Kuscheliger Kollisionskurs

All zu lange, so scheint es, darf Ägypten nicht zur Ruhe kommen. Nach den überraschenden Ereignissen Ende Juni wirkte es, als komme das Land jetzt endlich zum Durchatmen. Nachdem Mohammed Mursi als gewählter Präsident bestätigt war, atmeten die meisten Ägypter erst einmal auf. Dass die Militärs ihm per kaltem Staatsstreich die meiste politische Macht genommen hatten, empörte vor allem die Moslembrüder. Liberale und Säkulare waren zwar erbittert über die Kaltschnäutzigkeit des Militärrates und protestierten gegen Beschneidung der Demokratie, aber insgeheim waren die auch froh darüber, dass die Islamisten jetzt nicht durchregieren konnten. Für Mursi andererseits bot das die Gelegenheit, das Land zunächst einmal im Inneren auszusöhnen. Wenigstens was seine Absichtserklärungen betrifft, begann Mursi ja ganz gut: Zwei Vizepräsidenten, eine Frau und ein Kopte, sollten her und Friedensnobelpreisträger El Baradei sollte Premierminister werden.

Und nun kommt also dieser Hammer: Mursi beruft das suspendierte Parlament wieder ein. Die Militärs sind völlig baff, das Verfassungsgericht komplett konsterniert. Die meisten Säkularen und Liberalen heulen auf. Für sie ist Mursis Vorstoß ein Beweis dafür, dass dem ehemaligen Moslembruder eben doch nicht zu trauen sei. Er habe schließlich angekündigt, nicht nur die Gesetze, sondern auch die höchstrichterlichen Urteile zu respektieren. Allerdings hat das Gericht das Parlament gar nicht aufgelöst. Es hat nur festgestellt, dass ein Drittel der Sitze nicht verfassungsgemäß bestetzt worden seien. Das Verfassungsgericht sagte nicht einmal etwas darüber aus, ob nur ein Drittel der Abgeordneten neu gewählt werden muss, oder ob das für das ganze Parlament gilt. Es war aber der Oberste Militärrat, der die Volksvertreter nach Hause geschickt hat.

Der Verdacht liegt nahe, dass Mursi seinen einstigen Mitstreitern die letzte parlamentarische Macht sichern will. Andererseits sieht sein Zeitplan vor, dass es etwa in einem halben Jahr schon wieder Neuwahlen geben könnte. Dass Moslembrüder und Salafisten bei einer neuen Parlamentswahl derzeit bei weitem nicht so gut abschneiden würden, darf mal getrost angenommen werden. Das zeigte sich ja schon bei den Präsidentschaftswahlen.

Was steckt also hinter Mursis Vorstoß? War das wirklich eine Harakiri-Aktion, wie viele meinen? Es gibt wohl zwei Möglichkeiten: Entweder ist Mursi einfach dumm und komplett fremdgesteuert. Ich glaube das nicht. Oder, und dazu tendiere ich eher, er verfolgt einen Plan. Jeder Präsident, der das Land in eine demokratische Zukunft führen will, muss sich früher oder später mit dem Obersten Militärrat anlegen. Dem steht derzeit noch Feldmarschall Mohammed Tantawi vor. Der wird im Oktober 77 und ist in den letzten anderthalb Jahren oft dadurch aufgefallen, dass er auf markige Worte kleinlaute Rückzieher folgen ließ. So gesehen könnte es sinnvoll sein, den Kampf zu führen, solange Tantawi noch da ist. Wer weiß schon, wer ihm nachfolgen könnte.

Dass der Militärrat keine Interesse daran hat, die Situation eskalieren zu lassen, ist schon daran zu ersehen, dass die Abgeordneten heute vom Militär nicht daran gehindert wurden, ins Parlament zu gehen. Derzeit scheint der Kollisionskurs, den Mursi ansteuert, noch ziemlich kuschelig zu sein. Aber fahren muss er ihn. Es ist doch so: Die Militärs haben den Präsidenten weitgehend entmachtet. Zeigt sich Mursi jetzt als schwach, wird er ganz schnell der Rückhalt bei seinen eigenen Anhängern verlieren. Den braucht er aber dringend, wenn das Projekt der Versöhnung mit Liberalen und Säkularen gelingen soll.

Andererseits ist ja auch nicht so viel passiert. Die Abgeordneten hatten sich mittags für eine Viertelstunde getroffen. Aber was geschieht nun, wenn sie Gesetze beschließen? Dann werden die wohl ganz schnell vom Verfassungsgericht wieder kassiert.

Wie es weiter geht? Jetzt ist demnächst erstmal Ramadan, und da geht gar nichts weiter. Der Politikbetrieb steht weitgehend still. Dann soll es möglichst bald eine neue Verfassung geben – und danach Neuwahlen zum Parlament. Das sagt Mohammed Mursi, der damit indirekt ja zwei Dinge zugibt: 1. Er akzeptiert den Spruch des Gerichtes. 2. Er gesteht ein, dass das Parlament wohl tatsächlich nicht verfassungskonform zusammengestellt ist.

