Es war eine kleine, aber feine Lesung gestern Abend im K-Salon in der Kreuzberger Bergmannstraße. Interessanterweise kam die die Diskussion dann auch irgendwann auf Griechenland, aber nicht etwa wegen der Euro-Krise oder dem bevorstehenden Halbfinale gegen Deutschland. Es ging um das Verhältnis zwischen Ägypten und Griechenland, das seit der Antike ein traditionell gutes ist. Herodot hat gleich zwei seiner Weltwunder in Ägypten angesiedelt. Der Handel zwischen Alexandria und Piräus war stets sehr lebendig. Griechische und ägyptische Kultur standen in regem Austausch. Die zweitgrößte ägyptische Stadt ist eine Gründung Alexander des Großen.
Für viele Griechen wurde Ägypten auch zu einer zweiten Heimat. Bis vor sechzig Jahren war ein großer Teil der Gastronomie und Hotelerie fest in griechischer Hand. Kellner waren fast ausnahmslos Griechen und wurden in Restaurants traditionell herbeigeklatscht, so dass in Ägypten ein Sprichwort entstand: „Klatsch in die Hand, und ein Grieche kommt gerannt.“ In jener Zeit lebten rund 300.000 Griechen in Ägypten.
Das änderte sich mit der Revolution von 1952 und der späteren Machtübernahme von Gamal Abdel Nasser. Im Zuge der Verstaatlichung verloren viele griechischen Hoteliers ihre Häuser und am Ende flogen die 300.000 Griechen aus dem Land. Trotzdem gibt es bis heute eine starke gegenseitige Affinität.
Wer mir bis hierher gefolgt ist, mag sich vielleicht fragen, was diese Lobpreisung der ägyptisch-griechischen Beziehungen soll. Doch gerade in diesen Tagen kann das eine ganz entscheidende Rolle spielen. Wenn wir die Uhr um etwa ein Jahr zurückdrehen und uns daran erinnern, was im libyschen Bürgerkrieg passierte, wird es schnell klar. Tausende Flüchtlinge versuchten übers Mittelmeer nach Italien zu kommen. Schon da tauchte die Frage auf, ob Europa denn die vielen(!) Flüchtlingen aufnehmen könne. Die italienische Regierung wollte sie über ganz Euorpa verteilen, das Schengen-Abkommen war plötzlich in Gefahr.
Dass die Situation in Ägypten in diesen Tagen sehr ernst ist, wird niemand bestreiten. Es wird wohl kaum zu einem Bürgerkrieg wie in Libyen kommen, aber die ägyptische Wirtschaft steht vor dem Kollaps. Es ist also gar nicht so ausgeschlossen, dass sich irgendwann auch von Ägypten aus Flüchtlinge in Richtung Europa aufmachen. Aus historischen, kulturellen und geografischen Gründen wird ihr erstes Ziel ausgerechnet Griechenland sein – so wie es vor einem Jahr Italien für flüchtende Libyer war.
So! Und nun verdeutlichen wir uns einmal die Größenordnungen: Libyen hat 6,5 Millionen Einwohner, Italien zehn mal so viel. Italien ist zwar auch nicht das gesündeste Land Europas, aber Italien geht es verglichen mit Griechenland immer noch relativ gut. Aber der heftigste Vergleich: Es gibt 10 Millionen Griechen, aber 85 Millionen Ägypter. Aus Lybien sind im vergangenen Jahr einige Zig-Tausend Menschen geflohen. Wieviele würden im schlimmsten Fall aus Ägypten fliehen? Sollte Ägypten tatsächlich zusammenkrachen, dann, so fürchte ich, können sich die europäischen Politiker jede Konferenz über irgendwelche Rettungsschirme für Griechenland einfach mal sparen.
Das ist vielleicht ein sehr pessimistische Szenario. Ich hoffe natürlich auch, dass es nicht so schlimm kommt. Aber es zeigt doch eines ganz deutlich. Über all die Diskussionen über Euro-Rettung und Griechenlandhilfe sollte man eines nicht vergessen: Wenn Ägypten in dieser Phase vollends ins Chaos stürzt, dann kann das á la longe die Europäer und den Rest der Welt viel teurer zu stehen kommen, als jeder Rettungsfond.