Noch einige kurze Anmerkungen zu meinem gestrigen Blogeintrag. Der hat immerhin zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit meinem Verleger Robert in der Kneipe unseres Vertrauens geführt. Vor allem die These, dass Mohamed Mursi die Wahlergebnisse der Moslembrüder halbiert habe, hat Robert erzürnt. Außerdem musste ich mich – nicht ganz zu Unrecht – mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass der Blogeintrag dann doch ein wenig zuviel Insider-Wissen voraussetzt. Insbesondere die Vielzahl der Namen habe dann etwas verwirrt. Diese Verwirrung will ich nun entwirren.
Von den 13 Kandidaten, die zur Präsidentschaftswahl standen, galten fünf als aussichtsreich.:
- Der frühere Außenminister Amr Moussa,
- der ehemalige Moslembruder Abul Futuh,
- der frühere Premierminister Ahmed Shafik,
- der Vorsitzende der Partei der Moslembrüder „Freiheit und Gerechtigkeit“ Mohamed Mursi,
- der Nasserist Hamdin Sabahi.
Als Favoriten galten Moussa und Futuh, die sich auch in einem Fernsehduell vier Stunden lang gegenüber standen. Es war das erste seiner Art in Ägypten. Experten waren vor der Wahl davon ausgegangen, dass Moussa weitgehend die Stimmen des säkularen Lagers sammeln würde und Abdul Futuh die meisten Stimmer der Religiösen bekommen würde.
Obwohl die Moslembrüder bei den Parlamentswahlen mit ihrer Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ mit rund 47 Prozent der Stimmen extrem gut abschnitten, wurden Mursi keine all zu großen Chancen eingeräumt. Zum einen war er nur der Ersatzkandidat. Der eigentliche Kandidat der Moslembrüder Chairat el-Shater war von der Wahl ausgeschlossen worden. Mursis Wahlkampfauftritte waren häufig ein Desaster, und außerdem fand der im Sommer von den Moslembrüdern ausgeschlossene Futuh gerade bei der Jugend der Moslembrüder viel Zustimmung. Schließlich hatten sich in den letzten Monaten zahlreiche Wähler enttäuscht von den Moslembrüdern abgewendet.
Vergleicht man das Abschneiden der Partei bei den Parlamentswahlen mit dem des Kandidaten zur Präsidentschaftswahl, dann ist das Ergebnis tatsächlich nur noch halb so groß. Der Streitpunkt am gestrigen Abend war nun, ob es zulässig ist, die Ergebnisse einer Parlamentswahl mit denen einer Persönlichkeitswahl zu vergleichen. Robert meinte nein, ich meine ja. Es ist sicherlich richtig, dass Mursi ziemlich schlechte Startvoraussetzungen hatte. Wenn es stimmt, was man so hört, dann war er der sprichwörtliche „Hund, der zum Jagen getragen werden muss.“ Doch sein vergleichsweise schlechtes Abschneiden ist nicht alleine seiner Person geschuldet. Tatsächlich haben sich in den letzten Monaten vor allem junge Ägypter von der Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ abgesetzt, weil sie von den Moslembrüdern enttäuscht sind und im Land zu wenig passiert.
Das kann sich jetzt bald ändern. Gestern hatte ich prophezeit, dass Mursi verhandeln muss, wenn er die Stichwahl gewinnen will. Und was lese ich heute? Dass er sich einen koptischen Vizepräsidenten vorstellen kann. Das klingt zunächst einmal nicht schlecht. Die Kopten machen immerhin 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie haben allerdings unter den halbanarchischen Zuständen am meisten zu leiden. Mursis Gegner Shafik verspricht, diese Zustände mit größter Härte beenden zu wollen. Das klingt dann eher wieder nach Drohung im Stile des alten Regimes, denn nach Hoffnung.