Es bleibt spannend in Ägypten. Eigentlich ist es atemberaubend, diesen demokratischen Selbsfindungsprozess zu erleben. Natürlich wirkt manches improvisiert und chaotisch. Aber ich glaube, dass dieses Land noch zu mancher Überraschung fähig ist.

Mursi muss es machen

Also eines muss man der Alt-Herren-Riege des Militärrats lassen. Sie sind immer wieder für eine Überraschung gut. Nach allem, was in den letzten Wochen passiert ist, hätte es wohl niemanden gewundert, wenn nun auf einmal der ihnen nahestehende Ahmed Shafik zum Präsidenten erklärt worden wäre. Nun hat die Wahlkommission verkündet, dass Mohammed Mursi die Präsidentschaftswahlen mit 51,7 Prozent der Stimmen gewonnen hat. Von zwei Übeln scheint der Vorsitzende der Moslembrüderpartei „Freiheit und Gerechtigkeit“ wohl das kleinere. Shafik hatte im Wahlkampf angekündigt, dass er innerhalb kürzester Zeit Ruhe und Ordnung wiederherstellen wolle, falls er gewählt würde. Das klang doch eher nach einer Drohung. Mursi dagegen kündigte an, einen koptischen Christen – mit Vollmachten – zum Vizepräsidenten zu machen. Das klingt bei weitem weniger bedrohlich.

Immer deutlicher wird, dass sich das Militär in seiner „Staat-im-Staat-Lösung“ verbarrikadieren will. Seine staatstreichartigen Dekrete deuten genau in diese Richtung. Die Rechte des Präsidenten und des (nicht mehr vorhandenen) Parlamentes werden genau an dieser Stelle beschnitten, an denen die demokratischen Institutionen dem Militär weh tun könnten. Ob es unter diesen Umständen ein großes Vergnügen sein wird, als Präsident Ägypten zu regieren, dürfte fraglich sein. Nun muss es Mursi eben machen.

Viele sagen, dass es eigentlich egal sei, ob Mursi oder Shaffik Präsident wird. Ich glaube das nicht. Nun bin ich kein Fan der Moslembrüder, aber ich glaube, dass die Situation, so wie sie jetzt eingetreten ist, die einzige ist, die dem Land nun wieder eine Zukunftsperspektive gibt. Natürlich kann das Militär im Gesetzgebungsverfahren dem künftigen Präsidenten immer wieder in die Parade fahren. Was das Militär jedoch nicht verhindern kann, ist ein Versuch Mursis, das Land zu vereinen. Von einer Regierung der nationalen Einheit ist ja bereits die Rede. Wenn er nun also Kopten und Säkulare mit in die Verantwortung einbindet und es langfristig wirklich zu einer übergreifenden Versöhnung kommt, dann sieht sich der Militärrat plötzlich einer starken Zivilgesellschaft gegenüber. Wie lange er sich unter diesen Umständen dann noch halten kann, wird sich zeigen.

Immerhin hat der künftige Präsident schon angedeutet, dass er diesen Weg gehen will. Allerdings ist das Misstrauen auf der anderen Seite noch groß. Das hat seinen Grund. Die Moslembrüder, die unter dem Mubarakregime am meisten gelitten haben, haben sich erst sehr spät bei den Demonstranten untergehakt und später auch schnell ihre neugewonnene Macht leidlich ausgenutzt. Es hat auch immer wieder Ankündigungen gegeben, die am Ende nicht eingehalten wurden. So wollten die Moslembrüder ursprünglich auf einen eigenen Kandidaten verzichten.

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass Ägyptens neuer Präsident gar nicht so unbeschwert regieren kann. Auf diese Weise hat er vielleicht mehr Zeit für ein großes Versöhnungswerk.

Und dann noch eines. In Ägypten hört man nicht unbedingt gerne, wenn es in den USA irgendetwas angeblich Vorbildliches gibt. Aber eines hat mir bei den Staaten immer sehr gut gefallen. Es ist nach Präsidentschaftswahlen – so schlimm auch die Schlammschlacht gewesen sein mag – ein guter Brauch, dass der Verlierer seine Anhänger auffordert, sich hinter den neuen Präsidenten zu stellen. Wäre vielleicht ganz gut, wenn Ahmed Shaffik eine ähnliche Geste bereit hätte.

Ägypten und Griechenland

Es war eine kleine, aber feine Lesung gestern Abend im K-Salon in der Kreuzberger Bergmannstraße. Interessanterweise kam die die Diskussion dann auch irgendwann auf Griechenland, aber nicht etwa wegen der Euro-Krise oder dem bevorstehenden Halbfinale gegen Deutschland. Es ging um das Verhältnis zwischen Ägypten und Griechenland, das seit der Antike ein traditionell gutes ist. Herodot hat gleich zwei seiner Weltwunder in Ägypten angesiedelt. Der Handel zwischen Alexandria und Piräus war stets sehr lebendig. Griechische und ägyptische Kultur standen in regem Austausch. Die zweitgrößte ägyptische Stadt ist eine Gründung Alexander des Großen.

