaren Chef der Auslandspressepresse, den 76jährigen Volkhard Windfuhr, aus dem Impressum entfernt. Der hatte in einer Pressemitteilung seiner Wut darüber Luft gemacht, dass die ausländischen Medien ausschließlich die Repressalien des Staatsapparats im Blick hätten, die Schandtaten des Moslembrüder aber ausklammerten. Windfuhrs Pech war, dass ausgerechnet zu jener Zeit ein Spiegel-Kollege festgenommen worden war.
Es ist auch verwunderlich, dass das ZDF in seiner Berichterstattung über die Ereignisse in Ägypten (laut eigener Mediathek) ihren ausgewiesensten Experten, Dietmar Ossenberg, zum letzten Mal am 12. Juli zu Wort kommen ließ. Dabei lässt sich dem ehemaligen Leiter des Auslandsjournals ganz bestimmt nicht einseitige Berichterstattung vorwerfen. Er ist in der Vergangenheit für seine Ausgewogenheit stets hoch geschätzt worden. Ob sie inzwischen noch immer gewollt ist? Ich weiß es nicht.
Wir sind im Westen immer schnell dabei, Ägypten auf seiner Suche nach einer stabilen Demokratie schlaue Ratschläge zu geben. Eine freie Presse gehört sicher dazu – und hier hat sich, allen Beteuerungen zum Trotz, noch kein Regime in Ägypten hervorgetan, auch das derzeitige nicht. Aber eine stabile Demokratie braucht auch eine ausgewogene und faire Presse – und dafür kann die westliche Presse mit ihrer Berichterstattung über Ägypten derzeit eher kein Vorbild sein.