30 Jahre lang war das mit der Meinungsfreiheit so eine Sache. Nun nutzen die Ägypter diese Freiheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit – und dehnen den Begriff dabei bisweilen in einer Art und Weise aus, die den freiheitsliebenden Europäer dann doch etwas verblüfft. Manchmal kann der Anlass ein scheinbar nichtiger sein. Gestern morgen lag in Hurghada ein unschuldiger Gullideckel auf der Straße herum und nicht da, wo er liegen sollte. Früher wäre ein daraus resultierender Achsbruch mit Schulterzucken als der unergründliche Wille Allahs abgetan worden. Doch das Schicksal wollte es, dass sich an diesem Morgen ein Taxi, das sich in diesem Schlagloch verfing, mehrfach überschlug und auf dem Kopf liegen blieb.
Doch Allah ist mit den Seinen und der Fahrer blieb unverletzt. Es blieb allerdings die Frage, wie der Gullideckel dahin kam, wo er lag. Die Antwort lag auf der Hand: Es handelte sich um eine Schlamperei der Straßenbaubehörden. Und wer ist verantwortlich für Behörden? Der Gouverneur! Es kam zu einer großen Demonstration, die den Verkehr auf der Hauptverkehrsstraße komplett lahm legte. Die erste Forderung der Demonstranten: Der Gouverneur muss her, er soll sich die Sauerei ansehen und für Abhilfe sorgen. Außerdem sollte er umgehend ein Ersatzfahrzeug für den verunglückten Fahrer stellen, dessen Fahrzeug nur noch Schrottwert hatte. Der Gouverneur zeigte sich zwar nicht, aber natürlich wurden sowohl Abhilfe bei den maroden Straßenverhältnissen, als auch Kompensation für den Fahrer versprochen. Ob’s dazu kommt? Inshallah.
Im Sinai hat sich die freie Meinungsäußerung auf ganz andere Weise Bahn gebrochen. Dort sind acht deutsche Touristen festgesetzt (andere sagen: entführt) worden. Die Forderung der Festsetzer (oder Entführer): Die Wahlen im Südsinai müssen wegen Wahlfälschung wiederholt werden. Der dortige Gouverneur gab den Forderungen sofort nach. In Hurghada werden jetzt schon Überlegungen angestellt, ob dieses Beispiel wohl Schule machen könnte.
Es ist schon seltsam, über die Freiheit der Meinung in Ägypten zu schreiben, wenn im Hintergrund gerade Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ singt und „… ich war noch niemals richtig frei“. Das hat schon etwas Bizarres.
Bizarr ist allerdings auch, wenn ich mir heute anhören darf: „Was regt ihr euch über Ägypten auf. Haben wir einen Wulff? Werden bei uns Staatsanwälte im Gerichtssaal erschossen?“ Tja, es kommt eben alles auf den Blickwinkel an.