Für viele Griechen wurde Ägypten auch zu einer zweiten Heimat. Bis vor sechzig Jahren war ein großer Teil der Gastronomie und Hotelerie fest in griechischer Hand. Kellner waren fast ausnahmslos Griechen und wurden in Restaurants traditionell herbeigeklatscht, so dass in Ägypten ein Sprichwort entstand: „Klatsch in die Hand, und ein Grieche kommt gerannt.“ In jener Zeit lebten rund 300.000 Griechen in Ägypten.

Das änderte sich mit der Revolution von 1952 und der späteren Machtübernahme von Gamal Abdel Nasser. Im Zuge der Verstaatlichung verloren viele griechischen Hoteliers ihre Häuser und am Ende flogen die 300.000 Griechen aus dem Land. Trotzdem gibt es bis heute eine starke gegenseitige Affinität.

Wer mir bis hierher gefolgt ist, mag sich vielleicht fragen, was diese Lobpreisung der ägyptisch-griechischen Beziehungen soll. Doch gerade in diesen Tagen kann das eine ganz entscheidende Rolle spielen. Wenn wir die Uhr um etwa ein Jahr zurückdrehen und uns daran erinnern, was im libyschen Bürgerkrieg passierte, wird es schnell klar. Tausende Flüchtlinge versuchten übers Mittelmeer nach Italien zu kommen. Schon da tauchte die Frage auf, ob Europa denn die vielen(!) Flüchtlingen aufnehmen könne. Die italienische Regierung wollte sie über ganz Euorpa verteilen, das Schengen-Abkommen war plötzlich in Gefahr.

Dass die Situation in Ägypten in diesen Tagen sehr ernst ist, wird niemand bestreiten. Es wird wohl kaum zu einem Bürgerkrieg wie in Libyen kommen, aber die ägyptische Wirtschaft steht vor dem Kollaps. Es ist also gar nicht so ausgeschlossen, dass sich irgendwann auch von Ägypten aus Flüchtlinge in Richtung Europa aufmachen. Aus historischen, kulturellen und geografischen Gründen wird ihr erstes Ziel ausgerechnet Griechenland sein – so wie es vor einem Jahr Italien für flüchtende Libyer war.

So! Und nun verdeutlichen wir uns einmal die Größenordnungen: Libyen hat 6,5 Millionen Einwohner, Italien zehn mal so viel. Italien ist zwar auch nicht das gesündeste Land Europas, aber Italien geht es verglichen mit Griechenland immer noch relativ gut.  Aber der heftigste Vergleich: Es gibt 10 Millionen Griechen, aber 85 Millionen Ägypter. Aus Lybien sind im vergangenen Jahr einige Zig-Tausend Menschen geflohen. Wieviele würden im schlimmsten Fall aus Ägypten fliehen? Sollte Ägypten tatsächlich zusammenkrachen, dann, so fürchte ich, können sich die europäischen Politiker jede Konferenz über irgendwelche Rettungsschirme für Griechenland einfach mal sparen.

Das ist vielleicht ein sehr pessimistische Szenario. Ich hoffe natürlich auch, dass es nicht so schlimm kommt. Aber es zeigt doch eines ganz deutlich. Über all die Diskussionen über Euro-Rettung und Griechenlandhilfe sollte man eines nicht vergessen: Wenn Ägypten in dieser Phase vollends ins Chaos stürzt, dann kann das á la longe die Europäer und den Rest der Welt viel teurer zu stehen kommen, als jeder Rettungsfond.

Der Untote

Es ist schon ziemlich krass: Da wird Hosni Mubarak gestern Abend für tot erklärt und der Militärrat erweckt in quasi wieder zum Leben. Das erinnert so ein wenig an die Zeiten in der Sowjetunion, wo man den Tod des Generalsekretärs der KPdSU zunächst auch einmal verschwieg. Allerdings hatte das damals den Sinn, dass sich die KP auf eine Nachfolgeregelung einigen konnte. Aber was soll das jetzt? Mubarak hatte doch nach dem Urteil vor drei Wochen gerade mal noch die Rolle eines Sündenbocks. Und die soll er nun komplett komatös bis zum St. Nimmerleinstag spielen? Spätestens jetzt ist ja klar, was seit Wochen und Tagen offensichtlich ist. Das Militär will die Kontrolle nicht abgeben, die Verantwortung aber nicht übernehmen.

Steht Ägypten vor dem Untergang? Vielleicht ja nicht. Aber dem Land steht das Wasser zumindest bis zum Hals.

Dabei könnte man, wenn man gutwillig wäre, sich alles positiv zurecht drehen. Dass das Verfassungsgericht das Parlament für unzulässig erklärt hat, weil ein Drittel der für Unabhängige bestimmten Sitze ein „Raub“ der Moslembrüder wurde, ist juristisch gesehen richtig und demokratisch vielleicht ein Gewinn. Nur zur Erinnerung: Es ist erst ein paar Wochen her, dass in Schleswig-Holstein der Landtag neu gewählt werden musste, weil das Wahlgesetz nicht der Verfassung entsprochen hat. Allerdings hat nach dem Urteil niemand den Landtag verrammelt. Der Militärrat hat das Parlamentsgebäude immerhin gleich mal versiegeln lassen.

