Der Tourismusboom in Hurghada begann im November 1986. Im Juni 1991 kam ich zum ersten Mal in die Stadt, als ganz normaler Tauchtourist. Drei Jahre später begann ich hier gelegentlich als Tauchguide zu arbeiten. Seit 1997 schreibe ich über den Fremdenverkehr in Ägypten, 2003 erschienen meine ersten Bücher zum Thema „Ägypten und der Tourismus“. Eigentlich sollte ich Bescheid wissen. Ich habe die Urlaubsindustrie am Roten Meer als wirtschaftlich wichtigste Einnahmequelle beschrieben, weil rund jeder vierte Ägypter direkt oder indirekt an dieser Industrie hängt. Ich habe auch über die Gefahren berichtet, die dieses Phänomen mit sich bringt, dass nämlich immer mehr Menschen in diesem Sektor arbeiten wollen, weil hier die Löhne höher sind, als die Entlohnung für Ärzte oder Lehrer.
Das marode Bildungssystem war ebenso ein Thema, wie das Furcht erregende staatliche Gesundheitssystem. Wer Anfang der 90er ins Generalhospital musste, wurde von den Freunden verabschiedet, als begäbe er sich auf eine Reise ohne Wiederkehr. Glück hatte, wer ins Marine-Hospital kam, und als schließlich das private El Salam Hospital eröffnet wurde, schien der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten. Die ägyptischen Schüler lernen in der Schule zwar nichts, und die Eltern werden von den Lehrern, die die Kinder schlecht oder gar nicht unterrichten, aufgefordert, Geld für private Nachhilfestunden zu bezahlen, die eben diese Lehrer dann selbst geben – aber was soll’s? In El Gouna entwickelte sich schnell eine inzwischen renommierte internationale Schule. Die vierte Klasse der deutschen Schule in Hurghada hat gerade den Mathematikpreis der Freien Universität Berlin gewonnen.
Mal ganz ehrlich, der Fortschritt in Ägypten schien doch nicht aufzuhalten!
Fortschritt? Wenn es überhaupt so etwas wie Fortschritt gegeben hat, dann nur in einem kleinen privatfinanzierten Bereich, der auch nur einer immer kleiner werdenden Gruppe von Ägyptern zugute kommt, nämlich der, die Geld hat. Ansonsten sind es Ausländer, die von privaten Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen profitieren.
Heute muss ich einsehen, dass Ägypten in diesen 20 Jahren, in denen ich das Land bereise und darüber berichte, völlig auf den Hund gekommen ist – und ich habe es nicht einmal bemerkt. Und ich bin nicht der einzige Europäer hier, dem diese Einsicht so langsam dämmert. Es ist nicht so, dass wir die Missstände nicht gesehen hätten. Was wir völlig ausgeblendet haben, war die Tatsache, dass es von Jahr zu Jahr schlimmer wurde. Wir haben das Übel als etwas Statisches betrachtet, das zu dem Land gehört, wie die Pyramiden. Eine schnell wachsende Metropole wir Hurghada hat natürlich darüber hinweg getäuscht, dass es mit dem gesamten Land in gleichem rasanten Maße bergab ging. Als ich das erste Mal Ägypten verließ, wurde mein Gepäck noch mit einer Personenwaage abgewogen! Inzwischen gibt es hier einen hochmodernen Airport. Früher brauchte der Reisende Travellerschecks und Dollar, heute stehen an allen Ecken Geldautomaten. McDonalds und Burger King sind auch schon da. Das alles kann doch kein Zeichen für Rückschritt sein! Vielleicht nicht, aber es hat möglicherweise den Blick darauf verstellt, wie rasant sich die grundlegenden Dinge für die allgemeine Bevölkerung verschlechtert haben.
Urlauber müssen sich darüber keine Gedanken machen. Sie sollen hier ihre wohlverdienten Ferien genießen. Aber die, die leben, lebten, arbeiten oder gearbeitet haben, könnten sich heute vielleicht die ein oder andere Frage stellen. Natürlich ist der Tourismus nicht schuld daran, dass die Dinge so liegen, wie sie nun mal liegen. Aber komisch ist es schon, dass die Europäer während der ägyptischen Revolution viel panischer reagiert haben, als ihre ägyptischen Mitbewohner. Die nehmen die Umwälzung mit der Gelassenheit einer 7000 Jahre alten Hochkultur. Zwar gehen sie jetzt wegen jedem Dreck auf die Straße und demonstrieren lautstark, aber die Zukunftsangst der Europäer kennen sie nicht. Warum auch? Sie haben ja viel weniger zu verlieren. Und? Was wird aus eurem Land? „Mafish mushkella“ – „Kein Problem“. Irgendwie wird es schon klappen.
Burger King und Mc Donalds sind aber auch nicht unbedingt Gradmesser für Fortschritt, die gibt es in den ärmsten und rückständigstenn Ländern der Welt. Aber ich musss Ihnen beipflichten: Ich war 1992 das erste Mal vor Ort, dann Jahre lang gar nicht, kam 2008 das erste mal wieder und dachte: Oha, welch ein Fortschritt. Ab da regelmäßig alle 2-3 Monate bis Ostern 2010. Dann 1 1/2 Jahre Pause. Jetzt nach meinem Aufenthalt in Hurghada im Januar bei mir folgende Erkenntnis: Oha, was für ein Rückschritt!
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