Nach meiner Rückkehr wurde ich in zwei Diskussionen verwickelt, die mich beide Male ein wenig verstört haben. Bei der ersten dachte ich im ersten Moment an einen Witz. Eine liebe Freundin fragte mich: „Sind da jetzt die Taliban an der Macht?“ Sie meinte das tatsächlich ernst. Ich versuchte ihr zu erklären, dass die Moslembrüder die Wahlen gewonnen haben, dass die Salafisten überraschend die zweitstärkste Partei geworden seien, aber dass beide Gruppierungen nicht miteinander könnten und dass sich die Moslembrüder wohl liberale Koalitionspartner holen würden. Ihr Gesicht ließ gewisse Zweifel an meiner Erklärung ahnen, als hätte ich ihr versichert, dass in Zukunft im Petersdom der Playboy gratis ausliege.
Eine andere, mir ebenfalls liebe Freundin, stellte am gleichen Abend noch eine These auf, die in eine lautstarke Diskussion, ja Schreierei mündete. Die Fusselbärte (sie meinte damit wohl die Salafisten) würden Ägypten zu einem zweiten Iran machen und alle Frauen unter den Vollgesichtsschleier zwingen. Im übrigen werde sie niemals ihren Fuß in ein Land setzen, in dem eine Frau den ihren nicht in eine Bar setzen dürfe.
Was mich an diesen beiden Erlebnissen völlig verstört hat, war die Tatsache, dass ich plötzlich als Verteidger der Moslembrüder auftreten musste. Das hätte ich mir auch nie träumen lassen. Eher hätte ich noch die FDP leidenschaftlich verteidgt. Aber man kann eben nicht alles haben.
Tatsache ist, dass sich die Rechte der Frauen in Ägypten seit Beginn der Revolution nicht verbessert, sondern eher verschlechtert haben. Die Frauenquote im Parlement gibt es zum Beispiel nicht mehr. Deshalb sind nur sechs Frauen ins Parlament eingezogen. Es steht auch nicht zu erwarten, dass sich die Moslembrüder in absehbarer Zeit in einen Emanzenclub verwandeln. Im Gegenteil: Befürchtungen, dass in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr Frauenrecht abgeknappert werden, sind nicht von der Hand zu weisen.
Dagegen steht, dass die Frauen sich inzwischen wehren. Vor einigen Tagen haben selbsternannte Sittenwächter der Salafisten versucht, ein Nagelstudio auseinander zu nehmen. Sie wurden von Kundinnen mit Zuckerrohrstauden verjagt. Diese kleine Episode mag zeigen, dass sich die Frauen nicht mehr alles gefallen lassen, zumal nicht die tapferen vom Tahrirplatz, die dort übrigens bis heute noch bei Demonstrationen ganz anderen Repressionen ausgesetzt sind als Männer.
Natürlich kann einem Angst und Bange werden, wenn man um die Herkunft und die Geschichte der Moslembrüder weiß. 1928 in Islameija von Hasan al Bana gegründet, waren die Moslembrüder ursprünglich eine Widerstandgruppe gegen die Briten. Später haben sich alle islamistischen Freiheits- und Terrorgruppen die Moslembrüder als Vorbild genommen. Doch alles, aber auch wirklich alles deutet darauf hin, dass die „Brüder“ zumindest diesen Teil ihrer Vergangenheit überwunden haben. Ihr Frauenbild ist nicht das, das wir haben. Genausowenig wie ihre Vorstellung zum Thema Alkohol der unseren entspricht. Trotzdem werden sie den Alkohol in Ägypten nicht verbieten und wollen den Fremdenverkehr sogar fördern. Mir scheint, dass die derzeitige Führung der Moslembrüder und der zu ihr gehörenden Partei „Ḥizb al-ḥurriya wa al-’adala“ (Partei für Freiheit und Gerechtigkeit) eher von Pragmatismus als von Dogmatismus getragen wird.
Der israelische Ministerpräsident Menachem Begin hatte 1946 als Kommandeur der Untergrundorganisation Irgun in Jerusalem das Hotel „King David“ in die Luft gesprengt. Das Attentat forderte mindestens 91 Tote. 1978 bekam Begin den Friedensnobelpreis zusammen mit Anwar al Sadat für den Friedensvertrag von Camp David. Das zeigt, dass gerade im Nahen Osten der Weg vom Terroristen zum Friedensnobelpreisträger nicht so weit sein muss.
Die Moslembrüder bleiben deshalb trotzdem gläubige Moslems und werden versuchen, ihre Politik nach ihrer konservativen Auslegung des Korans auszurichten. Aus westlicher Sicht mag das nichts Gutes für die Frauen bedeuten. Andererseits braucht das Land nun stabile Verhältnisse, sie müssen die Versorgung sichern, das Gesundheitswesen wieder aufbauen und das Bildungswesen komplett renovieren. Genau daran werden die Ägypter die Moslembrüder messen – ob es ihnen gelingt, das wirklich auf den Hund gekommene Land wieder einigermaßen nach vorne zu bekommen. Nachhaltigen Streit um Frauenrechte können sich die „Brüder“ derzeit gar nicht leisten.
Das Argument, dass Moslembrüder und Salafisten sich im Parlament zu einer Koalition von 70 Prozent Islamisten zusammenfinden, ist auch nicht so richtig stichhaltig. Zum einen haben das die „Brüder“ kategorisch ausgeschlossen, zum anderen würden sich die mächtigen Moslembrüder doch nicht mit den relativ kleinen Salafisten in einen Wettbewerb darüber einlassen, wer nun der bessere Moslem ist.
Fazit: Für Frauen wird es im neuen Ägypten zunächst nicht leichter, sondern eher schwerer werden. Aber Vorstellungen, dass sie komplett aus dem öffentlichen Leben oder hinter Vollgesichtsschleiern oder gar Burkas verschwinden, sind auch übertrieben.