Die Zulassung von Shafik zum zweiten Durchgang bei den Präsidentschaftswahlen sah zwar aus wie ein Kotau vor den Militärs, ist aber nur logisch, wenn dem Parlament die Legitimation abgesprochen wird. Das Gesetz, das Shafik von der Wahl ausgeschlossen hätte, stammte ja eben von diesem Parlament.

Das Verfassungsgericht hat also in beiden Fällen durchaus korrekt entschieden. Doch was dann passierte, ist der eigentliche Staatsstreich. Der Militärrat nutzte beide Entscheidungen aus, um sich wieder die komplette Macht zu sichern. Worum es ihm in Wirklichkeit geht, machte er mit dem Eingriff ins Etatrecht überdeutlich, jenem Recht, das in jeder vernünftigen Demokratie als das „Königsrecht“ gilt. Danach hat keine demokratisch legitimierte Institution das Recht, Einblick in den Militärhaushalt zu nehmen – den das Militär im übrigen selbst bestimmt. Es geht also um den Staat im Staat.

Das bizarre Schauspiel um den sterbenden Pharao ist so verräterisch. Warum wollen die Militärs nicht, dass der 84jährige jetzt endgültig von den Bühne des Lebens abtritt? Offenbar glauben sie ja noch immer, sich hinter ihm und seinen Untaten verstecken zu können. Dabei war Mubarak immer einer der ihren. Er selbst war übrigens auch nicht korrupter als sie – korrupter war wohl nur seine Familie. Wenn sie Mubarak noch länger am Leben erhalten wollen, dann entlarvt das am Ende doch nur ihr eigenes schlechtes Gewissen. Es scheint so, als ob sie meinen, diesen Sündenbock noch nötig zu haben. Und das kann alles sehr lange gehen. Mubaraks gleichalter ewiger Widersacher, der einstige israelische Premier Ariel Scharon liegt seit sechseinhalb Jahren im Koma.

Im Moment scheint mir die Situation in Ägypten wieder einmal sehr verfahren. Angeblich sollen die USA hinter den Kulissen „sanften Druck“ auf die Empfänger von 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe im Jahr ausüben. Das muss allerdings nichts gutes verheißen, denn dieser „sanfte Druck“ hat ja nicht mal den fragwürdigen Prozess gegen den Sohn eines US-amerikanischen Ministers verhindert. Aber es ist ja nicht das erste Mal seit Ausbruch der Revolution, dass Ägypten scheinbar vor unlösbaren Problemen steht.

Eigentlich läge die Lösung auf der Hand. Wenn irgendjemand dem Militär verspricht, dass es seine Nudelfabriken, Mineralwasserabfüllanlagen, seine Tankstellen und Ferienclubs behalten darf, dann wird in Ägypten sofort die blühende Demokratie ausbrechen. Das würde in der Tat einen zweiten Staat im Staat erfordern.

Mit Sicherheit

Fast jeden Tag werde ich gefragt, wie es um die Sicherheit von Touristen in Ägypten bestellt ist. Da kommen natürlich Nachrichten wie diese, nach der heute zwei amerikanische Touristen auf dem Sinai entführt wurden, immer sehr günstig. Deshalb will ich mal diesen – durchaus exemplarischen Fall – zum Anlass nehmen, einige grundsätzliche Dinge zum Thema Sicherheit der Touristen klarzustellen.

Natürlich war die allgemeine Sicherheitslage vor der Revolution besser. Aber woran lag das denn? Es lag daran, dass die Polizei zuvor tun und lassen konnte was sie wollte, dass die gefürchtet war, und dass sie ihre Macht oft auch leidlich ausnutzte. Als Anfang der 90er Jahre die Terrororganisation Gamaa al Islamiyya auf ihren ersten Feldzug gegen die Touristen ging, kam das bei der Bevölkerung gar nicht gut an. Die Gamaa stoppte die Anschläge auf Reisebusse und verkündete, jeden Tag einen Polizisten töten zu wollen. Da erhob sich komischerweise kein Sturm der Entrüstung. Warum wohl?

Schon während der Revolution ist die Polizei weitgehend abgetaucht. So langsam lässt sie sich wieder blicken, und wer uniformiert ist und den Straßenverkehr regelt, ist nun nett, freundlich und zuvorkommend. Nur nicht anecken, scheint die Devise bei den Beamten zu sein. Die Verkehrsdisziplin, die in Ägypten noch nie besonders ausgeprägt war, ist nun völlig auf den Hund gekommen. Und an diesem Punkt muss ich eines zugeben: Nie war es für einen Touristen gefährlicher, die Straße zu überqueren, als in diesen Tagen. Allerdings – ungefährlich war es auch noch nie.

Wieviele von den rund 4.000 Schwerverbrechern, die während der Revolution rausgelassen wurden, um das Land zu destabilisieren, inzwischen wieder hinter Gittern sitzen, kann ich leider nicht sagen. Dass Ägyptens Verbrecherelite mindestens zum Teil noch auf freiem Fuß ist, macht die allgemeine Sicherheitslage im Land auch nicht gerade besser.

