Und wieder mal wird an der geringen Wahlbeteiligung herumgemäkelt. Angeblich haben sich nur 44 Prozent der ägyptischen Wähler an der Präsidentschaftswahl beteiligt. Sollte sich diese Zahl bestätigen, wäre sie ja so schlecht nicht. Sie läge damit so ziemlich im Schnitt aller Wahlen seit Beginn der Revolution. Einen Makel gäbe es trotzdem: Drei Tage hat man die Ägypter wählen lassen und dann am Ende sogar 500 Pfund Strafe jedem angedroht, der seiner Wahlpflicht nicht nachkommt. Das war vielleicht nicht unbedingt nötig und trägt nun nicht gerade dazu bei, den triumphalen Sieg noch heller scheinen zu lassen.
Reflexartig sprachen die Moslembrüder natürlich von Wahlbetrug. Erstaunlicherweise bezogen sie sich beim Betrugsvorwurf gar nicht auf Stimmzettel, die zugunsten Sisis gefälscht worden seien, sondern gaben an, dass überhaupt nur zehn Prozent der Ägypter zu Wahl gegangen seien. Und hier wird die Sache interessant. Die Wahlbeteiligung schien fast wichtiger, als das eigentliche Wahlergebniss, weil der Sieger ja sowieso feststand. In den letzten drei Jahren waren es die Moslembrüder, die ihre Anhänger oft lastwagen- und busseweise zu den Wahllokalen karrten. Das haben sie diesmal natürlich nicht getan und stattdessen zum Wahlboykott aufgerufen. So richtig gefruchtet hat es wohl am Ende nicht. Andererseits wollte Sisi natürlich eine Wahlbeteiligung von über 50 Prozent, um zu dokumentieren, dass der Boykott-Aufruf der Moslembrüder völlig gescheitert ist. Das hat er deutlich verfehlt.
Bei über 90 Prozent Zustimmung liegt der Verdacht von Wahlbetrug natürlich immer auf der Hand, erinnert es doch an die Wahlergebnisse in den früheren sozialistischen Ländern. Aber das ist unwahrscheinlich, denn die Ägypter selbst hatten 190 Wahlbeobachter der OSZE angefordert. Bislang liegt deren Abschlussbericht noch nicht vor, es scheint aber so, als würde der ganz gut ausfallen.
Wenn es keinen Wahlbetrug gegeben hat und alle Zahlen stimmen, dann bleibt jedenfalls festzuhalten, dass sich Abdel Fattah al-Sisi auf einen ganz breiten Rückhalt der Bevölkerung stützen kann. Für Regierungskritiker werden jetzt vermutlich noch härtere Zeiten anbrechen, was gar nicht unbedingt direkt von dem neuen Präsidenten, vielmehr aber von seiner Entourage ausgehen wird.
Vermutlich hat Ägypten an jenen drei Tagen Ende Mai 2014 einen großen Schritt in Richtung Stabilität und Sicherheit getan. Aber das Land hat sich das auf Kosten von Freiheiten und Bürgerrechten erkauft. Das empfindet der Westen als schlimm und bedrückend, das gleiche gilt für Regimekritiker. Die überwältigende Mehrheit jener Ägypter, die al-Sisi gewählt hat, hat für solche Empfindungen gar keinen Sinn, mancher begreift sie sogar als Angriff auf das eigene Land.
Ob al-Sisi die gewaltigen Aufgaben, die vor ihm stehen, tatsächlich alle schultern kann, ist bisher ungewiss. Viele Ägypter sind aber davon überzeugt. Für sie ist er ein Heilsbringer, dem eine Welle der Begeisterung entgegenschlägt, wie vor ihm nur Gamal Abdel Nasser. Der war ein Diktator, den der britsche Premier Antony Eden gar mit Hitler verglichen hatte. Am Ende scheiterte Edens Karriere eben an jenem Nasser, den er nie richtig begriffen hatte.
Es bleibt zu hoffen, dass der Westen diesen neuen Präsidenten richtig einschätzen wird und Abdel Fattah al-Sisi alles erdenkliche Glück und eine sichere Hand wünscht bei den Aufgaben, die er in den nächsten Monaten und Jahren bewältigen muss. Es gibt auf diesem Planeten derzeit nicht viele Jobs zu vergeben, die noch undankbarer und gleichzeitig anspruchsvoller sind – außer vielleicht in der Ukraine.
sehr treffend analysiert! Kann nur bestätigen das das Wahlergebniss der Volkesmeinung entspricht. Diejenigen die nicht wählen gingen, waren einfach nur zu faul weil sie ja wußten wer Präsident werden wird und soll. Das erstaunliche an dieser ganzen positiven Aufbruchstimmung ist eigentlich „das es wirkt“. Und das beobachte ich wirklich aus der ersten Reihe.