Trotzdem merken die Touristen von all dem eigentlich relativ wenig. Das ist ziemlich erstaunlich, denn gerade dort, wo sich aus der Sicht des gemeinen Ägypters Geld und Reichtum im Überfluss befinden – nämlich den Urlaubsgebieten – scheint es am sichersten im ganzen Land zu sein. Die Erklärung ist – zumindest für mich – relativ einfach. Jeder, aber auch wirklich jeder Ägypter fühlt sich für seine Gäste, die ihn in seinem Land besuchen, verantwortlich und versucht ihn mit allen Möglichkeiten zu schützen.

An dieser Stelle wäre der Einwand angebracht: Aber was ist mit diesen Entführern auf dem Sinai? Wenn ich nun behauptete, dass das keine Ägypter seien, dann hätte das möglicherweise einen rassistischen Ruch. Ich sag es trotzdem, weil sie es nämlich selbst so sehen. Wenigstens die Beduinen auf dem Sinai empfinden sich selbst nicht als Ägypter, sondern als Menschen, die eben notgedrungen in diesem merkwürdigen Staatssytem leben. Seit dem Ende des Mubarak-Regimes kommt es immer wieder zu solchen Entführungen. Kurios war die kurzeitige Entführung von sechs Deutschen im Januar. Da forderten die Entführer eine Widerholung der Parlamentswahl für die Provinz. Der Gouverneur gab nach.

Das alles erinnert sehr an den Jemen vor einigen Jahren. Immer wieder wurden dort Touristen – wohl auch von Beduinen – entführt. Jedesmal wurden Krisenstäbe gegründet, und es gab em Werderschen Markt eine große Betriebssamkeit und Hektik – soweit die Entführungsopfer Deutsche waren. Nicht selten tauchten die Entführten nach ein paar Tagen begeistert wieder auf und erzählten, sie seien zu einer beduinischen Hochzeit eingeladen worden, und ihre Gastgeber hätten sie gar nicht mehr gehen lassen. Dass sie Opfer einer Entführung geworden waren, hatten sie oft nicht einmal bemerkt.

Tatsächlich wurde in der Zwischenzeit um eine neue Straße für das Dorf oder um eine Schule verhandelt. Komischerweise endete das vermeintliche Fest immer genau dann, wenn die Verhandlungen erfolgreich verlaufen waren. Was für die einen ein großes folkloristisches Ereignis war, bedeutete für die anderen einen hochkriminellen Akt.

Ich weiß nicht, wie es den beiden Amerikanern auf dem Sinai geht und ob für sie eine ähnliche Folklore-Kulisse aufgebaut wird. Ich glaube es nicht. Allerdings geht es in dem vorliegenden Fall offenbar weniger um eine Schule oder um Wahlbetrug. Scheinbar will ein Clan einen Drogenschmuggler aus seinen Reihen befreien. Allerdings ist auf diese offizielle Verlautbarung wenig zu geben. Die „Tatsache“, dass es sich um einen Drogenschmuggler handelt, muss auch nicht unbedingt stimmen.

Zurück zur allgemeinen Sicherheitslage. Aus dem vorliegenden Fall lernen wir, dass es zur Zeit vielleicht sicherer ist, in Hurghada, El Gouna, Makadi oder Soma Bay Urlaub zu machen, als in Sharm el Sheik, Nuweiba oder Dahab. Wer trotzdem auf den Sinai will, bleibe besser im Hotel oder gehe lieber nur in größeren Gruppe und lasse sich auf keinen Fall auf besondere (und besonders günstige) Touren nach Was-weiß-ich-wohin ein, die einem ein Wildfremder wie Kai aus der Kiste anbietet.

Ein Wort noch zu Kairo: Ja, man kann nach Kairo fahren, man kann auch die Pyramiden und wohl auch die Zitadelle besuchen. Beim Ägyptischen Museum wäre ich persönlich etwas vorsichtig, weil es eben direkt am Tahrir-Platz liegt, und das ist nach wie vor der Haupt-Demonstrationsort des Landes.

Ist es dort wirklich so schlimm? Ich will’s mal so sagen. Natürlich würde ich jedem Ägypter zu einem Besuch Berlins raten. Er sollte dann auch ganz sicher einen Abstecher nach Kreuzberg machen. Sollte er aber aus irgendeinem Grund ausgerechnet am 1. Mai abends um halb sieben den Kotti besuchen wollen, würde ich ihm doch auch sagen, dass das zu diesem Zeitpunkt keine besonders tolle Idee sei.

Partei oder Persönlichkeit?

Immer diese Schrifsteller! Der Verleger (r.) und sein Autor.

Noch einige kurze Anmerkungen zu meinem gestrigen Blogeintrag. Der hat immerhin zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit meinem Verleger Robert in der Kneipe unseres Vertrauens geführt. Vor allem die These, dass Mohamed Mursi die Wahlergebnisse der Moslembrüder halbiert habe, hat Robert erzürnt. Außerdem musste ich mich – nicht ganz zu Unrecht – mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass der Blogeintrag dann doch ein wenig zuviel Insider-Wissen voraussetzt. Insbesondere die Vielzahl der Namen habe dann etwas verwirrt. Diese Verwirrung will ich nun entwirren.

Von den 13 Kandidaten, die zur Präsidentschaftswahl standen, galten fünf als aussichtsreich.:

  1. Der frühere Außenminister Amr Moussa,
  2. der ehemalige Moslembruder Abul Futuh,
  3. der frühere Premierminister Ahmed Shafik,
  4. der Vorsitzende der Partei der Moslembrüder „Freiheit und Gerechtigkeit“ Mohamed Mursi,
  5. der Nasserist Hamdin Sabahi.

Als Favoriten galten Moussa und Futuh, die sich auch in einem Fernsehduell vier Stunden lang gegenüber standen. Es war das erste seiner Art in Ägypten. Experten waren vor der Wahl davon ausgegangen, dass Moussa weitgehend die Stimmen des säkularen Lagers sammeln würde und Abdul Futuh die meisten Stimmer der Religiösen bekommen würde.

Obwohl die Moslembrüder bei den Parlamentswahlen mit ihrer Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ mit rund 47 Prozent der Stimmen extrem gut abschnitten, wurden Mursi keine all zu großen Chancen eingeräumt. Zum einen war er nur der Ersatzkandidat. Der eigentliche Kandidat der Moslembrüder Chairat el-Shater war von der Wahl ausgeschlossen worden. Mursis Wahlkampfauftritte waren häufig ein Desaster, und außerdem fand der im Sommer von den Moslembrüdern ausgeschlossene Futuh gerade bei der Jugend der Moslembrüder viel Zustimmung. Schließlich hatten sich in den letzten Monaten zahlreiche Wähler enttäuscht von den Moslembrüdern abgewendet.

Vergleicht man das Abschneiden der Partei bei den Parlamentswahlen mit dem des Kandidaten zur Präsidentschaftswahl, dann ist das Ergebnis tatsächlich nur noch halb so groß. Der Streitpunkt am gestrigen Abend war nun, ob es zulässig ist, die Ergebnisse einer Parlamentswahl mit denen einer Persönlichkeitswahl zu vergleichen. Robert meinte nein, ich meine ja. Es ist sicherlich richtig, dass Mursi ziemlich schlechte Startvoraussetzungen hatte. Wenn es stimmt, was man so hört, dann war er der sprichwörtliche „Hund, der zum Jagen getragen werden muss.“ Doch sein vergleichsweise schlechtes Abschneiden ist nicht alleine seiner Person geschuldet. Tatsächlich haben sich in den letzten Monaten vor allem junge Ägypter von der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ abgesetzt, weil sie von den Moslembrüdern enttäuscht sind und im Land zu wenig passiert.

Das kann sich jetzt bald ändern. Gestern hatte ich prophezeit, dass Mursi verhandeln muss, wenn er die Stichwahl gewinnen will. Und was lese ich heute? Dass er sich einen koptischen Vizepräsidenten vorstellen kann. Das klingt zunächst einmal nicht schlecht. Die Kopten machen immerhin 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie haben allerdings unter den halbanarchischen Zuständen am meisten zu leiden. Mursis Gegner Shafik verspricht, diese Zustände mit größter Härte beenden zu wollen. Das klingt dann eher wieder nach Drohung im Stile des alten Regimes, denn nach Hoffnung.

Katastrophe oder Chance?

Als ich vor ein paar Tagen aus Ägypten zurück kam, erklärte ich als profunder Kenner des Landes jedem, wie die Präsidentschaftswahlen ausgehen würden.  „Wahrscheinlich kommen Moussa und Abul Futuh in die Stichwahl. Der eine hat Erfahrung, der andere Charisma. Mursi und Shaffik haben keine Chance, der eine ist zu farblos, der andere nicht vermittelbar.“ Deshalb stehen jetzt Mursi und Shaffik in der Stichwahl. Irgendwie erinnerte mich das fatal an meine Zeit als Sportredakteur, wenn ich am Freitag in einer Vorschau schrieb, warum eine Mannschaft am Samstag gewinnt und ich am Montag erklären musste, warum sie verloren hat.

Die Präsidentschaftswahlen sind seit Monaten ein heiß diskutiertes Thema auch zwischen Thomas (links) und Peter. Foto: syt

Trotzdem war ich ein leidlich ordentlicher Sportredakteur. Trotzdem glaube ich, die Lage in Ägypten auch ganz gut beurteilen zu können – wenn das überhaupt einer kann. Schließlich war ich ja nicht der einzige, der sich geirrt hat. Aber was ich definitiv hätte voraussagen können, waren die Reaktionen auf diesen Wahlausgang. Da ist von Katastrophe die Rede, vom Ende oder gar dem Verrat an der Revolution, von der gescheiterten Demokratiebewegung. Ich gebe zu, ich war im ersten Moment auch ein wenig geschockt, weil ich mir einen anderen Wahlausgang gewünscht hätte. Doch bei näherer Betrachtung ist diese Ausgangslage vielleicht gar nicht mal die schlechteste für das Land – und seinen Weg zu einer wirklich funktionierenden Demokratie. Steile These? Ich versuch es mal zu erklären.

  1. Hätte irgendein Kandidat der Säkularen die Wahlen gewonnen, dann wäre er vermutlich an den überzogenen Erwartungen an ihn ganz schnell zerbrochen. Sollte der Moslembruder Mursi die Wahlen gewinnen, liegen auf ihm ganz andere Erwartungen (die er wohl auch nicht alle zur Zufriedenheit seiner Anhänger erfüllen kann).
  2. Mursi hat etwa 25 Prozent geholt. Bei den Parlamentwahlen hat die Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ aber 47 Prozent erreicht. Mursi hat es also schon mal geschafft, den Stimmenanteil seiner Partei fast zu halbieren.
  3. Wenn Mursi Präsident werden will – Shaffik liegt ja nur zwei oder drei Prozent hinter ihm – wird er Zugeständnisse an die Säkularen und Liberalen machen müssen, sowohl personell, als auch programmatisch.

Das heißt, jetzt muss verhandelt werden. Immerhin – und das scheint ja unbestritten – sind die Ägypter im Handeln große Klasse. Sage niemand, dass es um ein Geschachere geht. Wenn hierzulande eine Wahl gelaufen ist, geht es auch erst nach Schließung der Wahllokale ans Eingemachte. Hier nennt man das Koalitionsverhandlungen. So etwas ähnliches wird es in den nächsten drei Wochen auch in Ägypten geben. Das gehört eben genau so zur Demokratie, wie Wahlkampf und Wahlen. Übrigens ist der Wahlkampf bislang ausgesprochen gut verlaufen, gemessen an den apokalyptischen Vorhersagen.

Ich habe auch schon den Einwand gehört: „Der kann jetzt ja viel versprechen, aber ob er es dann nach der Wahl einhält?“ Nein, in diesem Fall geht es ja um feste Abreden. Wenn Mursi zum Beispiel will, dass Abul Futuh sich für ihn ausspricht, muss er ihm etwas bieten, was Futuhs Anhänger bewegt, Mursi die Stimme zu geben. Wenn er dann sein Versprechen vergisst, ist es gut möglich, dass der der Tahrir relativ schnell wieder relativ rege besucht wird.

Umgekehrt gilt das alles natürlich genauso für Shaffik. Ich persönlich glaube aber eher, dass es auf Mursi hinausläuft. Der muss übrigens den Salafisten gar keine Zusagen machen, denn die haben gar keine andere Wahl als die, ihn zu wählen. Das finde ich persönlich übrigens ziemlich amüsant.

Die Ägypter haben bei dieser Wahl einmal mehr gezeigt, dass sie zu jeder Überraschung fähig sind. Vielleicht gilt das ja auch für den endgültigen Wahlsieger und künftigen Präsidenten des Landes. Anwar al Sadat galt als völlig farbloser, uncharismatischer Kompromisskandidat, als er 1970 die Nachfolge des verstorbenen Gamal Abdel Nasser antrat. Als er elf Jahre später ermordet wurde, war Ägypten nicht mehr dasselbe Land. Vielleicht wählen die Ägypter in drei Wochen den neuen Retter ihres Landes.

Nach 7000 Jahren…

Ja, ich bin noch da und nicht in Ägypten verschollen. Mit dem Abflug nach Hurghada am 10. Mai hatte ich mir einfach mal eine längere Internet-Abstinenz auferlegt. Die ist nun vorbei und nun will ich – sozusagen am Vorabend der Präsidentschaftswahl – erzählen, wie es uns in dieser Woche ergangen ist. Insgesamt war die Delegation des Carpathia-Verlages immerhin fünf Köpfe stark. Für drei war es die erste Reise nach Ägypten.

Der Kulturschock fiel, dank intensiver Vorbereitung, dann doch nicht ganz so groß aus. Stellvetretend sei das örtliche Transportwesen genannt. Fröhlich-betrügerische Taxifahrer rasen nämlich nicht aus latenter Todessehnsucht, sondern weil sie in der tiefen Sicherheit ruhen, dass Allah mit den Seinen ist. Es gibt übrigens auch koptische Taxifahrer, die ebenso fröhlich-betrügerisch sind und genauso selbstmörderisch fahren. Die haben dann auf der Heckscheine einen Verweis darauf, dass Jesus ein Auge auf sie hat. Es kann also theoretisch-theologisch nix passieren. Und wer die Fahrt vom Flughafen zum Hotel überstanden hat, den kann dann in den folgenden Tagen wenig erschüttern.

Zur Buchpräsentation in der Villa Kunterbunt bei Barbara und Thomas Bordiehn: Rund 60 Gäste waren gekommen, darunter zahlreiche Menschen, die in Hurghada leben, ob nun Europäer oder Ägypter. Inhaltlich gestaltete sich die Lesung diesmal ein wenig anders. Hatte es im Brauhaus noch lange Passagen über die Revolution in Kairo und Hurghada gegeben, verlegte ich mich in Ägypten eher auf kürzere anekdotische Stücke. Der Grund liegt auf der Hand. Die Mehrzahl der Zuhörer hatte die Revolution ja selbst vor Ort miterlebt. Entsprechend unterschiedlich fiel auch die Diskussion aus. Sie spiegelte einmal mehr die unterschiedliche Sichtweise der Europäer und der Ägypter wieder. Auf die europäischen Seite herrschte noch immer eine gewisse Skepsis, ob die ganze Sache mit der Revolution noch zu einem guten Ende führen würde. Die Ägypter unter den Zuhörern hielten mit großem Optimusmus dagegen. Für mich am eindrucksvollsten an diesem Abend war, wie Mazen Okasha die Größe des bislang Erreichten mit einem einzigen Satz zusammenfaßte: „Zum ersten Mal nach 7.000 Jahren wählen wir Ägypter am 24. Mai unser Staatsoberhaupt selbst in einer freien Wahl.“ Damit haben die Ägypter im übrigen alle Länder, in denen die Arabellion Erfolg hatte, überholt.

Zwei Tage lang werden die Ägypter ihren neuen Präsidenten wählen. Morgen beginnt der Urnengang. Es ist wirklich kaum zu sagen, wer am Ende die Nase vorne hat. Aber wer auch immer an die Macht kommt, muss sich am Ende dem Volk beweisen, denn eines wurde auch an jenem Abend in der Villa Kunterbunt wieder sehr deutlich. Wenn ein neuer Präsident einen alten Kurs fahren sollte, dann wird es nicht lange dauern, bis wieder Millionen auf dem Tahrirplatz stehen.

Ich persönlich neige eher dazu, den Optimusmus der Ägypter als die Skepsis der Europäer zu teilen. Dafür gibt es eine simple Erklärung: Ich habe die Ägypter in den letzten 20 Jahren als hochemotionale Pragmatiker erlebt. Irgendwie klappt es immer, was sie sich vorgenommen haben, wenn auch nicht auf den geraden, gepflegten und sauber gekehrten Wegen, die wir Europäer gerne beschreiten. Da gehts dann auch schon mal durchs Unterholz.

Zum Abschluss noch ein Link aus dem heutigen Tagesspiegel. Wenn diese Einschätzung des sozialdemokratischen Abgeordneten Ziad al Eleimi richtig ist, dann könnte der Stern der Moslembrüder schneller sinken, als jeder erwartet hat.

 

Der Tag zuvor

Zur Abwechslung mal nichts über Ägypten, sondern nur über die eigene Befindlichkeit. Heute morgen, kurz nach dem Aufwachen, wurde mir plötzlich klar, dass morgen ja die Präsentation von „Koulou Tamam, Ägypten?“ ist. (Für alle, die es noch nicht wissen: 19.30 Uhr, Brauhaus Südstern, Hasenheide 69 in Berlin.) Irgendwie hatte ich das komplett verdrängt, und es war irgendwie weit, weit weg. Glücklicherweise ist die große Veranstaltung ja auch auf Facebook angekündigt.

Aber es ist schon merkwürdig, wie man etwas beseite schieben kann, auf das man doch eigentlich seit fünf Monaten jeden Tag hingearbeitet hat. Aber keine Angst, ich werde da sein und auch ein wenig lesen. Vermutlich ist die Lesung die kleinste Übung. Schon morgens im acht soll ich im Studio von Radio multicult.fm sein und ein wenig über „Koulou Tamam, Ägypten?“ plaudern. Eigentlich ist das für mich viel zu früh. Aber ich habe da einen Trick. Ich muss mir nur vorstellen, dass ich zum Tauchen gehe, dann fällt das alles gar nicht so schwer.

So sieht es aus, wenn ich auf dem Boot lese. Alles irgendwie locker, und der Dress-Code ist sensationell.

Meine lieben Freunde und Verleger Robert und Cordelia können das gar nicht so richtig verstehen und auch (noch) nicht richtig vorstellen, dass ich im Urlaub jeden Morgen um sieben aufstehe, während ich in meinem Alltag einfach mal zwei Stunden länger ausschlafen kann. Aber sie werden es, denke ich, ja bald selbst erfahren, wie das ist. Am 10. fliegen wir alle nach Ägypten zur Buchpräsentation zweiter Teil.

Da werde ich – hoffentlich – wieder zu meiner liebsten Form der Lesung kommen: Nämlich auf dem Tauchboot. Zum ersten Mal hatte ich „Tauchboot-Lesungen“ 1995 gemacht. Damals noch auf den Sub-Aqua-Tauchbasen von Roland Schumm und Peter Dangelmeier, später dann bei Ute und Geli und bei Blue Water im Arabella. Mir machen diese Lesungen am meisten Spaß. Das Publikum ist zwar überschaubar, es sind meist nur zehn bis 15 Leute, manchmal weniger, aber es macht mir viel mehr Spaß in solch einem intimen Kreis zu lesen. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer scheint mir größer, und es enstehen viel spontaner Diskussionen über das Gelesene. Die ganze Atmosphäre ist einfach viel lockerer.

Das soll aber nicht heißen, dass ich mich auf die Präsentation morgen im Brauhaus und am 12. Mai in der Villa Kunterbunt nicht auch freuen würde. Das werden sicher zwei schöne Veranstaltungen. Und wer es weder zur einen, noch zur anderen schafft, der muss halt mal mit mir Tauchen gehen. Da lese ich ihm auch gerne etwas vor.